Edition – drei Briefgruppen
Da sitze ich nun ganz allein bei meiner Lampe u. soll gleich Thee trinken, aber ich habe nicht die mindeste Lust dazu, so ganz allein862Hedwig verbrachte ihre Ferien, in diesem Fall die Frühlingsferien vor Beginn des zweiten Schuljahrs, jeweils zuhause in Frauenfeld. Johanna Spyri vermisste während dieser Zeit ihre Anwesenheit, den gemeinsamen abendlichen Tee und die Lektüre (s. auch EK2, EK9, EK17).schliessen nach all diesen Tagen großer Geselligkeit u. namentlich nach der Abreise meines Jungen,863Diethelm Bernhard Spyri (1855-1884), einziger Sohn von Johann Bernhard Spyri und Johanna Spyri-Heusser. Studium der Rechte in Zürich, Leipzig (1875/76) und Göttingen (1877/78), während kurzer Zeit Tätigkeit als Sekretär der kaufmännischen Gesellschaft Zürich. Studium und Arbeit werden immer wieder durch Krankheit und Kuraufenthalte unterbrochen. Bernhard stirbt knapp 29jährig an Tuberkulose.schliessen der heute früh uns verlassen u. den ich schrecklich vermisse.864Diethelm Bernhard Spyri ist studienhalber nach Göttingen abgereist; vgl. Brief Diethelm Bernhard Spyri an Aline Kappeler-Wüest, 9. April 1877, Materialien.schliessen Bernhard meinte bis auf den letzten Tag, er sollte einmal schnell, so ganz unvermerkt nach F[rauenfeld] gleiten können.865Diethelm Bernhard Spyri schreibt kurz vor seiner Abreise nach Göttingen an Aline Kappeler-Wüest: "Wenn ich mir meine nahe Abreise vergegenwärtige, so kann ich mich kaum dem Wunsch entziehen, Ihrem Hause, wo ich so schöne Tage verlebte noch einen Besuch abzustatten. Ich bitte Sie daher inständig, sich nicht al[l]zu sehr zu entsetzen, wenn ich eines schönen Nachmittags Ihnen plötzlich noch einmal in's Haus fiele. Es will mir eben gar nicht in den Kopf, daß ich Sie u. Ihre Familie, für die ich in so kurzer Zeit so große Zuneigung faßte, grade in dem Moment auf lange Zeit verlassen soll, wo es gemüthlich wurde."; Brief Diethelm Bernhard Spyri an Aline Kappeler-Wüest, 9. April 1877, Materialien.schliessen Von seinen schönsten Tagen, die er jetzt in der Heimat verlebt, waren entschieden die bei Euch. Seit er nun weg ist, ist alles wie ausgestorben. Letzte Woche hatten wir noch Brautessen.866Es handelt sich vermutlich um die Verlobungs- oder Hochzeitsfeier von Lina Elisabeth Spyri (geb. 1850), der ältesten Tochter von Johann Ludwig Spyri und Nichte von Johann Bernhard Spyri.schliessen Wir waren hier den Abend durch meistens in hellem Gelächter, da Bernhard alle Seiten [sic!] aufzog, um die Gesellschaft zu unterhalten. Er gab unter anderm auch seinen ersten Familientoast los, der gut herauskam, wenigstens humoristisch genug, sogar der Herr Onkel867Möglicherweise Johann Ludwig Spyri (1822-1895), Brautvater und Bruder von Johann Bernhard Spyri oder dessen Halbbruder Georg Jakob (Jacques) Spyri (1827-1901), der als "Onkel Oberst" überliefert ist.schliessen war fortwährend in hellem Lachen. Jetzt ißt man gar nichts mehr bei uns, heut am Mittagstisch las mein Mann868Johann Bernhard Spyri (1821-1884), Stadtschreiber von Zürich und Ehemann von Johanna Spyri; vgl. Regine Schindler, Spurensuche, 349 und Stammbaum, 341; HBLS VI, 484.schliessen so stramm seine Zeitung, daß er das Essen vollständig vergaß u. ich hatte von Anfang an schon genug.