Brief Nr. 79 – 15.1.1860
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79 15.1.1860
[Buenos Aires, 15. Januar 1860]
Liebe Mama, Tante Regeli, Aega und Meta!

Aus dem inliegenden Brief an Hr. Pfr. Wild könnt Ihr sehen, wie ich es mit meiner Schuld an Hr. Pfr. Wild zu halten gedenke. Ich zweifle nicht, daß Hr. Pfr. Wild meiner Bitte entspricht, und dann vor meinem eignen, strengen Urtheil nicht finden, daß die Bitte ungerecht ist, da ich glaube Hr. Pfr. Wild werde von seinem Geld in Europa nicht mehr Zins beziehen, als ich bereit bin, ihm für den Rest meiner Schuld, den ich eben einstweilen noch nicht abzahlen möchte, zu bezahlen. Trotz dem mögt Ihr vielleicht in Europa es mit andern Augen ansehen, durch Euer Verhältniß zur Frau Pfarrer oder andere augenblickliche Verhältnisse, die ich nicht kenne, es für wünschenswerth halten, daß die ganze Schuld an Hr. Pfr. bald zurückgezahlt werde. In diesem Fall ermächtige ich Euch, den Brief an Hr. Pfr. zurückzubehalten oder zu zerreißen, wofern Ihr nämlich selbst bereit seid, mir die betreffenden 7000-8000 Frk. als Darlehen gegen eine Obligation vorzustrecken; natürlich würde ich diese Summe auch gegen Euch verzinsen. Den Grund, warum mir viel daran gelegen ist, etwas Geld zur Verfügung zu haben, werdet Ihr leicht aus dem Brief an Hr. Pfr. Wild ersehen: es ist einfach der, daß ich hier mit voller Sicherheit doppelt so viel Zins haben kann als in Europa. —

Ganz abgesehen aber von dieser Angelegenheit von Hr. Pfr. Wild frage ich Euch vier Capitalistinnen, ob Ihr mir nicht einiges Geld gegen Obligation leihen wollt; ich wäre bereit Euch 6% zu bezahlen und könnte unbedingt selbst dabei noch viel gewinnen. Die beiden Einwendungen, die Ihr mir allenfalls macht, 1) ich sei liederlich gewesen und habe das väterliche Vermögen durchgebracht, 2) meine kaufmännischen Spekulationen in Brasilien haben keinen Erfolg gehabt, sind durchaus nicht stichhaltig.

Was den ersten Punkt betrifft, so wißt Ihr, daß der größte Theil davon in der Absicht verzehrt worden ist, mir eine wissenschaftliche Carriere anzubahnen. Wenn auf diesem durstigen Wege [S.2] und in diesem unbesonnenen Lebensalter, mehr für flüssige Stoffe ausgegeben wurde, als unmittelbar nothwendig, so ist das jetzt und schon seit Jahren ganz anders. Hier in Buenos Aires führe ich das eingezogenste Leben von der Welt und gehe fast nirgends hin, als in das Haus einer jungen, liebenswürdigen, NB verheiratheten Engländerin,536Die gebürtige Engländerin Mrs. Malcolm-Smith war die Frau, die Christian Heusser eigentlich liebte. Ihren Vornamen nennt er nirgends. Erst zehn Jahre später entschloss er sich, ihre Schwester Anna Smith zu heiraten.schliessen mit der ich ein zartes, fast rührendes Verhältniß pflege. Und wenn Ihr einer der Sendungen, die Brennwald an mich machen wird, ein sinniges Geschenk aus meiner Heimath für diese Engländerin beilegen könntet, so wäre dies gar sehr am Platz.

Was den zweiten Punkt betrifft, so ist derselbe noch weniger stichhaltig; die Spekulationen an sich waren sehr gut, aber die Naturwissenschaften haben Alles weggefressen; und außerdem fehlte eine einheitliche Leitung; 4 Köpfe gehen nicht zusammen.537Zum Fiasko der Forschungsreise nach der Provinz Minas Gerais vgl. den Brief von G. Claraz an Arnold Escher von der Linth vom 5. Januar 1859.schliessen

Übrigens will ich mit dem Geld, das Ihr mir möglicherweise anvertraut, keineswegs speculiren, sondern hier an große, aber sichere Zinse legen. Die Verwaltung solcher Gelder würde ich als Gewissenssache betrachten, und eher als Lastträger in Buenos Aires arbeiten, bis das Geld wieder beisammen wäre, als dieselben nicht zurückzuzahlen. —

Mit wenig Worten: ich bin solid, verständig und gewissenhaft, wie von jeher; daher ist keine Gefahr vorhanden, mir Geld anzuvertrauen, und meine Chancen, mit anvertrautem Geld hier schnell vorwärts zu kommen, nicht gering. Je rascher ich aber hier Geld mache, desto rascher werde ich auch wohl wieder einmal nach Hause kommen. Für den Fall, daß Ihr Euch dazu entschließen könnt, so laßt den Brennwald dafür sorgen, Eure Gelder flüssig zu machen, und händigt sie vor der Hand ihm ein; wie ich ihn überhaupt Euch als Sachwalter Euerer Finanzen, die Ihr nicht allein besorgen könnt, empfehle.

Ich komme nun noch auf eine für mich sehr wichtige Angelegenheit; ich möchte nämlich den früheren Anken-Handel von Vetter Felix538"Vetter Felix" könnte sich auf Felix Heusser (1817-1875) beziehen, ein Vetter 2. Grades. Er war in Hombrechtikon Arzt, was allerdings nicht recht zum Ankenhandel passt.schliessen wieder aufnehmen, nur mit dem Unterschiede, daß ich denselben von Zürich nach Buenos Aires zu lenken gedenke. Spaß bei Seite, ich will mit Buttersendungen aus der Schweiz hieher speculiren,539Auf die Idee eines Handels mit gesalzener Schweizerbutter kam Heusser wohl, weil in Argentinien keine Milchwirtschaft betrieben wurde. Dagegen war die Zubereitung und der Handel mit eingesalzenem Fleisch ein wichtiger Produktionszweig.schliessen und da liegt es natürlich am nächsten, diesen Artikel aus dem Hirzel zu beziehen. Das Nähere könnt Ihr von Brennwald erfahren. Die einzige Schwierigkeit liegt in der Verpackung, und diese Schwierigkeit wird Brennwald beseitigen. Die Zubereitung der Butter muß allerdings auch etwas anders sein, als bei der Butter, die [S.3] unmittelbar in der Schweiz verkauft wird. Indeß ist diese zur Sendung nach Buenos Aires nothwendige Zubereitung durchaus mit keinen Schwierigkeiten verbunden; ich will sie hier auseinandersetzen: zunächst muß die Milch durch frisches, reines Wasser vollständig von der Butter ausgezogen werden, so daß diese ganz frei von Milch ist, welch letztere sich leicht zersetzt. Die so von der Milch befreite Butter wird nun mit Salz vermengt, muß von demselben innig durchdrungen werden; der Senn muß das Salz sorgfältig in die Butter hineinkneten. Und damit ist Alles gethan. Die so gesalzene Butter muß dann durch sichere Gelegenheit (am besten wohl durch das Knechtli auf einem Wägeli) dem Brennwald eingehändigt werden. Das Nähere über die Menge der zu liefernden Butter, so wie über den Ablieferungs-Termin müßt Ihr von Brennwald in Erfahrung bringen. —

Trotz dem daß die Schwierigkeiten nicht groß sind, zweifle ich daran, daß Ihr dem Ankauf und der ganzen Sache gewachsen seid. Dagegen appellire ich an die Freundschaft von Bäbeli Staub, und bitte es, sich der Sache anzunehmen. Auf einige Centimes im Preis kommt es gar nicht an, wenn nur Alles richtig besorgt wird. Auch will ich den Dienst nicht umsonst, sondern bin zu jeder billig verlangten Geld-Entschädigung, so wie außerdem zu folgendem Gegendienst bereit: für jede Lieferung Butter, die mir gut besorgt wird, anerbiete ich mich einen armen Teufel von Hirzler, wenn er wenigstens ehrlich ist und arbeitet, hier zu versorgen, d.h. ihm eine Stelle zu verschaffen, bei der er neben freier und zwar guter Kost, meist Fleisch-Nahrung, jährlich etwa 1000 Frk. verdient, und zwar gleich von Anfang an. Wenn er dann einigermaaßen Geschick und Glück hat, wird er es bald weiter bringen. Die Arbeit mit der er die 1000 Frk. verdient, ist einfach Gras schneiden, mähen. So theuer wird die Arbeit hier bezahlt! Daß Familien von drei oder vier oder mehr starken Brüdern mit einem Capital von etwa 15000 Frk. hier bald sich ein Vermögen machen könnten mit Viehzucht und Ackerbau ist ganz gewiß. Näheren Bekannten wäre ich auch stets bereit zu rathen und zu helfen; nur soll man mir nicht massenweise kommen; ich bin nicht Auswanderungs-Agent, von Niemand dafür bezahlt.

Ich zähle auf ausführliche Antwort, und mit Beziehung auf den Ankenhandel wenigstens um Erfüllung meiner Bitte und bleibe

Euer Getreuer: J. Ch. Heußer.
Buenos Aires, 15t. Januar 1860

[S.4] NB Eine Hauptsache habe ich vergessen, nämlich die Menge des nothwendigen Salzes anzugeben. Auf 40 Pfund Butter kommt 1 Pfund Salz, also auf einen Centner Butter kommen 2½ Pfund Salz. — Wie Ihr von Brennwald hören könnt, erwarte ich auch Käse-Lieferungen. Mir wäre es ganz recht, auch diese aus dem Hirzel zu beziehen; indeß wird, so viel ich weiß, im Hirzel kein fetter Käse gemacht.

Zum Schluß: ich sehe wirklich nicht ein, warum Ihr den Brief an Hr. Pfr. Wild nicht abgeben solltet; die Bitte ist nicht unbillig, und wenn Ihr etwas thun wollt, so habe ich über umso mehr Geld hier zu verfügen.

Ich weiß nicht, ob ich im letzten Brief geschrieben habe, daß die Hemden, um die ich gebeten, durchaus baumwollene sein müssen, und nicht etwa leinene.

Eigentlich ist es unrecht, daß ich oben der Engländerin erwähnt habe, und nicht dessen, der mich in ihrem Haus eingeführt. Es ist dies jener in Deutschland geborene und erzogene Engländer Namens Barker,540Der Vorname Barkers wird von Heusser nirgends genannt.schliessen der die Reise von England nach Brasilien auf der Teutonia mitgemacht hatte, und von dem ich damals schon wenn auch wie ich glaube, nicht im günstigsten Sinn geschrieben. Nachher traf ich ihn noch in Santos, bevor ich die Reise nach St. Paul antrat; dort brachten wir zusammen zwei Tage zu und näherten uns mehr. Er verreiste dann in der unbestimmten Absicht, in Buenos Aires oder an der Westküste eine Stellung zu suchen. Ich hörte dann Nichts mehr von ihm, bis ich selbst in Buenos Aires ankam. Hier kam ich aber unter eigenthümlichen Verhältnissen an, die ich bis jetzt nur in einem Brief an Widmer geschildert, nämlich ohne alles Geld. Ich hatte sicher im Sinn, mich an eine Ecke zu stellen, und einige Zeit als Lastträger541Dieser Satz alarmierte die Mutter bei der Lektüre so sehr, dass Heusser später berichtigen muss, er habe damit nur gemeint, er hätte irgendeine Gelegenheitsarbeit angenommen. Vgl. Brief Nr. 80 vom Sommer 1860.schliessen in den Straßen von Buenos Aires zu fungiren, bis ich einiges Geld beisammen hätte, um mich nach etwas Anderem umsehen zu können. Nun war ich aber von Berlin aus an den Preußischen Geschäftsträger Hr. von Gulich empfohlen, und dachte, ich wolle doch einmal sehen, was das für ein Mann sei. Dieser empfieng mich nun mit ungemeiner Freundlichkeit, und sagte mir gleich beim ersten Besuch, daß ich hier eine schöne Zukunft habe, und darum hier bleiben solle. Dagegen machte Hr. von Gulich gleich beim ersten Besuch den Eindruck auf mich, daß ich ihn unter keinen Umständen anpumpen könnte und wollte. Ich ver[S.5]ließ den Herrn von Gulich in eigenthümlicher Stimmung, indem ich die glänzenden Aussichten, die er mir gestellt, nicht gerne Preis gab, und mir doch sagen mußte, daß es um seine Protektion aus sei, wenn ich mich als Lastträger an eine Ecke stelle. Ich gab mich nun düsteren Betrachtungen hin, als gleich in den nächsten Tagen mir der Himmel einen Freund schickte, in der Person Barkers. Er hatte von meiner Ankunft gehört, und kam, mich zu besuchen. Ohne daß ich auch nur ein Wort zu sagen brauchte, durchschaute er meine Lage, und bot mir in der nobelsten Weise von der Welt Geld an. Und damit hat er 6 volle Monate fortgefahren (so lange war nämlich des Krieges wegen auch nicht im Entferntesten an Arbeit zu denken) mit einer Zartheit und Uneigennützigkeit, die, unsere geringe vorherige Bekanntschaft in Betracht gezogen, wohl ohne Beispiel ist; daher soll sie auch außerordentlich belohnt werden. Dergleichen Erfahrungen lassen mich mehr, als Bibel und Predigten, an eine höhere Leitung und ewige Vergeltung glauben. Was ich in Brasilien gethan verdiente nicht den Lohn, mich bis zum Lastträger zu erniedrigen.

Nun meine ich, wäre es Unrecht, wenn ich etwas für jene Engländerin, Mrs. Malcolm, erhielte, und Nichts für Barker. Wollte ich diesem aber ein gewöhnliches Geschenk machen, so müßte ich bei dem hiesigen Luxus und Geldverachtung mindestens einige Louisdor dran wenden; und dazu habe ich jetzt wenig Lust, da ich eben anfange, die angegriffenen Finanzen zu heilen. Nun bin ich aber zugleich überzeugt, daß irgendein Geschenk von Geldwerth Barker lange nicht so freuen würde, als eine Kleinigkeit aus meiner Heimath, wenn sie einen Gedanken repräsentirt. Und wenn sie dies an sich nicht thut, so könntest Du, liebe Mama, derselben durch einige Verse den Gedanken leihen. Ich denke der Stoff ist so, daß er Dich wohl noch einmal zu einem poetischen Erguß begeistern könnte, und damit wäre Barker auch außerordentlich belohnt!

Chr.

Jener Huber von Hausen, Colonist von St. Fé wird wohl seither im Hirzel gewesen sein. Ich habe seiner Zeit geschrieben, daß, wenn einige arme Hirzler-Familien mit kommen wollen, sie dabei ziemlich Aussichten zu günstigem Fortkommen haben. Ich glaube noch jetzt, daß fleißige Leute dabei ihr Loos nur verbessern werden. Dagegen ist es leicht möglich, daß sich Nächstens hier noch bessere Aussichten für Auswanderer von einer andern Seite her öffnen. Ich werde nach etwa drei Monaten darüber ausführlich an Widmer schreiben; und wenn etwa 10 bis 15 [S.6] arbeitsame und solide Hirzler-Familien auswanderungslustig sind, so glaube ich, thun sie besser, noch so lange zuzuwarten. Nach St. Fé können sie immer, auch wenn aus diesem letzt erwähnten Projekt Nichts werden sollte.

Endlich wünsche ich in Folge einer Wette zu wissen, wer nach dem Zürcher-Bürger-Etat die innig geliebte Gattin542Emerentia (Emmy) Cleophea Meyer, die Frau von Gerold Meyer von Knonau (†1858), war mit Meta Heusser befreundet: vgl. R. Schindler, Die Memorabilien, S. 233. Gerold Meyer von Knonau war seit 1837 Staatsarchivar in Zürich gewesen.schliessen des sel. verstorbenen Gerold Meier von Knonau, Staatsarchivar in Zürich war.



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