Dein Brief vom 24t. November ist diesmal rechtzeitig in meine Hände gelangt. — Über die Geld-Angelegenheit nur noch wenige Worte zur Hebung des Widerspruchs in meinen zwei Briefen: wenn ich auch etwa erhaltenes Geld von Ega zunächst allerdings auf die Bank gelegt hätte, so hätte ich ohne Zweifel letztes Jahr beim Ausbruch des Paraguay-Kriegs646Über den Paraguay-Krieg berichtet Heusser seiner Familie ausführlich im Brief vom 25. Mai 1869.schliessen dasselbe von der Bank zurückgezogen und zu Privat-Spekulationen verwendet: Kriegszeiten sind nämlich in diesen Ländern gerade die Zeiten wo die Fremden die besten Geschäfte machen, indem die Hiesigen fortwährend gedrängt sind, und oft um Spott-Preise Hab und Gut losschlagen. Eine Noth wie in diesem letzten großen, übrigens noch fortdauernden Paraguay-Krieg, ist hier nie dagewesen, und Käufe und Verkäufe von Land und Vieh sind hier in dieser Zeit dermaaßen unterm Preis gemacht worden, wie man davon in Europa keinen Begriff hat. —
Vier Jahre lang hatte ich hier in Buenos Aires bei einem Franzosen gewohnt, bei dem ich bloß aus Furcht vom Regen in die Traufe zu kommen, so lange aushielt. Nun habe ich seit ungefähr einem Monat eine neue freundliche Wohnung bezogen, bei einem alten Graubündner, zwar in einem etwas abgelegenen Stadttheil: dafür haben wir aber einen schönen Garten voller [S.2] Trauben, Pfirsiche etc. Ich bewohne vier Zimmer, in welchen seiner Zeit jener Zollinger sich verheirathet hat, von dem mir Theodor als ich hier am Plata ankam, einen Empfehlungsbrief nach Montevideo schickte. Dieser Brief nützte mir zwar Nichts, da ich mich nie in Montevideo längere Zeit aufhielt; dagegen ist mein Hausbesitzer, der alte Graubündner Don Andres Pultera647Bei Andres Pultera wohnt Heusser seit dem Spätherbst 1865.schliessen ein alter Freund jenes Zollinger und eines anderen Bündners Flugi, der mit Zollinger zusammen in Buenos Aires war. Pultera läßt sich nach Flugi und Zollinger erkundigen und sie grüßen, wenn sie noch leben; Theodor wird wohl Verbindungen mit dem einen oder andern haben und dies berichten können. — Unter jenem Keller in meinem vorigen Brief648Dieser Brief ist nicht erhalten.schliessen ist der Antiquar Dr. Ferdinand Keller649Ferdinand Keller (1800-1881), der bekannte Archäologe und Entdecker der Pfahlbauer in Zürich.schliessen gemeint; übrigens bleiben alle jene Antiquitäten, die in verschiedenen Cigarren-Kisten sich befinden müssen, ganz ruhig im Hirzel. Wenn die Herren sich die Sachen nicht im Hirzel ansehen wollen, so sollen sie es ganz lassen: denn was nach Zürich kommt, das wird dort als Geschenk in die verschiedenen Sammlungen aufgenommen auch wider den Willen des rechtmäßigen Besitzers, und dem will ich vorbeugen.
Von meinem Leben hier läßt sich durchaus nichts Neues sagen: Ende October kam ich nach 10monatlichen Strapazzen gerne wieder in Buenos Aires an, um etwas auszuruhen, jetzt nach dreimonatlicher Ruhe freue ich mich darauf, [S.3] wieder in den Camp zu gehen in die frische Luft, die freien, zwanglosen Verhältnisse und vor Allem nach meinem kleinen Besitzthum in Bahia Blanca. Diese fortwährende Abwechslung von Stadt und Land, Ruhe und Bewegung, Cultur- und Indianer- oder wenigstens Nomaden-Leben, ist das Beste an meinem gegenwärtigen Berufe, und hat mich bis jetzt immer wieder mit demselben ausgesöhnt, wenn es schon an unzufriedenen Augenblicken nicht fehlt.
Die Nachricht von den beiden Todesfällen hat mir sehr leid gethan, und ich lasse den Hinterlassenen meine herzliche Theilnahme aussprechen, namentlich dem Herrn Pfarrer Wild;650Am 23. April 1865 war Pfarrer Heinrich Wilds Frau Fanny Wild-Hagenbuch gestorben. Vgl. R. Schindler, Die Memorabilien, S. 283.schliessen es kommt freilich etwas verspätet. Was ist eigentlich aus den Söhnen von Hr. Pfr. Wild geworden, die auch wohl bald auf irgend einem Wege ins praktische Leben eintreten werden?651Die beiden Söhne Heinrich und Paul Wild arbeiteten, wie früher ihr Grossvater Hagenbuch, in der Buchdruckerei Orell, Füssli u. Comp. R. Schindler, Die Memorabilien, S. 283.schliessen
Durch Zufall habe ich vor einigen Tagen einen Sohn von Dr. Schmid aus Richterschweil kennen gelernt, der schon über ein Jahr hier ist, ohne daß ich es wußte. Es scheint ein ganz stiller, ernster Mensch zu sein; es war mir aber bei jener Gelegenheit, als ich ihn sah, unmöglich ein wirkliches Gespräch mit ihm anzufangen; auch hatte ich seither nicht Zeit, da dies gerade die letzten Tage vor der Abreise sind. Wenn ich aber vom Camp zurückkomme, will ich doch den jungen Mann einmal aufsuchen. Als er sich mir zu erkennen gab, standen wahrhaftig das Bäuli und die Verrückten so lebhaft vor meinen Augen [S.4] als ob dies Scenen von gestern wären, und er selbst schien mir wahrhaftig dem Weinen nahe zu sein bei den wenigen Fragen, die ich an ihn richtete über seine mir bekannten Familien-Glieder.
Warum schreibt Ihr denn nie etwas von dem alten Landis, dessen gelungener Sohn hier ist; Vater und Mutter waren Knecht und Magd bei uns, und der Sohn, der jetzt hier ist, zuerst im Rothhaus, dann in Afrika, Nord-America und endlich hier als Zimmermann.652Dieser Landis, Sohn des früheren Knechts in Hirzel und Zimmermann, verunglückte kurze Zeit später tödlich bei seiner Arbeit. Vgl. Brief Nr. 96; 23. 11. 1866.schliessen Er hat mich beauftragt zu fragen, ob sein Alter noch lebe, und ich habe es gethan, aber ich glaube in einem Brief an Hanni, und habe nie Antwort bekommen. Dem Landis geht es hier ganz gut, da er ein gutes Handwerk und starke Fäuste hat. —
Mit herzlichem Gruß: