Edition – drei Briefgruppen

Brief EK78 – 12.6.1890
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EK78 12.6.1890
Zürich 12. Juni 1890
[An Hedwig Kappeler]

Ich bin länger, als ich dachte, weggeblieben. Jedermann findet nun, es erwarte mich niemand daheim, ich könne immer noch eine Woche oder auch nur einige Tage zugeben. So meinten es die Bremer Freunde,1071Johanna Spyris Beziehungen zu Bremen sind vielfältig und reichen bis in ihre Jugend zurück: Elisabeth (Setli) Wichelhausen-Gessner (1785-1858), eine Cousine der Mutter Meta Heusser-Schweizer, in deren Haus die junge Johanna Heusser ihre Bildungszeit in Zürich verbracht hatte, war mit einem Bremer Kaufmann, Johann Wichelhausen (1773-1838), verheiratet. Dessen Schwester Helene Schöne-Wichelhausen (geb. 1766) war die Patin von Johanna Spyris Bruder Christian Heusser. Deren Enkelin heiratete 1844 den Pastor Cornelius Rudolf Vietor (1814-1897), Pfarrer an der Kirche Unser Lieben Frauen in Bremen von 1855 bis 1886, der seinerzeit Johanna Spyri zum Schreiben angeregt hatte. Die Töchter Vietor, namentlich Helene (1846-1933), standen Johanna Spyri sehr nahe, den Bruder Friedrich Martin Vietor (1845-1909), Pfarrer in Köln-Kalk, nennt sie in ihren Briefen liebevoll "Vetter Fritz". Der Theologe und Volksschriftsteller Otto Funcke (1836-1910), Pfarrer an der neu erbauten Friedenskirche, der zweiten wichtigen Kirche in Bremen, war ebenfalls mit Johanna Spyri bekannt. Er reiste häufig in die Schweiz, wie er in seinen Reisebüchern berichtet, und plante wenigstens einmal, Johanna Spyri zu besuchen (s. EK44). Ausserdem lebte in Bremen Franz Michael Zahn (1833-1900) - ein Enkel von Anna Schlatter-Bernet (1773-1826), die mit Johanna Spyris Mutter eng verbunden war - welcher von 1862 bis zu seinem Tod Inspektor der Norddeutschen Mission in Bremen war. Welche "Bremer Freunde" hier gemeint sind, bleibt offen; zu Johanna Spyri und Bremen s. Regine Schindler, Spurensuche, 159-179; Dieter Richter, Johanna Spyri und Bremen; Cornelius Rudolf Viëtor, Lebenserinnerungen.schliessen denen ich Rendez-vous in Montreux1072Kurort am Genfersee, wo sich Johanna Spyri während vieler Jahre immer wieder aufhielt und zuhause fühlte; vgl. das Kapitel zu Montreux in: Regine Schindler, Johanna Spyri. Neue Entdeckungen und unbekannte Briefe.schliessen gab, um so mehr, weil ich ja doch nie nach Deutschland komme. In Montreux war Professor Cremer1073Hermann Cremer (1834-1903), evangelischer Theologe aus erwecklich geprägtem Elternhaus, Pastor und Professor für systematische Theologie in Greifswald, "Haupt der Greifswalder Schule"; RGG4 II, 492f. Hermann Cremer war befreundet mit dem Theologen Adolf Schlatter (1852-1938), einem Enkel von Anna Schlatter-Bernet (1773-1826), welche für Johanna Spyris Mutter Meta Heusser-Schweizer prägend war.schliessen eben verreist. Meine Bremer konnten nicht genug bedauern, daß ich zu spät kam, ihn predigen zu hören u. ihn kennen zu lernen, sie sind ganz entzückt von ihm.

Nun sitze ich wieder fest u. bleibe den Sommer daheim, ich muß nun ernstlich ans Arbeiten denken, sonst habe ich auf Weihnachten gar nichts.1074Im Jahr 1890 erschien sowohl "Cornelli wird erzogen" als auch der Erzählband "Keines zu klein, Helfer zu sein".schliessen