Brief Nr. 82 – 25.1.1861
Zurück zum Register
1 Vorkommen in diesem Brief
Eintrag drucken
82 25.1.1861
[Buenos Aires, 25. Januar 1861]
Liebe Mama, Tante Regeli und Schwestern!

Zunächst will ich auf die alten Geschichten zurückkommen. Die Geschenke an Barker und Mrs. Malcolm sind endlich angekommen, (schon einige Monate, aber ich habe eben seither nicht an Euch geschrieben), haben große Freude erweckt, und ich bin natürlich beauftragt, Euch großen Dank auszusprechen. Was die Photographie betrifft, so konnte allerdings die Heimath nicht wohl in einem trüberen, melancholischeren Bilde vor mich treten. Das Kästchen war artig; es hätte aber etwas darin sein sollen; ich schenke nicht gern mit leeren Händen. Das Pult ist natürlich an sich etwas, ein leeres Kästchen aber nicht. — Was die Strümpfe betrifft, so wären sie natürlich recht, sonst hätte ich es schon geschrieben. Wenn sie aber bei Ankunft dieser Zeilen noch nicht abgegangen, so zweifle ich daran, daß bald wieder eine Gelegenheit sich bietet.

Was mein Leben hier betrifft, so ist es allerdings so einförmig, daß sich nicht viel darüber sagen läßt. Indeß will ich es mit wenig Worten schildern.

Am Morgen stehe ich gegen alle gute Sitte spät auf, was übrigens seine Entschuldigung findet in dem Schluß des Tages. Dann bin ich den Tag über beschäftigt mit Ausarbeitung der auf dem Lande gemachten Vermessungen, und mit Hin- und Herspringen, um neue Arbeit zu erwerben. — Abends von 8-10 bin ich zwei, drei oder viermal die Woche, oder noch mehr bei Mss. Malcolm; hier treffe ich gewöhnlich Barker. Da aber die Malcolm'sche Familie die einfachste von der Welt ist, und durchaus nicht Gesellschaften giebt oder Kreise um sich versammelt, so mache ich hier keine neue Bekanntschaften, und kann über diesen Hauptangelpunkt, um den sich mein Leben in B. A. dreht, nicht viel sagen. Denn die Tagesgespräche und etwaige schlechte Witze, die hier vorkommen, zeichne ich natürlich nicht auf; was mich dorthin zieht ist die völlige Ungenirtheit, mit der ich mich bewegen kann, und außerdem das ganze Wesen der Mss. Malcolm, worüber ich nicht weiter Rechenschaft ablegen kann. Es giebt eben Leute, die mich an[S.2]ziehen, und andere, die ich nicht mit einem Stecken berühren möchte. Von Malcolms aus gehe ich mit Barker auf den Fremden-Club, wo er sich mit seinen Freunden zusammenthut, und ich mit einem Deutschen, namens Brisi aus Constanz, der früher mehrere Jahre in Zürich zugebracht hat, anfange Schach zu spielen. Dabei vergehen schnell einige Stunden, und so kommt es, daß ich auch am Morgen nicht früh aufstehen kann. — Außerdem besuche ich Abends bisweilen einige hiesige Familien, theils aus Höflichkeit (so die Familie des Dr. Velez, an die ich von Kern empfohlen war) theils um Verbindungen, die mir für meine Arbeiten nützlich sind, zu unterhalten, und zu suchen. Diese Besuche mache ich aber immer mit Widerstreben, da in hiesigen Kreisen Alles viel zu steif ist, große Toilette etc. — Bisweilen sehe ich noch den Preußischen Staatsvertreter und den Amerikanischen Pfarrer; und füge ich endlich hinzu, daß ich mit drei ehrlichen Bündtnern und einem Solothurner zusammen wohne, und folglich auch hie und da mit diesen zusammen bummle, so ist ziemlich das Wichtigste über meinen Lebenslauf in der Stadt B. A. erzählt. — Ganz anders ist das Leben im Camp, wo ich fast die Hälfte der Zeit zubringe; hier stehe ich frühe auf, wie ein fleißiger Philister, und arbeite von Sonnen-Aufgang bis zu deren Niedergang. Über das eigenthümliche, schöne Leben im Camp habe ich schon einmal ziemlich ausführlich nach Zürich geschrieben; es scheinen aber jene Zeilen, wie viele andere verloren gegangen zu sein, ohne je den Weg nach dem Hirzel gefunden zu haben. Heute will ich nicht darüber schreiben, sondern lieber nach dem unmittelbaren Eindruck einer nächsten Reise, die ich vorhabe, und bei der ich nicht nur wochen- sondern vielleicht monatelang nicht unter Dach und im Bett, sondern an der frischen Luft (höchstens etwa bei Regen in einem Schäfer-Karren) und auf meinem Sattel schlafen werde. — Das Leben auf dem Camp sagt mir ungemein zu, und doppelt, da diese Arbeiten sehr gut bezahlt werden. In einigen Jahren kann ich jedenfalls ein ordentliches Vermögen machen, und nachher meine Wanderungen durch Süd-Amerika und vielleicht weiter wieder antreten. [S.3] Es ist möglich, daß ich mich nächstens mit einem andern agrimensor associre; in diesem Fall könnte ich auch wohl einmal für einige Monate zu einer Reise nach Europa abkommen. So lange ich allein stehe, ist es nicht möglich, weil ich riskire unterdeß die Praxis hier zu verlieren. —

Theodor hat mir über die ökonomischen Angelegenheiten schon lange nicht mehr geschrieben. Wenn der Rest meiner Schuld an Hr. Pfr. Wild bei Brennwald steht, gut so mag er dort bleiben, bis ich ihn von hier aus abbezahle; wenn ich aber noch Schuldbriefe besitze, die unterdeß von Theodor verwaltet werden, so will ich lieber damit Hr. Pfr. Wild zurückbezahlen; sage dies Theodor.

Daß Rose nicht nach dem Hirzel gekommen, scheint mir fast dem Mangel an einer Einladung zuzuschreiben zu sein; wem immer sie zur Last fallen mag; so wie ich diesen Wilhelm R. kenne, wäre ihm eine solche Einladung sehr erwünscht gekommen. Ich hoffe, daß nächsten Sommer die Sache nicht vergessen oder vernachlässigt werde. Jenen Neffen von Weiss kenne ich nicht; wer ist er? Außer ihm werden wohl im Laufe des Sommers noch viele Leute bei Euch gewesen sein, und das Eine oder Andere sich ereignet haben, das mich interessiren könnte; aber es scheint mir, daß Ihr fast spärlicher schreibt, als ich. — Warum seid Ihr nicht nach dem Engadin gegangen, oder anderswo in die Alpen hinein?

Also mehr, wenn ich das nächste Mal vom Camp zurückkomme!

Mit Grüßen Euer
Chr.
Buenos Aires 25. Januar 1861.


Zurück zum Register