Brief Nr. 94 – Ende Juli 1865
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94 Ende Juli 1865
Patagones Ende Juli 1865
Liebe Mama, Tante Regeli, Ega und Meta!

Eure Briefe vom 24t. Februar dieses Jahres habe ich am 25t. dieses Monats, dem unvergeßlichen, aber doch fast vergessenen Jakobs-Tag erhalten und will nun zunächst auf Lösung des Mißverständnißes eingehen. Ich mache meinen Calender bloß im Gedächtniß und zwar nach meinen Ausflügen von Buenos Aires; daher kann ich zwar nicht mehr Tage, aber wenigstens Monate der gewechselten Briefe nachweisen. Ende März 1864 verreiste ich nach Bahia Blanca und Patagones und kam von da nach Buenos Aires zurück im Juli desselben Jahres. Vor dieser Abreise hatte ich jenen oder jene Briefe beantwortet, in denen mir Egas Verlobung angezeigt worden war. Auf meinen Brief vom März hoffte ich bei meiner Rückkehr nach Buenos Aires Antwort vorzufinden; ich traf aber bloß Briefe von Spyri und Hanni, in denen mir Spyri wörtlich sagte, "mein ungenirtes Urtheil über Egas Verlobung habe ziemlich Heerd642Erde.schliessen aufgeworfen", und Hanni mit etwas andern Worten ungefähr dasselbe. Ich wartete den Rest des Jahres 1864 auf eine Antwort aus dem Hirzel, bekam aber keine. Am 6t. Januar des laufenden Jahres verreiste ich wieder nach Patagones und schrieb vor meiner Abreise jenen Brief, den Ihr unterm 24t. Februar 1865 beantwortet. Es scheinen also wirklich nicht weniger als drei Briefe, im Lauf des Jahres 64 von Euch geschrieben, verloren gegangen zu sein, und darin hat das neu eingetretene Mißtrauen und Mißverständniß seinen Grund. Um ähnliche[n] für die Zukunft vorzubeugen will ich noch einmal weitläufig die ganze Art und Weise analysiren, wie Briefe hieher dirigirt werden sollen, hoffe aber offen gestanden, daß dieses Mal nach fast 9 jährigem Aufenthalt in Amerika das letzte Mal sei. Ich will diese Analyse mit der Kritik Eures letzten Briefes beginnen, der mir bis zu Couvert, Adresse und Siegel im Hirzel vollendet und direkt mit Umgehung von einer Nachhilfe in Zürich befördert worden zu sein scheint.

1) Die Enveloppe ist untadelhaft und einer Correspondenz von Europa mit Amerika würdig.

2) Die Adresse von einer mir unbekannten Hand (Gymnasiast, Schulmeister, Kaufmann? jedenfalls eine steife Stahlfedern-Handschrift) läßt auch nicht viel zu wünschen übrig; doch wäre es besser, wenn die Worte Eduard Siegfried und Buenos Aires mit größeren Buchstaben geschrieben würden; alles Andere ist Nebensache. Bei Anlaß der Handschrift muß ich gleich Eines mit Beziehung auf diesen Brief erwähnen: er ist allerdings auch nicht musterhaft schön geschrieben; das hat darin seinen Grund, daß ich die Stahlfeder, mit der die drei ersten Linien geschrieben sind, [S.2] wegwarf, und zur Feder einer frisch erlegten hiesigen Schwalbe griff, die nun eben auch nicht dem präparirten Europäischen Gänsekiel gleichkommt. Diese Schwalbe (abutarda) kommt in ungeheuren Mengen von Malvinas643Die Falkland-Inseln.schliessen und der Magellans-Straße und bringt hier im wärmeren Patagones den Winter zu.

3) Der Schluß des Briefes ist in hohem Grade verfehlt. Siegellack ist spröde und springt leicht, namentlich in so homöopatischen Dosen aufgetragen, wie im vorliegenden Fall; zudem war auf dem Siegellack nicht einmal ein Petschaft aufgedrückt; wenn die Petschafte in Europa selten geworden sind, so will ich noch ein drittes von den hiesigen Indiern schicken. Ich betrachtete den Brief, von fremder Hand adressirt, ohne Petschafts-Abdruck, von Zürich kommend, lange, ehe ich ihn öffnete, und war dann im eigentlichen Sinn des Worts überrascht.

Weit schlimmer, als das Siegel, ist nun aber das Datum, und da muß ein für alle Male geholfen werden. Der Brief selbst ist vom 24t. Febr. datirt, auf der Enveloppe befindet sich ein Poststempel von Zürich vom 7t. März, und in Patagones habe ich den Brief erhalten am schon erwähnten Tag, während mir ein Brief von Brennwald, vom 3t. März datirt, schon Ende Mai, also fast zwei volle Monate früher zukam. Ich denke mir die Sache ist folgendermaaßen gegangen: damit, daß Euer Brief von Zürich am 7t. und nicht am 4t., 5t. oder 6t. abging, war ein Englisches Packet verfehlt, d.h. ein Monat verloren, und der zweite Monat gieng dann zwischen Buenos Aires und Patagones verloren, zwischen welchen zwei Punkten die Schiffs-Verbindung keineswegs regelmäßig ist. Was Ihr nun zunächst zu thun habt ist Brennwald anfragen (— vielleicht schreibt er Euch auch unangefragt, oder kommt selbst einmal; wenigstens habe ich ihn darum gebeten —) an welchem Tag die Briefe auf der Post abgegeben werden müssen, damit sie sicher das Englische Packet erreichen. Damit wird die Correspondenz wohl endlich einmal ins Reine gebracht werden können. Noch sicherer wäre die Sache, wenn Ihr einen Tag früher schreibt, und die Briefe zum Adressiren und Versenden an Brennwald schickt; wenigstens ist mir in den bald neun Jahren von Brennwald kein Brief weder verloren gegangen, noch auch nur um eine Stunde verspätet zugekommen.

Somit habe ich wohl über diesen Punkt genug gesagt, aber auch nicht zu viel. Ihr klagt über vorgerücktes Alter und Nichtwiedersehen und laßt durch Verliederlichung der Correspondenz Jahre verfließen, ohne etwas von Euch hören zu lassen.

Zu was soll ich nun übergehen? In meiner gegenwärtigen Umgebung bieten nur zwei Dinge Erwähnenswerthes dar, die Natur und die Indier; über beide habe ich aber in verschiedenen Briefen schon so viel geschrieben, daß ich nicht mehr schreiben kann, ohne mich zu wiederholen. Was mich an der Natur hier anspricht ist die Annäherung an ein gemäßigtes Klima, vor Allem das Ge[S.3]deihen der herrlichen Traube, und, beiläufig gesagt, habe ich in den letzten Tagen nicht weniger als 6000 Rebschößlinge gekauft, die im nächsten abnehmenden Mond in meinem Besitzthum Fluß aufwärts gepflanzt werden sollen; und nächstes Jahr denke ich mit Gottes Hilfe diesen Weinberg um etwa 20'000 bis 30'000 zu vermehren. Das mag Euch übertrieben und lügenhaft erscheinen, ist es aber nicht; die Verhältnisse sind einmal hier anders als in Europa. Ich besitze (allerdings mit Claraz zusammen) 2½ Quadrat-Leguas Land (die Legua etwas größer als die Schweizerstunde) etwa 5000 bis 6000 Schaafe, Kühe und Pferde allerdings weniger, aber immerhin mehr als im Laufe von 40 Jahren in der Hirzler-Scheune aus- und eingegangen sind. Wenn ich den 10t. Theil davon in der Schweiz hätte, wäre ich ein reicher Mann; aber hier ist alles dies eine Kleinigkeit und ich kann noch nicht aus den Renten leben, und einstweilen noch nicht nach Hause kommen. Aber immerhin mag Euch diese Auseinandersetzung annähernd überzeugen, daß ich vor der Hand hier nicht in schwindelnde Spekulationen mich einlasse, sondern, zum Theil wenigstens, auf das sicherste Eigenthum, auf Grundbesitz lossteure. Auch versichere ich Euch, daß wenn ich wider alles Erwarten wieder Alles verlieren sollte, ich ganz gewiß nicht heimkäme, sondern in Amerika bleiben würde; somit zerfällt die Besorgniß in Nichts, mich einst im Hirzler-Armenhaus sterben zu sehen. Wenn nun Jean Fries Euch mehr als die von mir angebotenen Procente giebt, so soll es mich herzlich freuen; wenn er aber weniger giebt, so gebe ich Euch zu bedenken nicht etwa die zwei oder drei Procent weniger, die er bezahlt, sondern folgenden Umstand: ich glaube, Jean Fries hat bei seinem Anerbieten dasselbe Motiv geleitet wie mich, d.h. er mag als alter Freund Euch einen höheren Zins als den 4 procentigen von Herzen gönnen, denkt aber bei all dem auch an sich selbst und hofft aus dem von Euch geliehenen Geld seinen Nutzen zu ziehen; zudem ist Jean Fries meines Wissens ein reicher Mann, oder wird es sein von dem Tag des Ablebens seines Schwiegervaters an; ich aber bin nicht Freund, sondern Bruder, und sehne mich nach dem Tag, an dem ich nach Hause kommen kann. Dieser Tag aber bleibt hinausgerückt bis ich über eine jährliche Rente verfügen kann, die mich sorgenfrei leben läßt. Allerdings denke ich bisweilen, wie beim Schreiben meines letzten Briefes, daran einmal geschwind auf Besuch hinüberzugehen; aber bei näherem Überlegen finde ich immer mehr, daß es ein Unsinn wäre, weil eine Abwesenheit von 4 bis 5 Monaten eine bleibende Übersiedlung um ebenso viele Jahre hinausschieben würde. Sollte nun irgend Jemand aus der ganzen Familie durch Überfluß an Geld oder ruhige Überlegung des eben Mitgetheilten zu dem Entschluß kommen, gegen Hypothek meines Antheils in Brennwalds Geschäft mir Geld schicken zu wollen, so bin ich immer noch bereit, dasselbe anzunehmen zu dem Zins, den ich in jenem Briefe vom März 64 versprach; bloß weiß ich nicht mehr, ob ich damals 8 oder 10 [S.4] oder 12% versprach; so wie gegenwärtig die Sachen stehen, würde ich gerne 10% bezahlen, und auch mit 12% noch etwas Erkleckliches für mich gewinnen können.

Rio Colorado heißt "Rother Fluß" und davon giebt es ohne Zweifel im ganzen Spanischen Amerika viele; am meinigen, d.h. dem von mir mehrmals besuchten ist keine Rede von Gold, als vielleicht bei Gerstecker644Friedrich Wilhelm Gerstäcker (1816-1872) war einer der erfolgreichsten Reiseschriftsteller dieser Jahre. Besonders populär wurde sein Buch Gold! Ein californisches Lebensbild, Jena 1858, in den 1860er Jahren verfasste er Berichte über seine Reise durch Südamerika: durch Peru, Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien.schliessen oder einem Correspondenten der Allgemeinen Zeitung. Was die Geschenke der vorigen Sendung betrifft, so schreibt Mama von zwei Löwenhäuten, von denen Netti die eine, Ega die andere haben soll. Löwenhäute habe ich nie hinübergeschickt, weil sie sehr unansehnlich sind; ich kann mir jene erste Sendung ins Gedächtniß rufen, wie ich will, so fand sich dabei Nichts, das auch nur annähernd einer Löwenhaut gleich sah; dagegen fanden sich darunter zwei Guanaco-Häute, d.h. Häute eines unschuldigen Grasfressers, das einen langgestreckten Hals hat wie das Kamel, und außerdem Wolle wie das Schaaf. Ob Ihr nun das hiesige Schaaf-Kamel für einen Löwen oder Tiger nehmt ist mir an sich gleichgültig. Dagegen ist mir sehr unangenehm, daß nicht Eine dieser Häute nach Freiburg an Claraz geschickt wurde, wie ich ganz sicher und ganz deutlich geschrieben hatte; an wen, weiß ich allerdings nicht mehr. Claraz' Familie war in jener ersten Sendung fast gar nicht bedacht; aber diese Eine Guanaco-Haut wollte und konnte ich Claraz nicht vorenthalten, weil die beiden Thiere bei jener unserer ersten Expedition an den Colorado, die ich weitläufig mit Bleistift beschrieben Euch zugeschickt hatte, vor unseren Augen von den Gauchos mit den Wurfkugeln (bolas) erlegt worden waren. — Dergleichen Mißverständnißen ist nun in der zweiten Sendung glücklicherweise vorgebeugt dadurch, daß Brennwald zwischen Zürich und Freiburg trennen wird. Was aber die Sachen betrifft, die nach dem Hirzel gehen so kann ich mich wahrhaftig selbst nicht mehr genau daran erinnern. Von werthvollen Sachen, glaube ich, war darunter Nichts, als ein Schnitzwerk aus Stein, die Hütte des Indianer-Häuptlings Calfucura darstellend, die Du, Tante Regeli und Ega behalten mögt. Wenn außer dem für Frau Weiss bestimmten Schnitzwerk aus Stein sich noch zwei und nicht bloß ein ähnliches sich befindet, so behaltet es auf bis auf weitere Ordre. Unter den Kleinigkeiten befinden sich die Schaalen des Mataco, d.h. eines Gürtelthiers, das ich in einem früheren Briefe weitläufig beschrieben und von denen ich gerne eines an Donna Feliciana645Mit der Dame ist Frau Felicitas Meyer Finsler gemeint.schliessen verschenke. — Nun möchte ich aber noch wissen, ob die vermeintlichen Löwenhäute wirklich gefallen, und schöne Teppiche geliefert haben; mit Beziehung auf den Geldwerth stehen sie weit unter den Indianer-Geweben, und ich könnte ohne große Opfer mehrere solche verschaffen; bloß muß ich die Gelegenheit, d.h. eine solche Expedition, wie jene Fluß Colorado aufwärts, abwarten. —

Wenn mein Gedächtniß mich nicht trügt, und die vermeintlichen Löwenhäute bei näherer Untersuchung der Wolle sich wirklich als Guanaco-Häute herausstellen sollten, so bitte ich doch, auch noch nachträglich die eine nach Freiburg zu schicken. Ich will als Ersatz dafür ein Quillango schicken; [S.5] ein quillango aber ist ein viel schönerer Teppich, ist aus den wolligsten und schönsten Theilen verschiedener Guanaco-Häute zusammengesetzt, und wird als eigentlicher Mantel von den Indianern benützt, aber auch vielfach in Patagones verkauft, und in den vornehmsten Häusern in Buenos Aires als Teppich benützt; ein Quillango ist eine wirkliche Zierde eines Saales; daher denke ich es ist besser, daß Netti, welches über Säle zu verfügen hat, seine Guanaco-Haut gegen einen quillango vertauscht, und daß Ega entweder sich noch etwas Anderes aussuche, oder aber warte, bis ich ihr auch ein quillango schicke, um einen eignen Saal zu schmücken. — Ich habe an Brennwald einige dieser quillangos geschickt, zur Probe, wie sie sich in Europa verkaufen. Ich werde ihm schreiben, daß, wenn sie noch nicht verkauft sind, er eines an Ulrich schicke; wenn sie aber schon verkauft sind, so soll mit der nächsten Sendung von hier eines abgehen.

Somit sind wohl Eure Briefe beantwortet. Neues weiß ich, wie gesagt, von hier nicht zu berichten. Im September werde ich wohl nach B. A. zurückkehren, um aber bald wieder nach Patagones zu kommen, und vielleicht den ganzen Sommer hier zuzubringen. Mit herzlichem Gruß Euer

Chr.


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