Brief Nr. 38 – 4.2.1852
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38 4.2.1852
[Berlin, 4. Februar 1852]
Liebe Eltern!

Wenn ich auch der Zeit nach erst einen ältern Brief, in dem die Anforderung enthalten war, daß ich wieder zur Medicin zurückkehren möge, beantworten sollte, so kann ich doch nicht anders, als zunächst auf den letzten Brief antworten, der die für mich sehr überraschende und erfreuliche Nachricht von der Verlobung Hannis mit Spyri enthielt. Wenn ich selbst hätte wünschen können, ich hätte mir keinen andern Schwager gewählt, da Spyri einer der wenigen Zürcher ist, die ich achte, und gerade wegen seines Verhältnisses zu Dubs und A. Escher um so mehr achte; und ich wünsche nicht, daß er meinetwegen den beiden Herren gegenüber sich im mindesten etwas vergebe, ebenso wenig, als ich dies irgend einmal selbst thun werde; durch Servilität will ich Nichts erhalten, wenn es mir nicht durch eigenes Verdienst gelingt, eine wissenschaftliche Stellung in Zürich mir zu erwerben, so bin ich deswegen noch lange nicht unglücklich, und weiß noch auf verschiedene Art mich ehrlich durchzubringen, aber zu einem Seidengeschäft werde ich auch sicher nie meine Zuflucht nehmen. Und damit komme ich denn auf den Brief vom 14t. Januar zurück, und erkläre feierlich, daß ich nicht wieder zur Medicin zurückkehre. Ich konnte jetzt diese Anforderung wirklich beinahe nicht begreifen. Wenn überhaupt noch von Zurückkehren zur Medicin die Rede war, so war es doch gewiß das Natürlichste, daß man letztes Frühjahr, als ich zu Hause war, davon gesprochen hätte, und daß es damals geschah; denn man kann so was doch gewiß besser mündlich abmachen, ich wenigstens würde mich jetzt 10 Mal lieber mündlich ausdrücken, und hätte auch bei meinem Besuch ungenirt alle Gründe angeführt; Kinder scheuen zwar oft sich auszusprechen, und pflegen lieber zu schreiben; daß ich aber kein Kind mehr bin, habt Ihr hoffentlich gesehen, und folgt übrigens auch daraus, daß ich seit meiner Rückkehr nach Berlin auf eigenen Füßen stehe, d.h. nicht mehr von des Vaters Gelde lebe. Ich fühle mich bei dieser Existenz ganz wohl und habe auch sichere Aussichten für die Zukunft, wie ich dies beides im letzten Briefe auseinandergesetzt habe. Renommiren und mich selbst überheben war nie meine Sache, daher habe ich auch bis jetzt nicht von den vielen Zeichen der Anerkennung gesprochen, die ich hier schon erhalten habe. Ebenso habe ich bis jetzt nie von meinen ökonomischen Verhältnissen gesprochen, weil [S.2]ich hoffte, Ihr werdet voraussetzen, daß ich mich auf ehrliche Art durchbringe; da ich in meinem Leben nie Veranlassung gegeben habe das Gegentheil anzunehmen, so spreche ich über den letzten Punkt auch jetzt kein Wort. Dagegen will ich auf den ersten Punkt zurückkommen, und Euch zeigen, daß ich in Berlin nicht für Nichts gehalten werde, sondern daß alle Professoren, die mich kennen, mit Spannung meiner nächsten Arbeit entgegensehen, und daß ich, ohne mich zu blamiren, ohne alle Professoren gegen mich einzunehmen, und — was die Hauptsache ist — ohne meine innere Neigung zu verläugnen, nicht zurücktreten kann. Ich habe letzten Sommer eine optische Arbeit begonnen, die ich wegen des vielen schlechten Wetters und wegen meiner noch geringen Erfahrung bis im Herbst nicht vollenden, im Winter aber wegen Mangels an Sonne nicht fortsetzen konnte. Diesen Winter habe ich nun eine andere Arbeit vorgenommen, die im Frühjahr im Druck erscheinen wird; daneben aber bin ich mit Vorbereitungen beschäftigt, um im nächsten Sommer, die vorigen Sommer angefangene Arbeit mit umso größerer Genauigkeit und möglichster Vollkommenheit durchzuführen; ich bin nämlich bei dieser Arbeit letzten Sommer auf einige Mängel gestoßen, und diesen abzuhelfen war ich allein nicht im Stande, dagegen bieten mir jetzt verschiedene Professoren ihre Hülfe an, und so wird es möglich werden. So war z.B. das Zimmer, in dem ich arbeitete zu klein, nun wird mir Prof. Magnus ein größeres auf nächstes Frühjahr einräumen. Ferner war das Material selbst, die Kristalle, nicht vollkommen durchsichtig genug. Nach mehreren Briefen nach Rußland, (an den Ural), nach England, Amerika, Spanien, Östreich, an den Rhein und in die Schweiz habe ich endlich das gewünschte Material erhalten; endlich war das Instrument, mit dem ich arbeitete, ein ganz neuer Theodolit, im Werth von 250-300 Thlr., nicht so ganz genau, wie Prof. Magnus es sicher glaubte, da es aus der Werkstätte eines sehr berühmten Mechanikers hervorgegangen ist. Ich scheute mich anfangs die Fehler, die ich daran gefunden, dem Prof. Magnus mitzutheilen, da ich fürchtete, er werde meinen gemachten Beobachtungen nicht ganz trauen. Dies war aber nicht der Fall, Magnus schenkte mir vollkommen Glauben, bedauerte aber, daß das physikalische Cabinet kein zweites Instrument der Art besitze, und jetzt nicht für meine einzige Arbeit wieder eine Ausgabe von 300 Thlr. riskiren könne. Hier war also guter Rath theuer; er wurde aber geschafft; nach einigen Bemühungen brachte ich es dahin, daß mir Prof. Encke, der berühmte Astronom und Direktor der hiesigen Sternwarte, ein bereits geprüftes, bis jetzt zu astronomischen Zwecken gebrauchtes, aber auch zu mei[S.3]nen Zwecken brauchbares Instrument von der Sternwarte für diesen Sommer abzutreten versprach; ob Ihr ermessen könnt, was für ein Zeichen des Zutrauens in diesem Versprechen liegt, und daß dies nicht Jedem zu Theil wird, weiß ich nicht; ich sage nur so viel, daß ich mich dadurch geehrt fühle mehr als wenn mir das Zürcher-Volk die in seinen Augen höchste Ehre einer Nationalraths-Wahl zu Theil werden ließe; ich habe dieses Zutrauen von Encke allerdings zum Theil dem Prof. Magnus zu verdanken, der sich für mich verwendet hat; ich habe es aber zum Theil auch mir selbst zuzuschreiben, da Encke mich im mündlichen Doktor-Examen in Mathematik examinirt hat, und von daher weiß, daß ich kein Bummler und Hallunke bin. Daß ich bei diesen Anstalten, die für meine Arbeit getroffen sind, schon aus äußern Gründen nicht zurücktreten kann ist klar; Hauptsache bleiben aber doch immer die innern Gründe, d.h. meine Abneigung gegen die Medicin und meine vollkommne Zuneigung zu den Naturwissenschaften. Daraus seht Ihr also auch zugleich, daß für das erwähnte Seidengeschäft nicht viel Hoffnung vorhanden ist, solltest Du aber, lieber Papa, doch auf solchen Plänen beharren wollen, so bitte ich um deutliche Worte, wo möglich aus Deiner eigenen Hand, damit ich weiß, wie es gemeint ist, und darauf auch deutlich antworten kann. —

Euer tr. Sohn: J. Chr. Heusser.
Berlin den 4t. Febr. 52.


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