Brief Nr. JS46 – 17.9.1899
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JS46 17.9.1899
Montreux 17 Sept[ember] [18]99
Pension Barbier.1473Das "Hotel Victoria - Pension Buret", Rue de la gare 23, wo Johanna Spyri in Montreux abzusteigen pflegte, hiess seit 7. April 1894 "Hotel Victoria et Pension Barbier"; vgl. das Kapitel zu Montreux in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen
Meine liebe Aline!

Vielen Dank für Deinen guten Brief, der mir kein Bischen zu lang war. Gewiß dachte ich auch, als die schönen Tage wieder kamen, es wäre in Engelberg noch schön gewesen, aber es ist mir nun auch recht so, Baden u. Traubenkur haben begonnen u. schöne Tage sind auch hier schön, die Gegend ist mir lieb. Als ich von Interlaken hierher reiste, war ich allein in einem Coupé mit einer Dame, die sehr baslerisch sprach. [2] Wir kamen in's Gespräch u. als sie hörte, ich sei in Grindelwald gewesen, sagte sie, eine Freundin von ihr sei auch da gewesen u. Frau Spyri aus Zürich, ob ich die auch gesehen habe. Da sagte ich ihr dann, die sei ich selbst, was sie so recht erstaunlich überraschte, daß sie es kaum glauben wollte, bis sie endlich zu der Mitteilung kam, dann sei ich ja gerade mit ihrer guten Freundin1474Hier ist Aline Kappeler-Wüest gemeint, die zuvor mit Johanna Spyri in Interlaken war.schliessen zusammen gewesen, sie sei Fräulein Iselin. Nun sagte ich ihr auch, daß ihr Name mir ja durch diese sehr bekannt sei u. so fuhren wir dann in bester Unterhaltung bis Bern, wo wir dann im Buffet der Eisenbahn noch friedlich zusammen [3] speisten, dann fuhr sie Basel zu, ich gegen Montreux. War das nicht ein ganz gemütliches Zusammentreffen? Da wir allein im Coupé waren, konnten wir ein rechtes Gespräch zusammen führen. Sie dachte wohl, ich schreibe zuerst an Dich, denn sie hat mir einen Gruß an Dich aufgetragen.

Meine Schulden werde ich Dir von Zürich aus abtragen, bis dahin hast Du gewiss noch Geduld mit mir. Ich muß mich aber wohl unklar ausgedrückt haben, denn ich wünschte einen undurchdringlichen Stoff für meinen Schwamm auf Reisen. Dieser so feine Stoff, den ich darauf probierte, war von dem gut ausgedrückten Schwamm sofort [4] ganz naß auch nach außen, wie Du den für einen Schwamm gebrauchen kannst, ist mir völlig unbegreiflich.

Nun hoffe ich, mußt Du nicht mehr lange so ganz allein bleiben, ich weiß, wie das ist. Vreneli1475Vreneli Vogelsanger (1854-1931) aus dem Schaffhauser Dorf Beggingen besorgte 24 Jahre lang den Haushalt von Johanna Spyri.schliessen schrieb mir, daß ihr die Kur gut getan u. daß der Doctor droben ihr gesagt, daß sie noch ganz ruhig daheim bleiben dürfe, sei die halbe Kur wert. Natürlich laß ich sie lieber jetzt ganz gründlich besser werden, als wenn dann im Winter wieder Elend käme. Wie es Dir wohl mit Deiner Bedienung geht? Nun leb wohl! Mein Brief ist gerade so lang geworden, wie der Deine.

Mit den herzlichsten [4 am Rd.] Grüßen Deine
Johanna.


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