Brief Nr. 62 – 22.1.1857
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62 22.1.1857
[Rio de Janeiro, 22. Januar 1857]382Abgedruckt in "Blätter für Kunst und Literatur" Nr. 46, Beilage der NZZ vom 14. Mai 1857, S. 181f. Das Original zu diesem Textstück fehlt; wir übernehmen hier den Text samt Orthographie aus der NZZ.schliessen

Bahia, das wir glücklich am 15. erreichten, macht einen ganz andern Eindruck als Fernambuko, und schon vom Hafen aus erschien es mir, als hätte die Tropenwelt hier ihre ganze Pracht entfaltet. Unser Schiff lag nur einen Tag daselbst vor Anker; ich gieng ans Land, wurde aber von einem Gewitter überrascht und durch die gleich darauf folgende drückende Hitze veranlaßt, schnell wieder an Bord zurückzukehren. So habe ich Bahia nicht anders als vom Schiff aus gesehen, war aber auch so durch die schöne Lage der Stadt entzückt. Am Meeresufer eine ebene Straße mit Magazinen und Waarenlagern aller Art; gleich dahinter ein so steil ansteigender Abhang, daß vom Befahren der Straße hier keine Rede ist, ich glaube kaum vom Reiten, die faulen Weißen lassen sich von den Schwarzen tragen. Oben dehnt sich ein ziemlich weites Plateau aus und hier liegt dann der weitaus größere Theil der Stadt. Große Gärten mit herrlichen tropischen Pflanzen und Bäumen sind massenhaft durch die ganze Stadt vertheilt, und der prächtige weiße Baustein, aus dem die besseren Häuser und namentlich die Kirchen erbaut sind, stechen aus dem Grün so wunderschön ab, daß man sich wirklich fast in die Märchen von tausend und einer Nacht versetzt glaubt. Der Abhang von Bahia mag vielleicht 200 Fuß hoch sein, weitere Berge treten hier nicht hervor. Freitag, den 16. Januar gegen Abend verließen wir Bahia und fuhren zunächst wieder ziemlich weit in die See hinaus, so daß wir bis Montag den 19. keine Küste mehr sahen; an diesem Tage aber näherten wir uns gegen Mittag dem Kap Frio, einem Vorgebirge, das in einer Entfernung von etwa 20 Stunden von Rio Janeiro liegt. Es ist dies ein ganz bedeutender Berg, der in steilen Felsen ins Meer abfällt und seiner ganzen Form nach an unsern Rigi erinnert. Wenn auch der Rigi absolut höher ist, so wird doch seine Höhe über dem Zugersee nicht viel beträchtlicher sein als die Höhe des Kap Frio über dem Meerespiegel. Von hier aus blieben wir dem Ufer so nahe, daß wir es stets ganz deutlich im Auge hatten; es bleibt dasselbe gebirgig von hier bis Rio, und zwar zeigen die vom Meere aus sich erhebenden Berge eine Mannigfaltigkeit und bei aller Zerrissenheit eine Schönheit, der von allem, was ich gesehn, sich nichts vergleichen lässt als etwa die Aussicht von Luzern aus. Auch mein Begleiter W. sagte, daß man hier ganz an einen Schweizersee erinnert werde, nur dachte er speziell an den Genfersee. — So zieht sich das Ufer hin bis Rio, wo die Berge immer höher werden und immer mehr eine ganz eigenthümliche Form annehmen; einer derselben heißt nach seiner Form wirklich ganz bezeichnend Zuckerhut; zwischen ihm und einem andern Berge von ähnlicher Gestalt zieht sich die gegen eine Stunde breite Bai ins Land hinein, und unmittelbar hinter diesem Zuckerhut ist die ungeheuer ausgedehnte Stadt gelegen. Die Bai selbst erstreckt sich in verschiedenen Verzweigungen tief ins Land hinein und hat hier ihren Zufluß, der vom Orgelgebirge herunter kömmt; das Orgelgebirge selbst begrenzt in einer Entfernung von 6 bis 8 Stunden die Aussicht und überragt alle vorstehenden Berge; es erreicht eine Höhe von 4000 bis 5000 Fuß, erscheint daher vom Meeresspiegel aus ziemlich gewaltig und zugleich seiner Orgelpfeifen-artigen Gipfel wegen ganz eigenthümlich romantisch. Dies ist ein kurzes ungefähres Bild von Rio. In der Entfernung von etwa drei Stunden ragt ein freistehender hoher Gipfel hervor, Corcovado genannt, der ähnlich wie von Zürich aus der Uetliberg, von hier aus häufig bestiegen wird, und eine wundervolle Aussicht bieten muß. Im hohen Sommer, in dem wir uns gegenwärtig hier befinden, ist es aber zu beschwerlich, für Neuangekommene sogar gefährlich, denselben zu besteigen, selbst wenn man in der Nacht hinauf geht. Darum bin ich auch noch nicht oben gewesen; habe ich mich von diesem Berge aus einmal umgesehen, so werde ich wohl noch einmal auf die Lage von Rio und seine schöne Umgebung zurückkommen.

Montags, den 19. Januar also war es und zwar unmittelbar nach Sonnenuntergang, als wir in die Bai einfuhren; wir konnten aber denselben Abend das Schiff nicht mehr verlassen, weil man erst einen polizeilichen und sanitarischen Besuch abwarten musste. Dienstags früh verließ ich das Schiff und suchte alsbald den schweiz. Konsul D[avid] von B[asel] auf, wo mir ein überaus freundlicher Empfang zu Theil wurde. Die gleiche zuvorkommende Freundlichkeit und Herzlichkeit fand ich in all den Schweizerfamilien, die ich bisher besuchte, was mir die ersten Tage in Brasilien zu höchst angenehmen machte und mir für immer eine schöne Erinnerung bleiben wird. Die hier angesiedelten Schweizer üben eine wahrhaft großartige Gastfreundschaft aus, und man fühlt hier recht, daß wir Schweizer in der Ferne und Fremde immer Eine Familie ausmachen, wie fremd wir uns in der Heimat oft gegenüber stehen mögen.

Mit dem Portugiesischen geht es ziemlich vorwärts und immer mehr befreunde ich mich mit dieser Sprache. Sie ist doch eine ziemlich reine Tochter des Lateinischen und klingt von Gebildeten gesprochen sehr schön. Die fremden Elemente stammen meist aus dem Arabischen, Ausdrücke aus der neuern See- und Handelssprache, Mechanik etc. mögen auch aus dem Englischen aufgenommen worden sein. Keine Sprache, vielleicht mit Ausnahme des Spanischen, mag übrigens so verderbt worden sein, so verschieden schön oder hässlich klingen, je nachdem sie von gebildeten Portugiesen oder von gemeinem Volk, z. B. von Mulatten in allen Abstufungen bis zu den Schwarzen hinunter, gesprochen wird. Was nun diese letztern betrifft, die hier wohl in größerer Anzahl vorhanden sind als die Weißen und vorzüglich auf den Straßen viel häufiger gesehen werden, weil sie alle Hausarbeit verrichten, — so wunderte ich mich vor Allem über ihren schönen und starken Körperbau. Die meisten derselben sind Gestalten, so groß, muskulös und schön gebaut, wie kaum die stärksten Sennen unserer Alpen. Daß diese Leute so wenig ihrer Kraft bewußt sind und dieselbe gar nicht gegen die Weißen zu verwenden wissen, ist jedenfalls der größte Beweis, wie sie geistig tiefer stehn als jene. Bei allen vorkommenden Arbeiten benehmen sich die reinen Schwarzen ganz wie Kinder, sie machen die sonderbarsten Geberden und singen stets ganz eigenthümliche Melodien, die sie wahrscheinlich noch aus Afrika in Erinnerung haben. Sind ihrer mehrere beisammen, so singt Einer vor und die Andern fallen abwechselnd im Chor ein, und so geht es stunden-, ja tagelang ganz in denselben Tönen fort. Die Mulatten im zweiten, dritten Glied sind ebenfalls körperlich stark und schön gebaut, und wenn der Teint bis zum Hellbraun herunter gekommen ist, so macht er sich wirklich ganz eigenthümlich schön, und ich glaube wohl, daß die Mulattinnen die schönsten Frauen sind, die es überhaupt gibt, da sie die schöne Gestalt der Neger beibehalten und dabei feine menschliche Gesichtszüge angenommen haben. Auch in geistiger Beziehung sollen die Mulatten stufenweise immer begabter werden; indessen habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, näher mit solchen bekannt zu werden. Ein großer Theil der Mulatten sind auch noch Sklaven, da bekanntlich jedes Kind einer Sklavin Sklave bleibt, der Vater mag gewesen sein wer er will. Indessen sind die Mulatten bei öffentlichen Arbeiten lange nicht so häufig zu sehn wie Schwarze; jene werden mehr zu häuslichen Arbeiten verwendet. Reine Indianer habe ich noch keine gesehn; Mischlinge derselben sind kaum von den Mulatten zu unterscheiden.

Ich breche hier ab, da ich noch zu kurze Zeit hier verweile, um etwas mehr über das hiesige Leben mittheilen zu können, als diese oberflächlichen Eindrücke. Auch nimmt zunächst nun der Zweck meiner Sendung meine Zeit ganz in Anspruch. —

Grüße an Freunde und Vaterland!


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