Brief Nr. 86 – 9.4.1862
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86 9.4.1862
Buenos Aires 9t. April 1862
Liebe Mama!

Diese Zeilen, als Antwort auf Deinen Brief vom 23t. Januar sind zunächst für Dich allein bestimmt; was darin von weiterem Interesse, kannst Du immerhin den Andern mittheilen, was sie aber Nichts angeht, sollst Du ihnen nicht mittheilen. Zunächst hast Du inliegend die Antwort an Frau Geheim-Rat Weiss. Ich denke, Du kannst Dich aus diesem Brief von Neuem überzeugen, wenn Du noch nicht davon überzeugt bist, daß ich hier eine sehr schöne Stellung habe, um die mich nicht nur Polytechnicums- sondern selbst Universitäts-Professoren beneiden würden. Und daran will ich gleich meine Antwort knüpfen auf jene Bemerkungen, die Du machst bei Gelegenheit der Ausstaffirung jenes Dr. Schläfli579Alexander Schläfli (1831-1863) war Arzt in Bagdad. Seine geplante Forschungsreise wurde auch vom Eidg. Polytechnikum unterstützt, er starb jedoch schon ein Jahr später. HBLS VI, S. 190.schliessen nach Inner-Afrika. Ich kann allerdings nicht sagen, daß dergleichen Nachrichten mich gerade gegen die Naturforschende Gesellschaft von Zürich mit Dank erfüllen, weil sie so strebsame junge Männer unterstütze; ich kann aber noch viel weniger sagen, daß mir dabei ein Stich durch's Herz gehe, vielmehr durchzuckt mich ein Gefühl der Befriedigung, Schadenfreude wenn Du willst und zwar aus folgendem Grunde: Die Naturforschende Gesellschaft von Zürich hätte gewiß kein Capital an reichlichere Zinsen anlegen können, als wenn sie mir damals, als ich in Noth war, eine Kleinigkeit, ein Thermometer, oder noch weniger geschenkt hätte, anstatt eine kleine Sammlung von Käfern, die zum Verkauf nach Europa bestimmt war, als Geschenk von Spyri herauszulocken (dies war allerdings nicht die ganze Gesellschaft, aber ihr Chef und Hauptbegünstigter, Hr. Prof. Heer). Ich würde jetzt gerne und könnte reichliche Geschenke schicken; ich glaube sogar ein solches Geschenk verbunden mit einigen Worten an Mousson und etwa einem Aufsatz [S.2] in ein Zürcherisches Journal würden die Zürchersche Naturforschende Gesellschaft zu ähnlicher Großmuth mir gegenüber, wie Schläfli gegenüber bewegen. Aber ich will das nicht. Daß mein Name in einigen Zürcherschen oder Schweizerischen Tagesblättern, oder selbst in der Allgem. [Augsburger] Ztg. genannt werde, reizt mich nicht; ich begreife, daß es Dir Freude machen würde, aber doch glaubte ich, Du könnest Dich auch über dergleichen erheben, und seiest im Stande zu unterscheiden zwischen Zeitungs-Lärm (dies ist einstweilen die Geschichte mit Schläfli, nicht mehr; die Zeit wird lehren, ob ein wirkliches wissenschaftliches Resultat auch von unpartheiischer Seite als solches erkannt, dabei herauskommt, oder nicht) und einer competenten wissenschaftlichen Stimme, und daß meine Arbeiten, wenigstens diejenigen, welche ich aus wissenschaftlichem Interesse geschrieben (nicht die mehr populären in Petermans Journal und jene französische) ein competentes Urtheil aushalten, davon kannst Du Dich überzeugen aus dem Nachwort, das G. Rose zu unserer Diamanten-Abhandlung580J. Ch. Heusser und G. Claraz, Über die wahre Lagerstätte der Diamanten und anderer Edelsteine in der Provinz Minas Geraës in Brasilien, in: Zeitschrift. der. Dt. Geolog. Gesellschaft XI, 1895, S. 448-466, mit einem Nachwort von G. Rose ebd., S. 467-472.schliessen geschrieben hat. Ich wünsche, daß Dir Spyri diese um jeden Preis verschaffe; wenn er keine einzelnen Abstriche mehr hat, so soll er den betreffenden Band der Deutschen Geologischen Zeitschrift (Berlin 1859) entweder von der Wasserkirche581In der Wasserkirche war die Zürcher Stadtbibliothek untergebracht.schliessen oder von Prof. Mousson für einige Tage borgen und Dir mittheilen. Ich habe den Ehrgeiz etwas zu leisten; ich habe aber daneben den Ehrgeiz Alles aus und durch mich selbst (d.h. in Verbindung mit Claraz) zu leisten, und Niemandem zu Dank verpflichtet zu sein. Niemand kennt besser die Wahrheit des Wortes: Geben ist seliger denn Nehmen. Du weißt noch nicht einmal, daß ich vor der Reise nach Minas Aussicht hatte von der Berliner Academie unterstützt zu werden; Crull schrieb mir wörtlich, es liegen einige hundert Thlr. bereit, und Magnus und andere meiner Freunde in Berlin haben große Bereitwilligkeit gezeigt, mir dieselben zukommen zu lassen, wenn ich [S.3] ein Bittschreiben an die Academie einreiche mit Angabe des Ziels meiner Reise. Ich that das damals nicht, weil Nägeli zu sehr auf die Tasche klopfte und sagte, wir können allein fertig werden; nachher bei dem geringen Erfolg der Reise bereute ich es, und jetzt bin ich doch wieder froh darüber aus dem angeführten Grunde. —

Wenn ich erst die Anerkennung wissenschaftlicher Autoritäten für meine Leistungen erlangt (außer jenen gedruckten Worten G. Roses könnte ich Dir noch einige ähnliche aus einem Briefe B. Studers aus Bern anführen) und nachher in einer ausführlichen Beschreibung der persönlichen Erlebnisse zeigen werde, daß und wie wir durch uns selbst und durch uns allein das geleistet, was wir geleistet und das geworden, was wir geworden — dann glaube ich wird sich die öffentliche Meinung trotz Bundesrath582Anspielung darauf, dass der Bundesrat Heussers Vermittlungsarbeit und seinen Bericht über die Schweizer Kolonisten in Brasilien nicht wirklich anerkannt hatte und Johann Jakob Tschudi die Inspektion hatte wiederholen lassen.schliessen und Naturforschender Gesellschaft zu unseren Gunsten wenden und wir werden weder Munzinger583Werner Munzinger (1832-1875), genannt Munzinger-Pascha, war in diesen Jahren wohl der bekannteste Schweizer Forschungsreisende und Ethnologe in Afrika: HLS 8, S. 869.schliessen noch Schläfli zu beneiden haben. —

Darüber können allerdings noch einige Jahre vergehen, und daß Du es erlebst, kann ich nur wünschen, nicht behaupten. Solltest Du aber vorher weggenommen werden, so hoffe ich wenigstens, daß Du von nun an, auch wenn tagtäglich neue Reisende von Fürsten und Gesellschaften ausgerüstet werden, Dich darüber nicht weiter grämst, sondern die Überzeugung mit nehmest, daß einst der Tag kommen werde, wo ich als ebenbürtig mit diesen Bevorzugten der Erde anerkannt sein werde. —

Und da ich einmal so weit gegangen, so will ich Dir doch noch sagen, daß ich nicht so weit bin vom Ziel, wie Du glaubst. Bei den Reisen und Arbeiten der letzten anderthalb Jahre habe ich viel Interessantes gesehen, und ich glaube, das Buch, das ich jetzt schreibe, und das mich nebenbei doch noch ziemlich viel Geld verdienen läßt,584Wegen seinen vielen Geschäften ist dieses Buch offenbar nie fertig geworden.schliessen wird in Europa einige Anerkennung finden. Zugleich hoffe ich hier durch dasselbe größere Arbeiten von Staatsländereien zu erhalten. Meine gegenwärtige ziemlich sichere Jahres-Einnahme [S.4] beträgt 20'000-30'000 Frk. Es giebt aber hier agrimensores, die über 100'000 Frk. jährlich gewinnen. Laß meine Einnahme einmal durch mein Buch auf 50 bis 60'000 Frk. ansteigen, so denke ich, brauche ich doch keine 10 Jahre zu arbeiten, um ziemlich meinen Liebhabereien leben zu können. Und was sind im Vergleich mit solchen Summen die Beiträge, die die Naturforschende Gesellschaft dem Schläfli geben wird? Mir würden sie kaum ein Frühstück mit einigen Freunden, ganz gewiß nicht Eine der vielen Reisen bezahlen, die ich fortwährend mache, und dabei glaubten die Herren in Zürich noch, man müßte ihnen zu ungeheurem Dank verpflichtet sein.

Wenn ich meinen Zweck erreiche und einige größere Arbeiten von Staatsländereien erlange, so hat das noch das Angenehme, daß ich jährlich einige Monate abkommen, also entweder wieder Reisen ins Innere antreten, oder einmal einen Besuch in Europa machen kann, während jetzt bei dieser Privat-Praxis es mir unmöglich wäre, drei Monate wegzugehen, ohne die ganze Kundschaft zu verlieren. Seit meinem letzten Brief habe ich wieder viel Neues gesehen und erlebt und könnte wohl auch heute wieder Realitäten erzählen; allein die Zeit drängt; alles Erlebte ist notirt, und soll noch erzählt werden, geht also hier Euch nicht verloren. Ich will also für heute darüber weggehen und statt dessen noch auf einen anderen, wichtigen Punkt Deines Briefes antworten.

Die J.B.585Anspielung auf die junge Frau in Rapperswil, deren Name in den Briefen stets nur angetönt wird.schliessen habe ich allerdings nicht vergessen; ich kann vielmehr sagen, daß eine Verbindung mit ihr mir noch als etwas Ideales vorschwebt, daß diese Verbindung allein, und nichts Anderes auf der Welt, kein Ruf an Universität oder Polytechnicum im Stande wäre, mich zur bleibenden Rückkehr nach der Schweiz zu bringen. Ideale verwirklichen sich aber nicht so leicht, und gerade im vorliegenden Fall scheinen mir die Schwierigkeiten groß zu sein. Mein Selbstgefühl erlaubt mir natürlich nicht, irgendeinen Schritt zu thun, bevor die [S.5] Meinung jenes Jemand oder jener Jemand (Fel. Meier?)586Heusser vermutet hinter der Information an die Mutter Frau Meyer-Finsler, die schon zu Beginn von Christians versuchter Verlobung vor seiner Abreise 1856 eingeweiht war und in der Familie Felicitas genannt wurde. Vgl. Brief Nr. 49 (1. 6. 1856).schliessen unzweifelhaft feststeht. Aber auch wenn dies der Fall sein sollte, was dann machen? Ich kann doch nicht ohne Weiteres wieder an sie schreiben, noch viel weniger meine hiesige schöne Stellung auf's Spiel setzen und heimkommen. Immerhin lohnt sich's der Mühe die Sache zu ergründen; aber wenn Du mir im nächsten Brief die Verlobung der betreffenden mit einem Anderen mittheilst, so werde ich darüber nicht unglücklich werden: Das Leben ohne Ideale ist auch schön, wenn man nicht mit äußeren Sorgen zu kämpfen hat, von besonderen Unglücksfällen heimgesucht, oder sonst von finstern Mächten verfolgt wird.

Und zu dieser sorglosen Realität scheinen es glücklicherweise alle Glieder unserer theuern Familie gebracht zu haben!

Mit bestem Gruß an Tante Regeli und die Geschwister Dein
Chr.


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