Brief Nr. 83 – Frühjahr 1861
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83 Frühjahr 1861
[Buenos Aires, Frühjahr 1861]
Liebe Mama, Tante Regeli und Schwestern

Wenn ich im letzten Briefe versprochen habe, nach meiner Rückkehr vom Camp ausführlicher zu schreiben, so kann ich doch heute mein Wort nur theilweise halten, da ich nur für kurze Zeit nach Buenos Aires gekommen bin. Ich hatte Staats-Ländereien zu vermessen, und diese unter verschiedene Privaten zu vertheilen. Die allgemeine Messung ist vollendet, und ich bin schnell nach Buenos Aires zurückgekommen, um vom Departemento Topografico Instruktion einzuholen, wo die einzelnen Antheile zu verlegen sind. Dabei habe ich hier in Buen. Air. viel hin und her zu rennen, um meine zweite Abreise zu beschleunigen; denn der Winter ist vor der Thür, und in jenen Breitengraden (38-39) ist es schon kein Spaß mehr, wochenlang Tag und Nacht, bei Sonne oder Regen ganz im Freien zuzubringen. Heute ist aber ein Festtag, an dem ich Zeit finde, etwas zu schreiben, Palm-Montag,556Der nicht datierte Brief ist demnach in der Osterwoche 17.-24. März 1861 geschrieben.schliessen der soviel ich weiß in Europa nicht gefeiert wird. —

Bevor ich Euch Einiges mittheile über das Land, das ich gesehen und bereist, zunächst Folgendes: Es ist jetzt gerade ein Jahr, seit ich durch einen Zürcher, namens Fehr, eine kleine Arbeit nebst Karte nach Europa geschickt habe; diese Arbeit gab in wenig Worten eine Beschreibung der gegenwärtigen Grenzen der Provinz Buenos Aires und war zum Druck bestimmt, scheint aber wie viele Andere nicht gedruckt worden zu sein. Das hat Nichts zu sagen; dagegen könnt Ihr wenigstens dieselbe Euch verschaffen, um Vieles zu verstehen, was ich als bekannt voraussetze. Lange glaubte ich, jene Arbeit sei nicht abgegeben worden. Fehr, der wieder nach Buenos Aires zurückgekehrt, versichert mich aber, er habe sie selbst an Widmer abgegeben; somit wird es wohl möglich sein, durch Spyri die selbe zu erhalten.

Als damalige Grenze der Provinz gegen die Indier ist ein Gebirgs-Zug angegeben, der etwa unterm 37° Breite Grad von der Meeres-Küste aus nach dem Innern in unbekannte Ferne verläuft. Ich habe diesen Gebirgszug mehr [S.2] landeinwärts etwa 30 leg. von der Küste, schon im letzten Herbst kennen gelernt bei meiner damaligen Arbeit in Tandil. Jetzt habe ich denselben nahe bei der Küste passirt, und bin über denselben hinaus noch etwa 30-40 leg. weiter südlich gekommen, wo sich wieder weite Ebenen ausdehnen. Da wir nämlich hier ein Jahr lang Friede gehabt haben, so fängt man an mit dem Vieh auch außerhalb der Grenzen herauszugehen, und so wie der Regierung selbst der Friede gesichert scheint, dann erweitert sie die Grenzen, d.h. läßt die verschiedenen Militärposten, die stets an der Grenze stationirt sind, weiter hinausrücken. Sollte einige Jahre lang Friede bleiben, so ist kein Zweifel, daß sehr bald die ganze Landschaft im Süden bis Bahia Blanca bevölkert würde, so daß man wieder zu Lande nach Bahia Blanca gelangen könnte, wie zu Rosas Zeiten, während seit Rosas dies Bahia Blanca ein ganz isolirter Punkt war, ein Hafen, nach welchem man nur zu Wasser gelangen konnte. Bricht aber hier wieder Krieg aus, wie es fast wahrscheinlich ist, so können geringere Militärkräfte auf der Grenze verwendet werden, und die Indianer nehmen augenblicklich wieder die ganze Landschaft bis zu jener Hügelkette in Besitz. —

Die Reise wurde bis etwa 30 leg. diesseits des Bestimmungs-Orts per Post gemacht. Allerdings bieten die hiesigen Diligencias einem neu angekommenen Europäer viel Staunens- und Erzählens-Werthes; man sollte aber dergleichen gleich das erste Mal, wenn man es sieht aufschreiben; nachher betrachtet man es mit gleichgültigen Augen, als etwas was sich von selbst versteht; und so mag auch ich heute nicht mehr von Diligencias in den Pampas von Buenos Aires sprechen. Von da, wo die Diligencia Halt machte und dann umkehrte, giengs nun zu Pferde noch etwa 25 leg. weiter, und die Instrumente wurden auf einem Ochsenkarren nachgeführt. Das ganze Land, das ich zu vermessen hatte, etwa 20 geographische Quadrat-Meilen, also mehr als die Hälfte des Kantons Zürich, enthält nicht mehr als eine einzige menschliche Ansiedlung; und so wie wir Abends mehr als eine Stunde entfernt waren, was eben schon am ersten Tag der Fall war, konnten wir Abends nicht nach derselben zurückkehren, sondern blieben eben draußen, bis das Fleisch, das wir auf der Carrete mitführten verzehrt war. [S.3] So hatte ich denn wieder einmal den Genuß, ganz unverkümmert557Kleine sprachliche Unstimmigkeiten schleichen sich nun hin und wieder in Heussers Deutsch ein, da er schon so manches Jahr in fremdsprachigen Ländern lebt.schliessen das Gaucho-Leben mitzumachen. Glücklicherweise regnete es während der ganzen Zeit nur einmal, eines Morgens; es war dabei kalt und ich dachte schon mit einiger Besorgniß an die Nacht. Nachmittags kam aber eine Stunde die Sonne, dazu ein frischer Wind und beide trockneten uns vollständig. Die begleitenden Gauchos, die bei der Arbeit nothwendig waren, hätten bloß gelacht, wenn es den ganzen Tag und die ganze Nacht geregnet hätte. Ich aber fühlte mich doch in Folge jenes Regens veranlaßt, für die nächstfolgende Arbeit, die in die eigentliche Winterzeit fallen wird, einen etwas besser gedeckten Karren auszubitten, in dem ich allenfalls Schutz gegen Regen finden kann. — In der ersten Woche hatten wir rein Nichts zu essen als asado, am Bratspieß gebratenes Rindfleisch; als dies alle geworden war, befanden wir uns ziemlich weit von der Wohnung und ich wollte nicht zurückkehren, ohne eine Linie zu vollenden; da lebten wir noch zwei Tage bloß von mulitas und peludos, zwei kleinen Gürtelthier-Arten, die in Menge auf diesen Campos herumspringen und leicht zu fangen sind. — Nachdem wir dann von dieser ersten Expedition zur Wohnung zurückkamen, schickte ich einen Peon 25 leg. zurück, um Schiffszwieback zu holen, der in allen Pulperien558Verkaufsstellen mit Wirtstube auf dem Lande.schliessen (Wirthschaften) zu haben ist; (während Brod dagegen sehr selten) und dieser Zwieback und asado war und blieb denn auch während der übrigen Zeit die einzige Nahrung. Über die Vortrefflichkeit des asado habe ich mich früher schon ausgesprochen, so daß ich mit dieser Nahrung vollständig zufrieden war und in Zukunft sein werde. Dagegen muß ich in Zukunft durchaus etwas Flüssiges haben, und da eignet sich denn Kirschwasser am besten aus zwei Gründen: 1) geringere Quantitäten reichen für längere Zeit aus, als dies bei Wein oder irgendeinem andern Getränk der Fall wäre, was wegen des Transports wichtig; 2) ist es erwärmend und stärkend, wie nichts Anderes. Ich will daher bei der Gelegenheit einmal die Freundschaft Spinners auf die Probe stellen, und sehen ob ich durch ihn einige Dutzend Flaschen reines Kirschwasser bekommen kann. Natürlich will ich es nicht vergebens, sondern bezahle, was immer [S.4] er verlangt. Entweder soll er mir selbst nach dem nächsten Krieset559Kirschenernte.schliessen ein reines Wasser brauen, oder mir irgendwo ein altes unverfälschtes auftreiben. Es hat Zeit bis im nächsten November, wo mir Brennwald auch eine Lieferung Sauser wird zukommen lassen. — Um nun wieder auf meine Campos zurückzukommen, so sind hier alle einheimischen Thiere noch wenig von Menschen verscheucht und in großer Menge vorhanden. Rehe und Strauße kommen in ganzen Heerden ganz nahe, zwei Arten Gürtelthiere ebenfalls, während zwei andere doch schon etwas seltener sind; von dem amerikanischen Löwen560Puma.schliessen haben die Peone am Tag bevor ich ankam, nicht weniger als drei erlegt, und zwar mit dem Lazo umstrickt und dann mit dem Messer getödtet. Die sollen dort noch sehr häufig sein; indeß schienen sie durch jene Jagd erschreckt, und ich sah während der ganzen Messungen keinen. Das Thier ist aber ganz gefahrlos, und greift nie den Menschen an; etwas gefährlicher ist der hiesige Tiger561Jaguar.schliessen; auch der soll in jener Gegend noch nicht selten sein; doch habe ich nie einen gesehen. Erwähne ich noch eine Fuchs- und eine Hasen-Art, das Stinkthier, das durch seinen stinkenden Urin alle seine Feinde, Menschen, Hunde und Raubthiere von sich fern hält, und die Biscachos,562Das Viscacha, das zur Familie der Chinchillas gehört.schliessen so sind damit schon so ziemlich alle Säugethiere dieser Pampas aufgeführt. Bis in einem Jahr ungefähr denke ich übrigens über die Provinz Buenos Aires zu schreiben und dabei die Thierwelt ähnlich populär zu behandeln, wie Claraz und ich es bereits gethan haben mit Brasilien (v. das betreffende Heft von Petermann).563J. Ch. Heusser und G. Claraz, Thierleben in der Brasilianischen Provinz Rio de Janeiro, in: Petermann, Mittheilungen 1860, S. 247-257.schliessen Die Flora der Campos ist nicht reich; mannigfaltigere und schönere Blumen habe ich gesehen in den Bergen von Tandil, doch lange nicht mit tropischen Gewächsen zu vergleichen. Geologisch interessant sind die sog. Medanos564Medanos werden die Sanddünen am Flussufer genannt.schliessen oder Sandhügel der Küste, die manchmal fast Bergeshöhe erreichen, oder wenigstens dem Auge als Berge erscheinen, das lange Nichts gesehen hat, als die Ebenen der Provinz Buenos Aires. — Das wäre kurz ein Überblick dessen, was ich gesehen, und was ich von heut ab in einem Jahr in einem Buch etwas ausführlicher zu behandeln gedenke, da ich dannzumal auch den Norden und damit die ganze Provinz gesehen haben werde. —

Spyri wird nächstens Gelder für mich eincassiren, und da bitte ich Dich, liebe [S.5] Mama, 2000 Frk. davon an Frau Geh.Rath Weiss nach Berlin zu senden, und dieselben mit einem passenden Brief zu begleiten. — Ferner möchte ich einmal von Theodor wissen, wie es eigentlich mit der Schuld an Hr. Pfr. Wild steht; ich möchte dieselbe nun abbezahlt wissen, weiß aber seit Jahr und Tag nicht mehr, wie meine von Theodor verwalteten Finanzen stehen. Auch von der Schuld an Dr. Karl Wild in St. Gallen, — eine edle Bürgschaft meinerseits im Betrag von 500 Frk. nebst etwas Zinsen, die aber bezahlt sein muß — möchte ich wissen, ob sie getilgt ist, oder nicht. Wenn nicht, werde ich die Sache von hier aus besorgen. —

Mit bestem Gruß, auch an Spinner,
Euer J. Ch. Heußer.


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