Edition – drei Briefgruppen

Brief EK1 – 5.5.1876
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EK1 5.5.1876
Zürich 5. Mai 1876
[An Aline Kappeler]

Unser Zusammenleben ist ein ungestört gemütliches, unser Pflegetöchterchen816Hedwig Kappeler (1860-1932), Tochter von Oberst Hermann Kappeler und Aline Kappeler-Wüest. In den Jahren 1876 bis 1878 Schülerin an der Höheren Töchterschule in Zürich und Pflegetochter bei der Familie Spyri. Anschliessend verbrachte Hedwig Kappeler ein Jahr in Genf, dann ging sie als Lehrerin nach England. Später engagierte sich Hedwig Kappeler in der bürgerlichen Frauenbewegung. Johanna Spyri blieb sie bis zu deren Tod 1901 eng verbunden und unternahm mit ihr Reisen nach Deutschland und Italien.schliessen ist uns schon so lieb, als gehörte sie wirklich zu uns, ja als wäre es immer so gewesen. Ihre Studien, denen ich immer mit Interesse folge, geben fortwährend Stoff zu anregender Unterhaltung u. ich bemerke mit Befriedigung den regen inneren Anteil an ihren Studien, daß sie sich nicht nur damit beschäftigt, weil nun einmal gelernt sein muß.817Hedwig Kappeler ist von Mai 1876 bis Frühjahr 1878 Schülerin an der Höheren Töchterschule in Zürich.schliessen Dadurch wird ihr natürlich ein ganz anderer Gewinn von der Sache, sie wird ihr zu einem Eigentum, das nicht weggelegt wird am Schluß der Studienzeit, sondern als ein fortwährendes immer wachsendes Gut, welches durch das ganze Leben ihr bleiben wird.

Nur wenn bei irgend einer obligatorischen Unterrichtsstunde absolut kein Gewinn abzusehen ist, wie beim Chorgesang, dann reut mich die Zeit, die mit einer nothwendigen Arbeit oder mit einem ebenso notwendigen Luftschöpfen könnte ausgefüllt werden.

Da jetzt die rechte Arbeit begonnen hat,818Das Schuljahr der Höheren Töchterschule begann am 2. Mai 1876 (vgl. HK1).schliessen folgen sich die Stunden u. zwischen ein hat sie immer genug zu tun, sich vorzubereiten, doch ist sie nicht überhäuft. Gern lasse ich vorweg ein wenig repetieren, was sie aufgenommen, ich finde immer, beim Wiedergeben wird man sich erst recht klar u. eignet sich manches erst dadurch recht an. Auch zum Französischreden habe ich sie schon recht nett gebracht, doch nur wenn wir allein sind. Was mir Vergnügen macht, ist auch zu bemerken, daß sie mir mit völligem Verständnis folgen kann, wenn ich englisch mit ihr rede.819Zu Johanna Spyris pädagogischer Einstellung und Beeinflussung Hedwigs vgl. auch EK5 und EK8.schliessen