Edition – drei Briefgruppen

Brief EK65 – 14.11.1884
Eintrag drucken
EK65 14.11.1884
Zürich 14 November 1884
[An Hedwig Kappeler]

Eben mußte [ich] einen Brief beantworten, die X1033Ernst Kappeler hat den betreffenden Namen in seiner Abschrift wohl im Hinblick auf eine mögliche Publikation absichtlich durch ein "X" ersetzt.schliessen macht einen solchen Lärm, als ob ich jedesmal mausetod sein müßte, wenn ich ein paar Wochen nicht schreibe. Du hättest auch wohl früher von mir Nachricht erhalten, aber als ich von Montreux1034Kurort am Genfersee, wo sich Johanna Spyri während vieler Jahre immer wieder aufhielt und zuhause fühlte; vgl. das Kapitel zu Montreux in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen heimkam, lagen solche Haufen zur Beantwortung, daß ich fast nicht durchkam. Nun ist eine neue Sache los, die mich beständig auf den Füßen hält. Am 1. April müssen wir das Stadthaus verlassen, dann wird es umgerissen.1035Das Stadthaus, in welchem sich die Amtswohnung des Stadtschreibers Johann Bernhard Spyri befand, stand am ehemaligen Kratzplatz, wo heute die Börsenstrasse in den Stadthausquai einmündet. Es wurde im Zuge der Umgestaltung des Quartiers 1886 abgerissen; Walter Baumann et al., Zürich zurückgeblättert, 175-176.schliessen Nun bin ich beständig auf der Fahrt, um Wohnungen anzusehen, ich finde aber nichts. Am Ende lasse ich alles liegen, packe alle Möbel auf einen Estrich u. wir warten bis im Herbst. Ich habe nun schon so viele Wohnungen angesehen, daß ich ganz müde bin. Am liebsten ginge ich aus der Stadt heraus, aber das ist gerade, was ich nicht darf.

Mit meinem Mann1036Johann Bernhard Spyri (1821-1884), Stadtschreiber von Zürich und Ehemann von Johanna Spyri; vgl. Regine Schindler, Spurensuche, 349 und Stammbaum, 341; HBLS VI, 484.schliessen geht es wieder etwas besser, er schont sich auch gar zu wenig.

Ja, nun sind die kurzen Tage wieder da u. die langen Abende. Am Montag sind wieder Vorlesungen über französische u. deutsche Literatur.1037Seit 1876 veranstaltete die Höhere Töchterschule jeden Winter verschiedene Vorlesungsreihen für ein breiteres weibliches Publikum. Der Erlös ging an die städtische Schulkasse oder wurde in den Aufbau von Bibliothek und Sammlung investiert. Im Winter 1884/1885 fanden drei Vortragsreihen statt: Louis Morel über neuere französische Literaturgeschichte, Albert Heim, Geologe, Professor am Polytechnikum sowie an der Universität Zürich, Bruder von Sophie Heim, über die Geologie der Alpen und Ferdinand Zehender über die neuere deutsche Literaturgeschichte; Salomon Stadler, Rückblick auf die Geschichte der höheren Töchterschule, 24; Ferdinand Zehender, Geschichtliche Darstellung des öffentlichen Unterrichtes, 53; Programme der Höheren Töchterschule.schliessen Sonst gehe ich wenig aus, ich bleibe am liebsten daheim. Der Winter wird auch wieder ausgehen. Die Zeit geht doch immer vorwärts. Vor dem Jahr um diese Zeit waren wir in Suna,1038Ferien- und Kurort am Lago Maggiore; vgl. das Kapitel zu Suna in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen es scheint mir schon so lange, so lang seit damals.1039Im Herbst 1883, wenige Monate vor dem Tod ihres Sohnes Bernhard, verbrachte Johanna Spyri mit ihm seinen letzten Kuraufenthalt in Suna am Lago Maggiore; vgl. das Kapitel zu Suna in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen Einmal gehen wir zusammen dorthin, das wollen wir sicher tun, ich will Dir alle Gänge u. Orte zeigen.