Edition – drei Briefgruppen
Deinen lieben Brief von heute will ich sogleich beantworten; einmal weil es mir Freude macht u. anderseits weil beim Liegenlassen oft eine so lange Zeit über die Dinge geht, daß man den Faden von Vielem ganz verliert. Vor Allem nimm meinen herzlichen Dank für deine Teilnahme an unserm bedauerlichen Erlebnis834Diethelm Bernhard Spyri war in Leipzig schwer erkrankt. Die Rede ist von einer Gelenkkrankheit, "welche dann das Herz angriff". Wahrscheinlich hing diese bereits mit einer Tuberkuloseinfektion zusammen; Rudolf Zimmermann, Worte bei der Beerdigung des seligen Diethelm Bernhard Spyri von Zürich, den 6. Mai 1884 von Dekan R. Zimmermann, Pfarrer am Fraumünster in Zürich; Brief Johanna Spyri an Bertha von Orelli, 10. September 1876; vgl. auch EK18.schliessen mit Bernhard.835Diethelm Bernhard Spyri (1855-1884), einziger Sohn von Johann Bernhard Spyri und Johanna Spyri-Heusser. Studium der Rechte in Zürich, Leipzig (1875/76) und Göttingen (1877/78), während kurzer Zeit Tätigkeit als Sekretär der kaufmännischen Gesellschaft Zürich. Studium und Arbeit werden immer wieder durch Krankheit und Kuraufenthalte unterbrochen. Bernhard stirbt knapp 29jährig an Tuberkulose.schliessen Als ich so die langen Tage an seinem Krankenbett in Leipzig saß, war es mir wirklich manchmal, als müßte ich den Stunden nachhelfen können mit meinem innern Verlangen, daß sie eilen u. die Zeit herbeibringen möchten, da ich Bernhard heimbringen u. auch selbst wieder da einziehen könnte. Nun sind wir wieder da obschon ich mit Freuden an viele schöne Tage denke, die ich in Dänemark genoßen, so bin ich doch unsäglich froh, nun daheim u. mit meinem Jungen im alten Geleise zu sein, wo er, wenn auch langsam, doch jeden Tag ein wenig vorwärts kommt. Da er noch immer ganz das Haus hüten muß, ist es ihm sehr kurzweilig eine Pflegeschwester836Hedwig Kappeler (1860-1932), Tochter von Oberst Hermann Kappeler und Aline Kappeler-Wüest. In den Jahren 1876 bis 1878 Schülerin an der Höheren Töchterschule in Zürich und Pflegetochter bei der Familie Spyri. Anschliessend verbrachte Hedwig Kappeler ein Jahr in Genf, dann ging sie als Lehrerin nach England. Später engagierte sich Hedwig Kappeler in der bürgerlichen Frauenbewegung. Johanna Spyri blieb sie bis zu deren Tod 1901 eng verbunden und unternahm mit ihr Reisen nach Deutschland und Italien.schliessen da zu haben, die er dann auch mit allen Seiten seines Wesens bekannt macht, so daß sie ihn bald im Aerger über sein Unwohlsein, bald in Anfällen eines großartigen Unsinns zu ertragen hat. Es ist mir eine besondere Freude, daß ich einige Tage bei Euch zubringen könnte, ich hoffe, bis dahin sei mein Junge so weit, daß ich von Hause weg kann.
Unsere Pflegetochter837Hedwig Kappeler (1860-1932), Tochter von Oberst Hermann Kappeler und Aline Kappeler-Wüest. In den Jahren 1876 bis 1878 Schülerin an der Höheren Töchterschule in Zürich und Pflegetochter bei der Familie Spyri. Anschliessend verbrachte Hedwig Kappeler ein Jahr in Genf, dann ging sie als Lehrerin nach England. Später engagierte sich Hedwig Kappeler in der bürgerlichen Frauenbewegung. Johanna Spyri blieb sie bis zu deren Tod 1901 eng verbunden und unternahm mit ihr Reisen nach Deutschland und Italien.schliessen ist uns allen lieb, als gehörte sie zu uns; meine Bemerkungen, wie ich sie meiner eigenen Tochter machen würde, nimmt sie freundlich auf u. hat mir noch nie den leisesten Grund zu einer Rüge gegeben. Möge das Mädchen so natürlich u. harmlos bleiben, so grad u. recht fühlend, so wird sie mit ihrer gesunden Begabung u. ihrem lebendigen Streben einen Weg machen, der ihr u. ihren Eltern838Hermann Kappeler (1808-1884), Oberst, Kaufmann und Verwaltungsratspräsident der Thurgauischen Hypothekenbank, und seine zweite Frau Aline Kappeler-Wüest (1829-1923), Eltern von Hedwig Kappeler; vgl. Stammbäume Kappeler und Wüest, Materialien.schliessen zur Freude werden muß, denn ich werde sie überallhin mit dem herzlichsten Interesse begleiten.