Edition – drei Briefgruppen

Brief HK2 – 27.5.1876
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HK2 27.5.1876
Zürich, den 27. Mai 1876
Meine l[iebe] Mutter!

Vor allem meinen besten Dank für alle die netten Geschenke.53Es handelt sich um Geburtstagsgeschenke für Hedwig, welche am 22. Mai 1860 geboren wurde.schliessen Die Briefmappe hat mich unendlich gefreut u. bald nach dem Empfang war sie eingeräumt u. verschlossen, u. der Schlüssel an meinem kleinen Ring um den andern Gesellschaft zu leisten. Es thut mir sehr leid daß der l[iebe] Vater54Hermann Kappeler (1808-1884), Oberst, Kaufmann und Verwaltungsratspräsident der Thurgauischen Hypothekenbank, Hedwigs Vater; vgl. Stammbaum Kappeler, Materialien.schliessen so große Verluste55Nach dem Aufschwung unmittelbar nach dem deutsch-französischen Krieg geriet die Schweizer Wirtschaft 1876 in eine massive Krise, von welcher Hermann Kappeler als Verwaltungsratspräsident der Thurgauischen Hypothekenbank, aber auch als Kaufmann und privater Anleger in besonderem Masse betroffen war; HLS VII, 367, Konjunktur.schliessen hatte u. wahrscheinlich sehr trübe gestimmt ist. Ich will alles thun um Dich und ihn zu befriedigen u. alle meine Pflichten erfüllen. Mir geht es immer ganz gut u. Fr. Spyri habe ich immer lieber. Ach es ist so schade daß das Wetter immer so schlecht ist, Fr. Sp[yri] friert immer, so daß sie wieder ihre Winterkleider angezogen [hat]. Du wirst [2] es natürlich auch getan haben. Letzten Donnerstag war ich den ganzen Tag in den Pantoffeln, und habe Aufgaben gemacht u. dann Fr. Sp[yri] aus der Corinne56Vermutlich Germaine de Staël, Corinne ou l'Italie, 1807.schliessen die [ich] jetzt vorlese, gelesen. Denke gestern vernahm ich in der Schule von einer Flr. [sic!] Gadmer,57Bertha Gadmer (geb. 1857), Mitschülerin von Hedwig Kappeler an der Höheren Töchterschule; Jahresberichte der Höheren Töchterschule 1875-1880; Verzeichnis der Schülerinnen der Höheren Töchterschule 1875-1893, Klasse I, 1876/77.schliessen sie sei mit Margerith Jenni58Evtl. Margaretha Jenny (1858-1874), Tochter des Kaspar Jenny (1819-1894), Textilindustrieller von Ziegelbrücke, siehe dazu auch HK25.schliessen im Katharinenstift59Das Stuttgarter Königin-Katharina-Stift, seit 1818 öffentliche Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für Töchter aus den gebildeten Ständen; s. Angabe zur Vorbildung im Verzeichnis der Schülerinnen der Höheren Töchterschule 1875-1893 zu Bertha Gadmer, Klasse I, Schuljahr 1876/77.schliessen gewesen u. habe sie sehr gut gekannt. Besuche habe ich seit Du fort bist keine mehr gemacht, ich weiß nicht, bis ich alle meine Aufg[aben] etc. habe so bleibt mir immer keine passende Zeit, auch habe ich bis jetzt ja immer Besuch gehabt, Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie ich überrascht war, als ich in die Stube trat, neben Emil,60Emil Labhardt (geb. 1856), Hedwig Kappelers Cousin mütterlicherseits, Sohn von Gottlieb Labhardt und Natalie Labhardt-Wüest; vgl. Stammbaum Wüest, Materialien.schliessen der mir auf den Sonntag morgen einen Besuch versprochen hatte, Hermann61Hermann Kappeler junior (1858-1931), älterer Bruder Hedwigs. Ab 1892 verheiratet mit Maria Ida Ernestine Aepli (1866-1964); vgl. Stammbaum Kappeler, Materialien.schliessen erblickte. Wirklich hatte ich bis jetzt nur eine Überraschung über die andere. [3] Gestern in der Stunde war H[err] Kahl62Joseph Oskar Kahl (geb. 1843), Konzertmeister und Lehrer an der damals neugegründeten Musikschule. Kahl ist Hedwigs Geigenlehrer in Zürich. Er ist verheiratet mit Ida Kempin, einer Schwester von Walter Kempin-Spyri und somit Schwägerin von Dr. Emilie Kempin-Spyri, der ersten Juristin der Schweiz, Nichte von Johann Bernhard Spyri. Wohnhaft Zeltweg 27; BB 1879, 219; Zürcher Adressbuch 1877.schliessen mit meiner Etüde an der ich lernen mußte das Handgelenk zu gebrauchen ganz zufrieden, während ich eine Strichart nur nicht recht könnte. Sage den l[ieben] Grosseltern63Johann Jakob Wüest (1792-1885), Postdirektor und Oberrichter, und Maria Wüest-Merkle (1795-1887), Hedwigs Grosseltern mütterlicherseits; vgl. Stammbaum Wüest, Materialien.schliessen u. Tante Natalie,64Natalie Labhardt-Wüest (1823-1904), Hedwig Kappelers Tante mütterlicherseits, Schwester von Aline Kappeler-Wüest und Witwe von Philipp Gottlieb Labhardt; vgl. Stammbaum Wüest, Materialien.schliessen wenn es noch manchen Regensonntag gebe so werde ich ihnen schreiben u. für die Photographien noch selbst danken. Bitte sei so gut u. bettle mir auch noch, von Hermine,65Hermine Labhardt (geb. 1853), Hedwig Kappelers Cousine mütterlicherseits, Tochter von Philipp Gottlieb Labhardt und Natalie Labhardt-Wüest. Am 10. Juli 1878 Heirat mit Konrad Gottlieb Wilhelm Jänike; vgl. Stammbaum Wüest, Materialien.schliessen Klara66Es handelt sich hier wohl um Clara Keller (geb. 1872), die Tochter von Emil Keller und Aline Keller-Kappeler; vgl. Stammbaum Kappeler, Materialien.schliessen u. Onkel Labhardt,67Philipp Gottlieb Labhardt (1811-1874), damals bereits verstorbener Onkel Hedwigs, Ehemann von Natalie Labhardt-Wüest; vgl. Stammbaum Wüest, Materialien.schliessen auch von Onkel Rudolph68Johann Rudolf Kappeler, (1809-1888), Hedwigs Onkel väterlicherseits, wohnhaft in Frauenfeld; vgl. Stammbaum Kappeler, Materialien.schliessen u. Marie69Marie Luise Kappeler (geb. 1856), Hedwigs Cousine väterlicherseits, Tochter von Johann Rudolf Kappeler und Maria Katharina (Marie) Kappeler-Kessler. Heiratet am 3. Oktober 1877 Heinrich Adolf Bremi; vgl. Stammbaum Kappeler, Materialien.schliessen habe ich keine. Wie ist es auch mit dem Album? Haben bald alle hineingeschrieben? Dem l[ieben] Vater sage ich lasse ihm vielmal danken für seine Briefe und das Geld, ich werde alles pünktlich besorgen u. ihm die Rechnung wie er sie wünsche auf Ende Mai schicken und dann bei jener Gelegenheit ihm schreiben. Da ich noch die Wäsche verpacken [4] muß, will ich meinen Brief, der zwar kurz ist, beenden. Nochmals meinen herzlichsten Dank für die Geschenke u. Glückwünsche, Euch allen viele Grüße u. Küsse u. die vom Bernerhaus70Spätbarockes Herrschaftshaus in Frauenfeld, im 18. Jahrhundert Quartier der Tagsatzungsgesandten aus Bern, heute Bankplatz 5; Beat Gnädinger/Georg Spuhler, Frauenfeld, 267-270. - Wohnsitz der Grosseltern mütterlicherseits, Johann Jakob Wüest (1792-1885) und Maria Wüest-Merkle (1795-1887) sowie von Hedwigs unverheiratetem Onkel Jakob Hermann Wüest (1822-1919) und der ledig gebliebenen Tante Anna Friederike Wüest (1821-1920).schliessen u. auf der Promenade nicht vergessen.

Einen innigen Kuß und Gruß von Deiner Dich herzlich liebenden u. dankbaren
Kinde71Korrigiert aus "Tochter", deshalb "Deiner" statt "Deinem".schliessen Hedwig.

Ich hatte keine Zeit meine neuen Chemisetten72Weisser Einsatz bei Damenkleidern, Mieder.schliessen zu zeichnen.73Es war damals üblich, die eigenen Kleidungsstücke zur Kennzeichnung mit kleinen eingestickten Initialen zu versehen.schliessen Hoffentlich wirst Du sie sonst kennen. Schicke mir noch die Quittung für den Schullohn. Viele Grüße von Frau Spyri. Gestern haben wir die Spargeln verspeist, die doppelt so gut schmecken als zu Hause. Vielen Dank dafür. Wann geht Lisbeth74Lisbeth, im Brief HK1 "Lisabeth", wird in zehn Briefen von Hedwig gegrüsst. Sie ist offensichtlich die Hausangestellte bei Familie Kappeler-Wüest in Frauenfeld, die aber sehr familiär behandelt wird und z.B. auch ein Foto von Hedwig bekommt (vgl. HK12 und 13). Gemäss HK35 wohnt sie im Dachstock von Hedwigs Elternhaus.schliessen nach Einsiedeln? Sie könnte mich dann ganz gut besuchen, es ist gerade auf dem Weg. [4 am Rd.] Wie soll ich es denn machen mit der Rechnung für die Schuhe die [ich] jetzt dann kaufen werde?