Brief Nr. 96 – 18.9.1866
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96 18.9.1866
Patagones 18 t. September 1866
Liebe Mama, Tante Regeli und Geschwister!

Euern Brief vom 28t. März habe ich vor wenig Tagen hier in Patagones erhalten, und ich freute mich, daß es endlich soweit gekommen ist, daß einem meiner Briefe eine unmittelbare Antwort folgt, so daß nicht durch Verpassen Eines Postschiffes drei bis vier Monate verloren gehen, was leicht möglich ist bei meinen steten Wanderungen.

Eine schöne Reise habe ich hinter mir, und das kann ich allerdings mit gutem Gewissen sagen, daß ich mein gegenwärtiges Leben gegen keine Reichthümer in Europa vertauschen würde, wenn der Besitz derselben an das Leben im Elsäßer653In der Wirtschaft "Zum Elsässer" hatte Heusser in seiner Zürcher Zeit manche Stunde verbracht. Hier ist der "Elsässer" für ihn wohl Inbegriff kleinbürgerlicher Zürcher Verhältnisse.schliessen oder in einer anderen Krämerbude gebunden wäre.

Südlich vom Thal des Rio Negro, an welchem das Städtchen Carmen de Patagones oder schlechtweg Patagones liegt, giebt es keine Argentinische Niederlassungen mehr, sondern nur zwei Englische an den Flußmündungen von Sta. Cruz und Chubut und eine Chilenische an Punta Arenas nahe an der Magellans-Straße. Theils weil kein Rindvieh hier weidet, also Nichts zum Rauben vorhanden, theils weil die Indier, die hier wandern und ein reines Nomadenleben führen (— es ist dies der früher schon von mir erwähnte Stamm der großen Tejuelches —) von Natur aus gutmüthig, durch ihre Berührung mit den Europäern sehr an gewisse Bedürfnisse gewöhnt und im freien Genuß der campos (der Felder, des Landes) noch nicht sehr beschränkt sind, so daß sie die Europäer oder auch Argentiner nicht als ihre natürlichen Feinde ansehen, sondern gerne hie und da mit ihnen in Berührung kommen, um jene wenigen Artikel, die ihnen Bedürfniß geworden, (Yerba, Tabak etc) einzutauschen. Aus diesem Grunde war die Messung und Reise, die ich in den verflossenen Monaten Juni und Juli gemacht, viel weniger gefährlich als andere frühere:

Der Messung die ich gemacht wird kaum schnell Besitznahme und Ansiedelung folgen, sondern es handelte sich darum ein altes Recht zu sichern. In den Zwanziger Jahren hatte ein Franzose mit der hiesigen Regierung einen Contrakt gemacht, wonach die Regierung einen Complex Land von etwa 80 leg. abtreten, und der Franzose dafür eine Colonie bringen sollte. Letzterer brachte die Colonisten, litt aber an der schlimmen Patagonischen Küste Schiffbruch und ging mit Mann und Maus verloren. Nun wollen die Enkel des Franzosen das alte Recht geltend machen, und darum meine Messung. Der Landstrich liegt an der Küste etwas südlich vom Rio Negro am [S.2] Hafen von San Antonio. Die Entfernung vom Städtchen Patagones bis zu diesem Hafen wird etwa 50 bis 60 leg. sein. Diesmal rückte ich mit einem kleinen Zelt aus (— das erste Mal auf meinen bisherigen Wanderungen —) das auf einem Lastthier leicht mitgeschleppt werden kann; denn die Kälte dieser Breiten ist doch bedeutend intensiver als im nördlichen Theil der Provinz; und ein 4 Tage anhaltender temporal (man kann dies nicht mit einem Wort übersetzen, es ist ein mit Regen begleiteter oder von Regen unterbrochener Sturmwind), sowie eine darauf folgende trockene Kälte (um Johannistag herum) ließen mich jene Vorsichtsmaßregel nicht bereuen. Allerdings ist die Vegetation jener Campos so beschaffen und wer dort gereist hat, so geschickt um im Augenblick kleine Hütten zum Schutz gegen Sturm und Regen aufzuschlagen, daß ich auch ohne Zelt ausgekommen wäre, und mein Schutz gegen die Kälte war ein quillango von guanaco, wie Ihr dieselben heute kennen werdet, so vortrefflich warm wie keine wollene Decke. Die Vegetation ist eine niedrige baum- oder mehr gesträuchartige. Die Stämme der meisten Gesträucher sind ganz niedrig, die Äste dehnen sich gleich über dem Boden fast horizontal aus und bilden ein eigentliches Dickicht; wenn man von denselben vom Boden aus mit dem Messer erst soviel weggeschnitten hat, daß man sich darunter verkriechen kann und zwar auf der dem Wind entgegengesetzten Seite, wenn man außerdem oben über das Gesträuch eines jener ziemlich wasserdichten Indianer-Gewebe oder irgendein Fell ausspannt, so ist das Obdach hergestellt. — Interessant waren gleich die ersten Tage, während welchen eine einzelne Indianer-Familie mit uns reiste. Nach dem Städtchen Patagones kommen gewöhnlich diese Tejuelches unter einem Häuptling, 12 bis 15 oder mehr Familien zusammen, so viele als eben zu demselben gehören. Wenn sie aber von Patagones weg wieder nach den Campos gehen, so trennen sie sich in beliebige kleinere Gruppen oder sogar einzelne Familien, um sich nachher zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort wieder zusammenzufinden. Denn in dem ganzen großen Bereich zwischen Atlantischem und Stillen Ocean, Rio Negro und Magellansstraße sind diese Indier so vaqueanos, d.h. kennen so genau Fleck für Fleck, und wissen so sicher auf kürzestem Weg, wo sie immer wollen, einzutreffen, wie ein Postillon auf gebahnten Straßen Europas. Ein schönes Beispiel, wie ausgebildet bei den Indianern der Sinn ist, sich alle möglichen Naturgegenstände einzuprägen, hatte ich an meinem vaqueano. Vaqueano heißt ein einer Gegend Kundiger; als vaqueano nach meinem Bestimmungsort hatte ich einen jener Indier, die hier als sogenannte Indios amigos (befreundete Indianer) etwa [S.3] 5 leg. vom Städtchen Patagones leben und von der Regierung Sold beziehen. Er gehört nicht den Tejuelchos an sondern stammt vom obern Rio Negro und hatte die Reise nach San Antonio vor 10 Jahren auf einer boleaia, d.h. auf einem Ausflug um avestruz und guanaco zu boliren (jagen), gemacht. Bevor ich diesen vaqueano annahm hatte ich meine Zweifel, und als ich ihm dieselben aussprach, antwortete er mir: wir sind nicht wie die cristianos, wenn wir einen Weg Einmal gemacht haben, so kennen wir denselben für immer; dann beschrieb er mir den Lauf der Küste, die Höhen und Tiefen, und einen Gebirgszug, der die südliche Grenze des Landes bildet, das ich messen sollte, so genau, daß ich Zutrauen zu ihm faßte; und in der That rechtfertigte er mein Zutrauen vollkommen. Mein vaqueano hieß Manzano d.h. zu deutsch Apfelstamm; ohne Zweifel gehört er einer tribus aus den manzanas d.h. Apfelwäldern an, welche Rio Negro aufwärts am Fuß der Cordilleren sich befinden.

Um nun auf jene Familie von Tejuelches zurückzukommen, die uns im Anfang einige Tage begleitete, so bestand dieselbe aus Mann, Frau und einem Buben von nahe an zwei Jahren; außer den Pferden, die beide Ehegatten ritten hatten sie einige weitere Pferde und ein Lastthier, auf welchem sie die in Patagones eingekauften Schätze mitschleppten. Das Lastthier zu laden und zu entladen ist Sache der Frauen und sie haben darin eine große Geschicklichkeit; nicht bloß todte Dinge werden aufgeladen, sondern selbst lebende Wesen, Hühner, kleine Hunde, Katzen etc. Oft reiten die Weiber sogar selbst oben auf dem kameelartig beladenen Pferd und besteigen dasselbe auf verschiedenen längern und kürzeren um den Hals des Pferdes gezogenen Schlingen oder Bändern. Im vorliegenden Fall ritt allerdings die Indierin mit ihrem Sohn auf einem besondern Pferd und Abends, wenn man an dem Punkt, wo Halt gemacht wurde, angekommen war, wurde dem Söhnchen auch das Vergnügen erlaubt, allein auf einem Pferd umher zu traben: So kann man denn fast wörtlich sagen, diese Indier werden auf dem Pferd auferzogen, und begreift, daß sie nicht bloß gute Reiter werden, sondern auch die Natur eines Pferdes kennen lernen müssen; in der That erreicht die Zahmheit der Pferde und Anhänglichkeit an ihren Herren bei diesen wandernden Indianern nicht bloß einen viel höhern Grad als bei den hiesigen Gauchos sondern sogar wohl einen höhern, als beim Europäischen Reiter oder Bauer. Wenn der Gaucho in den wenig bevölkerten Gegenden drinnen reist, so nimmt er immer eine tropilla mit, d.h. eine gewisse Anzahl Reit-Pferde, die zusammen an eine Stute gewöhnt sind und dieselbe nie verlassen. Abends, wenn Halt gemacht wird, legt man der Stute die manea an, d.h. man bindet ihr die Vorderbeine zusammen, damit sie nicht weit laufen kann, und so ist man sicher, des Morgens sämtliche Pferde nahe an der Stelle anzutreffen, wo man schläft. Man nennt daher die Stute ganz allgemein den Schlüssel zur Tropilla, und ohne die Stute reist der gaucho nicht. Diesen [S.4] Schlüssel aber brauchen die Tejuelches nicht; ihre Pferde sind so zahm, daß sie sich des Nachts nicht weit von der aufgeschlagenen Hütte entfernen; oder aber, wenn sie es auch z.B. des bessern Grases wegen thun, des Morgens von selbst als wie zur Familie gehörig dahin zurückkehren. Ich habe dies selbst gesehen, sonst würde ich es nicht erzählen. —

Nach wenig Tagen verließ mich die Indianerfamilie und es ging nun mit 8 Gauchos und jenem Indier Manzano als vaqueano weiter. Lebensmittel hatte ich fast keine mitgenommen, sondern war wie die Gefährten auf die Beute der Jagd, oder auf Pferdefleisch angewiesen. Letzteres schmeckt mir zwar nicht, ich habe einen unbegründeten aber unüberwindlichen Ekel dagegen. Trotzdem kam ich einige Male in den Fall etwas zu essen, wenn die Jagd Tage lang Nichts brachte. Wenn ich von der Jagd spreche, so ist darunter nicht etwa Jagd mit der Feuerwaffe zu verstehen, sondern mit den boleadores, d.h. zwei durch eine starke Schnur mit einander verbundene Kugeln von Stein oder Metall. Irgend ein Thier, das von dieser Schleuderwaffe getroffen wird, stirbt nicht durch den Anprall des Steins, sondern wird durch die Schnur so verstrickt, daß es nicht mehr schnell laufen kann; dann eilt der Jäger zu Pferde nach und erlegt das Wild mit dem Messer. Das gewöhnlichste Wild in jenen Gegenden ist das guanaco, das ich in Rudeln von Hunderten beisammen gesehen habe; auch diese Guanaco-Heerden haben die Gewohnheit wie die Gemsen, auf erhöhten Punkten männliche Individuen als Wachen auszustellen; wenn ein Feind sichtbar wird, so giebt die Wache dies durch ein eigenthümliches Pfeifen zu erkennen. Feinde dieser guanacos sind nicht etwa bloß die bolirenden Indier, sondern namentlich die Löwen. Das Fleisch des guanaco, wenn fett, ist recht schmackhaft. Noch besser ist der Vogel Strauß, dem aber wegen der werthvollen Federn die Indier sehr nachstellen, und der darum auch in jenen menschenleeren Gegenden schon nicht mehr sehr massenhaft sich findet. In Unmenge kommt dagegen der hiesige Haase vor, der aber ein sehr trockenes und geschmackloses Fleisch hat; da auch das Fell zu Nichts taugt, so wird demselben wenig nachgestellt.

Von der Natur ist das Patagonische Hochland stiefmütterlicher begabt, als die Pampas-Ebene; jenes besitzt nicht den Grasreichthum, sondern ist viel öder, unfruchtbarer, doch ist es immer noch etwas besser als sein Ruf, stellenweise kommen doch auch sehr grasreiche Wiesen vor, und [S.5] diese werden von den Hiesigen pampas genannt. Ganz besonders schön sind aber in der Patagonischen Formation die Flußthäler, so der Rio Colorado und Rio Negro, von denen ich früher schon geschrieben. Nirgends bildet die Patagonische Formation so annähernd eine mathematische Ebene, wie die Pampas, sondern es findet sich vielmehr Abwechslung von Höhen und Tiefen. Den südlichsten Punkt des Landes, das ich zu messen hatte, bildet sogar ein ziemlich beträchtlicher Bergzug (etwa 1500 Fuß hoch), der auch keineswegs vereinzelt ist, sondern wie es nach den Aussagen der Indier scheint, der letzte Ausläufer von den Cordilleren her ist. Ein großer Nachtheil des Patagonischen Landes ist der Mangel an Wasser. Im Winter zwar fehlt es an sogenannten lagunas nicht; es sind dies aber weiter nichts als muldenförmige Ansammlungen von Regenwasser; im Sommer aber versiegen dieselben und dann ist das Reisen in diesen Gegenden fast unmöglich. Hochland nennen wir das Patagonische Land im Vergleich zur Pampas-Ebene, und im Gegensatz zu den Flußthälern, und auf diesem Hochland ist ohne Zweifel das Wasser überall sehr tief, und dies ein Grund mehr, warum weit der größte Theil Patagoniens kaum je stark bevölkert werden, sondern vielleicht noch lange Zeit von diesen Nomaden-Indianern bereist werden wird. Diese feste Hoffnung haben sie auch, freilich aus einem andern Grunde: in der erwähnten Gesträuch-Vegetation finden sich einige Pflanzen mit furchtbar scharf gespitzten und starken Dornen oder Stacheln (namentlich cactus); die Pferde der Tejuelches nun, außerdem daß sie sehr zahm, sind auch, in diesen campos aufgewachsen, ungemein gewandt beim stärksten Rennen diese Dornen-Gewächse zu vermeiden. Pferde dagegen, die von den gesträuchlosen Pampas-Wiesen herkommen, können im Patagonischen Land nicht rennen, sondern verwunden sich sehr leicht, oft schon beim langsamen Gehen, namentlich des Nachts, wie ich dies zu meinem Leidwesen selbst erfahren habe. Das Haupt der oben beschriebenen Familie fragte mich nun mit naivem Lächeln, was ich meine, ob wohl je die "Nationen" (so nennen sie die Europäer) sie aus diesen campos vertreiben werden, da ja nicht einmal die Pampas-Indianer, die doch auch gut zu Pferde seien, ihnen etwas anhaben können? Von der Messung selbst weiß ich nichts Interessantes mitzutheilen. Wir kamen glücklich am Ziele an und zwar am 24t. Juni und tauften daher diese letzte laguna, an der wir Halt machten "laguna de San Juan" (Johannis-See). Die Nächte waren lang, das ist wahr, doch verstrichen sie mir noch erträglich, dank einem meiner Peone, den ich wie alle andern durch Zufall in Patagones gemiethet hatte. Er war ein Indier aus Corrientes, von Bonpland654Der Botaniker Aimé Bonpland (1773-1858) begleitete Alexander von Humboldt auf seiner Südamerika-Reise von 1799 bis 1804. Nach einigen Jahren in Paris ging er 1817 wieder nach Südamerika und lebte da bis zu seinem Tode.schliessen (dem Begleiter Humboldts) erzogen, und Jahre lang bis zu Bonplands Tod dessen Leibdiener. Er kann nicht bloß lesen und schreiben, sondern hat ziemlich allgemeine Bildung, ist vielfach mit Bonpland in Brasilien und der Banda Oriental gereist, hat Beobachtungsgabe, weiß viel zu erzählen und war von Bonpland wie ein Europäischer Bedienter dressirt; auch mich bediente er zuvorkommend auf alle Weise, was keineswegs Art der Gaucho ist, und ich kann sagen, daß ich hier im Argentinischen Lande noch auf keiner Reise so gut bedient war, wie auf dieser. Nach Bonplands Tode, verkam der gute Anjel(dies ist sein Name) gänzlich durch Saufen, und so gelangte er weiß Gott wie nach Patagones. Ich gewann ihn sehr lieb und nahm [S.6] ihn auch als wir von der Messung zurückkamen sogleich in Dienste in meiner Estancia am Rio Negro. Leider gieng es aber nicht lange. Die Entfernung der Estancia vom Städtchen Patagones (etwa 10 leg.) ist so gering, daß Anjel sich mit Leichtigkeit Getränke verschaffen konnte, und darum gieng es nicht. Ich habe besoffene Studenten, besoffene Knoten,655Studentensprachlich für "Spiessbürger".schliessen besoffene Europäische Einwanderer in Süd-Amerika gesehen; dies Alles aber ist Nichts im Vergleich mit dem stierartigen Zustand, in den die Indianer sich hineinsaufen.

Nach dieser Abschweifung kehre ich zur laguna de San Juan zurück, wo wir einige Tage ausruhten, oder vielmehr die Pferde ausruhen ließen. Die laguna war vier Tage lang hartgefroren, dann kam ein warmer Tag und sie thaute etwas auf. Beim Antreten der Rückreise hatte ich dasselbe Gefühl, wie vorher schon auf jeder halbwegs gefährlichen Reise; wenn man nur den Fuß ansetzt um den letzten Punkt zu verlassen und zurückzukehren, so glaubt man es sei schon Alles gewonnen, es sei keine Gefahr vorhanden; auf der Hin-Reise schwebt einem der letzte unbekannte Punkt, wenn auch oft mit Unrecht als der gefährlichste vor; auf der Rückreise hat man keinen unbekannten Punkt mehr vor sich und glaubt sich ganz geborgen. Diesmal sollte ich aber doch noch ein kleines Abentheuer bestehen und zwar gleich am ersten Tag. Es war der 30t. Juni; Manzano rückte voraus, um, wie er es schon auf der Hinreise immer gethan, eine passende laguna zum Nachtlager aufzusuchen. Da ich nicht mehr mit der Messung beschäftigt war begleitete ich ihn. Wir fanden bald nach Mittag eine solche laguna, sattelten ab, streckten uns auf unsere Sättel hin, und steckten einen dürren Dornbusch in Brand, um durch den Rauch den andern unseren Aufenthalt zu erkennen zu geben. Sie kamen aber lange nicht; es wurde Abend und bald dunkel und sie waren noch nicht da. Manzano stieg auf einen etwas erhöhten Punkt, um zu sehen ob vielleicht die Gefährten ihrerseits Rauch machten um uns zu rufen; er blieb aber nicht lange, sagte die gauchos seien schlechte compañeros (Gefährten) und machen uns keinen Rauch. Ich aber blieb lange auf jenem Punkt stehen und spähte nach allen Seiten in der Überzeugung, daß wenigstens Anjel mir Zeichen machen würde. Erst bei finsterer Nacht kehrte ich zu meinem Sattel zurück, auf dem ich aber keinen weitern Schutz vorfand als ein solches Indianer-Gewebe (puncho) wie ich einige nach Hause geschickt; der quillango aber war auf dem Lastthier mit den übrigen Gefährten gewandert. Es war die Nacht vom 30t. Juni zum 1t. Juli, also diejenige Nacht in Südamerika, die physikalisch-klimatisch der Neujahrsnacht in Europa entspricht. Kalt war sie gerade nicht im Vergleich mit den vorangegangenen, aber doch so kalt, daß ich auf meinem Sattel keinen Schlaf finden konnte. Ich machte daher ein Feuer an, und saß die ganze Nacht durch halbwachend, halb träumend an demselben; einmal war es mir, als ob ich die Neujahrsglocken hörte; darüber erwachte ich und fand mich in jener Einsamkeit. Banger Gefühle konnte ich mich allerdings nicht enthalten: wenn den Andern etwas zugestoßen, wie sollten Manzano und ich mit bloß zwei Pferden zurückkehren; wenn dieselben uns absichtlich im Stiche gelassen, so war zum mindesten die Rückkehr mit solchen Gefährten nicht angenehm. Die Nacht umdüstert [S.7] natürlich Alles noch mehr, und lang war jene Nacht, sehr lang. Endlich brach aber doch der Morgen an und mit ihm die Hoffnung. Manzano brach auf um die Gefährten aufzusuchen; er fand bald die Spur der Pferde, verfolgte dieselbe und erreichte so das Nachtlager der Übrigen. Alle begleiteten ihn um mich zu holen und an den frohen Gesichtern erkannte ich gleich bei ihrer Ankunft, etwa um Mittag, daß kein böser Wille mit im Spiel gewesen war. Die Sache verhielt sich folgendermaaßen: Als Manzano und ich am vorigen Morgen früh vorausritten, hatten die Andern, die von uns eingeschlagene Richtung nicht genau beobachtet. Ich stieg verschiedene Male vom Pferd, um einige Steine anzuschlagen und so gieng mein Marsch mit Manzano etwas langsam; die andern aber am ersten Tag der Rückkehr beeilten sich auch mit den Lastthieren ziemlich, schlugen eine etwas andere Richtung ein, und kamen in der Hauptrichtung uns bald zuvor. Als wir den ersten Rauch machten, waren sie schon voran, und spähten nach dem Rauch nicht rückwärts, sondern vorwärts, und sahen daher unsern Rauch nicht. Sie kamen sehr weit und vermutheten erst gegen Abend, daß uns etwas zugestoßen sei; dann lagerten sie an einer laguna und machten wirklich auch Rauch, den aber Manzano nicht sah, weil er sich wenig Mühe gab und weil es wirklich ein finsterer Tag war. Nachher kamen wir glücklich, ohne weitere Abenteuer, aber auch ohne irgendwelche erwähnenswerthe Zwischenfälle in kurzer Zeit an den Rio Negro zurück. — Es war fast um Mitte Juli und somit die höchste Zeit um die Arbeiten des Weinbergs in meiner Estancia vorzunehmen; daran gieng ich auch mit Energie und stellte zu gleicher Zeit 8 Peone an, ein Gemisch von nicht weniger als sechs Nationen (2 Schweizer, 2 Deutsche, je Ein Italiäner, Franzose, Belgier und Argentiner) worunter aber die Schweiz wenigstens zur Hälfte traurig vertreten war: ein Walliser Cretin der als er einmal einen gaucho mit einem Kind im Arm vorbeireiten sah, fragte: ob es in diesem Lande auch Kinder gebe. Zwei Jahre lang hatte er nämlich keines gesehen, weil an diese entlegenen Punkte in der Regel eben nur erwachsene Männer gehen. — Jenes Mischmasch von Nationalitäten führte dort bald den Europäischen Krieg im Kleinen aus, und ich reduzirte mich auf das Schweizerische und Deutsche Element; die Arbeiten giengen gut vorwärts; es ist ein schönes fruchtbares Land, und ich freue mich jedes Mal von neuem, wenn ich meine "Chuia Muerta" (todte Indierin, weil dort vor einigen Jahren eine Indierin erschlagen worden) [S.8] betrete. Allerdings hat mich dieselbe viel Geld gekostet, was mich seit dem mit Paraguay ausgebrochenen Krieg656Über diesen Krieg und seinen Verlauf schreibt Heusser ausführlich in den Briefen vom 8. August 1868 und 25. Mai 1869.schliessen in einige Verlegenheit gebracht. So wie aber der Krieg zu Ende gehen wird, was in naher Aussicht steht, wird auch wieder mehr Geld in Circulation kommen, und wenn ich erst meine Estancien schuldenfrei habe, werde ich wohl mehr Land besitzen, nicht bloß als dem Dichter Schiller bei der Vertheilung der Erde zugefallen, sondern selbst mehr, als bei einer unpartheiischen Vertheilung nach der Kopfzahl dem einzelnen Menschen zufallen würde. Somit kann ich mich nicht stark beklagen. Grundbesitz ist doch der schönste und sicherste, den es giebt.

In Eurem Brief schreibt Ihr von Geschenken auf's Neujahr; da weiß ich wahrhaftig nicht zu antworten; meine Bedürfnisse sind gering; was ich nie in hinlänglicher Anzahl habe, sind baumwollene Strümpfe, sowohl Socken als lange; wenn ich nicht täglich frische Strümpfe anziehe, so befinde ich mich nicht wohl; wenn ich dies aber thun kann, so ist meine Gesundheit vollkommen. Obwohl sich nun Strümpfe nicht gerade als Neujahrs-Geschenk eignen, so sehe ich doch nicht ein, warum ich nicht das nennen soll, was mir am meisten fehlt.

Mama antwortet mir "Dr. Putteros" Grüsse seien bestellt; in diesen zwei Worten ist ein doppelter Irrthum, den aber wohl Zollinger und Flugi verstanden haben werden. Erstens heißt der alte Graubündtner Pultera und zweitens ist er nicht Dr., sondern Rentier, und früher einfacher Zuckerbäcker. Der Irrthum mag wohl daher rühren, daß ich schrieb Don Andres P. was auf Deutsch so viel heisst, als Herr Andres P.

Daß die Geschwister von Landis die Adresse von diesem verlangen (ich lese eben noch einmal und finde daß es der jüngste Bruder Johannes ist) ist wirklich wieder einmal geistreich. Sicher wird er keine andere Adresse schicken, als die meinige, also soll der Bruder Johannes einfach seinen Brief nach dem Hirzel schicken. Ob der Zimmermann dem Vater Unterstützung schicken will, werde ich in Buenos Aires sehen.657Schluss des Briefes fehlt: der untere Teil des Briefbogens ist abgeschnitten.schliessen



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