Brief Nr. 87 – 11.11.1862
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87 11.11.1862
Buenos Aires, 11t. November 1862
Liebe Mama, Tante Regeli und Geschwister!

Wenn das Französische Packet ordentlich geht, so soll es vor Ende December in Europa ankommen, also wahrscheinlich diesen Brief etwa um die Weihnachts-Zeit an seinen Bestimmungsort bringen. Dies veranlaßt mich auch die Feder zu ergreifen und zum Schluß des Jahres noch einige Worte zu schreiben, während ich allerdings im Laufe des Jahres mich zum Briefeschreiben nicht übermäßig angestrengt habe. Die Schuld davon liegt nicht an mir; Briefe schreiben soll man, wie übrigens Alles in der Welt, nur, wenn man gerade gut dazu aufgelegt ist, und das war ich eben dies Jahr selten oder gar nie. Ursache davon waren verschiedene Nachrichten von Euch selbst, die ich, um Ähnliches in Zukunft zu vermeiden vor Allem kurz berühren muß. Mein Lebenslauf war bis jetzt ein ganz eigener; es ist viel über mich ergangen; daß die öffentliche Meinung ganz gegen mich ist, kümmert mich wenig; daß auch einige Freunde an mir zweifelhaft geworden, hat ebenfalls nicht viel zu sagen, es sind diejenigen Freunde, an denen man nicht viel verliert.587Die Briefstelle bezieht sich auf die schlechte Presse, die Heusser durch J. J. Tschudis übereilte Verurteilung seiner Arbeit in Ibicaba erwachsen war. Vgl. dazu die Klage der Mutter in der Hauschronik, S. 146: "Daß seine Worte weder Anerkennung noch Beachtung fanden, dafür sorgte damals der berühmte Dr. Tschudi."schliessen Wenn Ihr selbst mich nicht besser kennt, und dummen, unsinnigen Gerüchten Glauben schenkt, so kann ich allerdings nicht sagen, daß das mir gleichgültig ist; die Folgen davon habt Ihr gesehen;588Heusser hatte mehrere Monate nicht geschrieben, verstimmt von dem Gerücht, er sei katholisch geworden.schliessen sie würden ohne Zweifel in einem zweiten Fall dieselbe, nur potenzirte, Wirkung haben. Mit meinen Sammlungen und Schreibereien, überhaupt mit meinen wissenschaftlichen Bestrebungen, ist es ganz dasselbe, wie mit meinem Privatleben; mögen Manche, namentlich die Herren in Zürich, dasselbe bekriteln und angeifern, ich trage die Überzeugung, daß in wenig Jahren ein Werk über das hiesige Land zu Ende gebracht wird, das in Deutschland Anerkennung finden wird, und darum fahre ich fort und lasse mich durch Nichts abwendig machen. Der Zweck dieser Zeilen ist nun freilich nicht Euch dieselbe Überzeugung beizubringen; Ihr mögt fortfahren zu glauben, daß, was ich herüber schicke, Nichts nutz sei und mir Beschämung (eigne Worte) zuziehe. Deswegen [S.2] werde ich doch fortfahren, Sachen herüberzuschicken, und werde dies Jahr wahrscheinlich viel mehr schicken, als je, und die sollen im hintern Verrückten-Zimmer im Bäuli589Im "Bäuli" mit dem "Verrücktenzimmer" hatte früher der Vater Heusser psychisch kranke Patienten untergebracht; nun beansprucht es Christian Heusser als Magazinraum für seine Sammlung südamerikanischer Mineralien, Indianerarbeiten und Kuriositäten.schliessen im Hirzel aufbewahrt werden. Wie schon gesagt, will ich Euch nicht vom Werth dieser Sachen zu überzeugen suchen, dagegen sage ich Euch Folgendes: ich bin Herr meines Eigenthums, schalte und walte darüber wie ich will, und anerkenne keinerlei Protektorat. Nun habe ich die Capriçe Steine und Erden und Knochen und verschiedene Dinge aus diesem Land nach Europa zu schicken und dort sicher verwahren zu wollen, bis ich einmal zurückkomme. Dieselben sollen durchaus unzugänglich sein für Jedermann, ausgenommen meine Freunde aus Berlin,590Heusser denkt hier in erster Linie an Gustav und Wilhelm Rose.schliessen deren Kreis Ihr wohl kennt, wenn sie etwa kommen sollten, und außerdem aus der Schweiz dem Prof. Studer von Bern, dem Prof. Mousson und A. Escher von der Linth von Zürich. Ich will einmal, bevor ich die erste Sendung schicke, erst Eure Antwort abwarten, und wenn Ihr Euch nicht stark genug fühlt, Jedermann, selbst dem frommen Prof. Heer den Zutritt in das Naturalien-Cabinett im ehemaligen Verrückten-Lokal direkt zu verweigern, wer immer außer den angegebenen Ausnahmen den Zutritt verlangen sollte, dann möge das Verrückten-Lokal ein solches, oder was Ihr immer wollt, bleiben. Ich werde aber deswegen doch meiner verrückten Idee folgen, Steine etc. nach Europa zu schicken; bloß werde ich sie im letzteren Fall nach Freiburg an Claraz's Vater schicken und von ihm bis auf weiteres aufbewahren lassen. — In Verbindung mit der fixen Idee zu sammeln, steht nun bei mir die fixe Idee zu schreiben, und mit diesem selbigen Packet schicke ich den Anfang einer ganzen Reihe von Arbeiten hinüber, die im Laufe des folgenden Jahres in Europa gedruckt werden sollen; und da es mir auch schon vorgekommen ist, daß Ihr Euch, nachdem meine Arbeiten gedruckt waren, darüber beklagt habt, daß Ihr sie nie weder im Manuskript noch gedruckt habt zu lesen bekommen, so will ich dies Manuskript erst Euch zuschicken. Bloß bleibt daran die Bedingung geknüpft, daß es aus Euren Händen unverletzt dem Prof. A. Escher v.d. Linth eingehändigt werde, der dann für das Weitere sorgen wird.591Wohl das Manuskript zu: J. Chr. Heusser und G. Claraz, Beiträge zur geognostischen und physikalischen Kenntnis der Provinz Buenos-Aires, 2 Teile, in: Neue Denkschriften der Schweiz. Ges. für die gesamten Naturwissenschaften XXI (1865), S. 1-139, Teil 1 deutsch, Teil 2 französisch.schliessen

Dieses Manuskript soll mir auch einen längeren Brief ersparen; in der That enthält dasselbe das Resultat dessen was ich im Laufe des Jahres ge[S.3]sehen habe (oder wenigstens den Anfang); und erlebt habe ich wenig Neues: das eigenthümliche Leben im Camp kannte ich schon voriges Jahr und es bleibt sich gleich durch die ganze Provinz. Menschenfressende Indianer hatte ich ebenfalls schon voriges Jahr gesehen, und wo ich sie dies Jahr getroffen, erregten sie eher meinen Ekel und Abscheu, als meine Neugierde. Für das folgende Jahr ist mir hoffentlich mehr Neues zu sehen und zu berichten vorbehalten: der äußerste Süden der Provinz: Patagonien. Ich sollte schon in diesem Monate dahin verreisen, aber wie es oft geht in diesem Land, so hat sich auch diese Expedition etwas aufgeschoben, aber deswegen nicht aufgehoben: wahrscheinlich werde ich nun im Februar des kommenden Jahres dahin verreisen. —

Somit wünsche ich Euch Glück und Heil zum Jahr 1863 und bleibe
Euer: J. Chr. H.


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