Edition – drei Briefgruppen
Ist das nicht sonderbar! Diesen Augenblick habe ich ein Paket an Sie fertig gestellt, da legt mir das Mädchen1323Vreneli Vogelsanger (1854-1931) aus dem Schaffhauser Dorf Beggingen besorgte 24 Jahre lang den Haushalt von Johanna Spyri.schliessen Ihren Brief auf den Tisch. Wir müßen ganz zur selben Zeit unsere Gedanken uns zugeschickt haben. Nun will ich gleich zuerst Ihre Fragen beantworten:1324Johanna Spyri berät Ernst Kappeler bezüglich seiner bevorstehenden Hochzeitsreise (vgl. JS22). Ernst Kappeler und Marie Stephanie van Vloten heiraten am 21. September 1896.schliessen In Mailand habe ich Ihnen das Hôtel Rebechino empfohlen. Das letzte Mal logierte ich zwar, da kein Platz im R[ebechino] war, in Hôtel de Rom, wo ich recht gut u. ziemlich weniger teuer, als im R[ebechino] war. Es liegt auch gut, unweit vom Dom u. der Gallerie Vittorio Emanuele. In Florenz hat mir eine Schweizerdame sehr Hôtel Helvetia empfohlen, wo sie schon seit [2] Jahren immer logiert. Ich war in Hôtel de Rom, deutscher Wirth, sehr gut, etwas teuer. Wollen Sie volle 8 Tage bleiben, dann gehen Sie nach Pension Laurent, Via del Presto, Nr. 16 bei Sto: [Santo] Spirito. Mad[ame] Laurent ist eine sehr nette, deutsche Dame, nimmt aber Leute natürlich nur für 8 Tage wenigstens.
Nach Rom rate ich Ihnen durchaus nicht zu gehen, Sie müßten sich entschieden viel zu sehr ermüden u. Rom ist immer ein gefährlicher Platz, doppelt bei Ermüdung u. vor November, bei noch so leichter Empfindlichkeit gleich fiebergefährlich, ich habe dieß erfahren, wie ich mit Fräulein von Sehested1325Vermutlich handelt es sich um eine der zwei adligen Schwestern Sehested von Gut Broholm in Dänemark, Thyra (1840-1923), Historikerin und Schriftstellerin, oder Hilda (1858-1936), Komponistin, Töchter des Gutsbesitzers und Archäologen Niels Frederik Bernhard Sehested (1813-1882). Dieser war der Halbbruder von Helga Feddersens Vater Erik Wilhelm Kjaer. Die Italienreise mit den Damen von Sehested erwähnt Johanna Spyri in einem Brief an Bertha von Orelli vom 10. September 1876, vgl. auch HK1. Johanna Spyri besuchte ihre Freundin Helga sowie die Damen Sehested im Sommer 1876 (vgl. EK3); DBL XIII, 312, 319f., 327.schliessen dort war. Wir mußten am 9ten Tage fliehen, so waren Kopfweh u. Fieber bei der sonst Gesunden schon da u. der Arzt verbot ihr, vor dem November wieder zu kehren. Sehen Sie sich die Gallerien in Florenz recht an, dann werden Sie schon müde genug [3] sein, fahren Sie in die schönen Umgebungen hinaus, die viel schöner sind als die Umgebungen Rom's u. dann sehen sie sich noch den herrlichen Domplatz in Pisa an, dann sind Sie gewiß völlig müde genug, um sich nach einem Ausruhen an der unvergleichlich schönen Riviera zu sehnen. Nur nicht übermüden, sonst hört aller Genuß auf u. in Italien ist Uebermüden völliges Gift. Ich hätte auch große Freude, Sie irgendwo zu treffen, doch habe ich noch keine Idee, wo es sein könnte. Für einmal soll ich meine Freundin aus dem Norden1326Vermutlich Helga Josephine Frederikke Feddersen-Kjaer (1852-1936) aus Kopenhagen, Freundin von Johanna Spyri, verheiratet seit 1890 mit Dr. Berend Wilhelm Feddersen (1832-1918), Physiker und Privatgelehrter in Leipzig; Martin Henke, Flinke Funken, 9, 45ff.; NDB V, 40f.schliessen in Montreux treffen. Geht es ihr gut, so gehen wir nach den italienischen Seen, da werden wir einige Zeit in Suna1327Ferien- und Kurort am Lago Maggiore; vgl. das Kapitel zu Suna in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen bei Pallanza bleiben, wo ich im letzten Jahr seines Lebens mit Bernhard1328Diethelm Bernhard Spyri (1855-1884), einziger Sohn von Johann Bernhard Spyri und Johanna Spyri-Heusser. Studium der Rechte in Zürich, Leipzig (1875/76) und Göttingen (1877/78), während kurzer Zeit Tätigkeit als Sekretär der kaufmännischen Gesellschaft Zürich. Studium und Arbeit werden immer wieder durch Krankheit und Kuraufenthalte unterbrochen. Bernhard stirbt knapp 29jährig an Tuberkulose.schliessen verweilte. Es ist eine kleine, stille sehr hübsch gelegene Villa von einer Graubündtnerin1329Fräulein Ursolina Camenisch (1844-1920), Besitzerin der Pension Camenisch in Suna am Lago Maggiore, in welcher Johanna Spyri wiederholt zu Gast war. Elemente der Persönlichkeit und Lebensgeschichte der aus Celerina (Engadin) stammenden Camenisch sowie der Gegend um Suna liess Johanna Spyri in ihre zweiteilige "Dorigeschichte" - Was soll denn aus ihr werden (1887) und Was aus ihr geworden ist (1889) - einfliessen; vgl. das Kapitel zu Suna in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen gehalten, meistens deutsche Pensionäre. Fräulein Camenisch, [4] in Suna bei Pallanza ist die Adresse, wenn Sie etwa in die Nähe kämen. Den Holländer Voelsveld kenne ich nicht, wir müssen wirklich wieder einmal zusammen kommen, wir werden so viel zu besprechen haben! Nun adieu! Meine herzlichsten Grüße und Wünsche begleiten Sie auf Ihre Reise, auch mein besonderer Wunsch, daß Sie sich nur ja nicht zu viel zumuten u. sobald als möglich nach der herrlichen Riviera gehen, sich auszuruhen, schöner ist es eigentlich doch nirgends. Bordighera, San Remo, Cannes! Schöneres gibt's nicht in ganz Italien!
Wenn wir uns doch träfen an den Seen,1330Johanna Spyri meint hier wohl den Lago Maggiore, den Luganer- und den Comersee (vgl. JS22), Suna und Pallanza liegen am Lago Maggiore.schliessen wie wäre es nett! Schreiben Sie mir doch ein Wort, wenn Sie dort sind, so könnte ich Sie doch treffen, oder kommen Sie nach Pallanza, steigen Sie ab Hôtel de la Poste, das ich sehr gut kenne u, besuchen mich in Suna 20 Minuten von Pallanza bei Frl: Camenisch, oder noch besser, schreiben Sie mir ihre [4 am Rd.] Ankunft, so komme ich nach Pallanza, Hôtel de la Poste u. [3 am Rd.] wir reden Weiteres ab.
Auf jeden fall auf Wieder[2 am Rd.]sehen! Und immer, wo es auch sei in Freundschaft.