Brief Nr. 76 – 26.8.1859
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76 26.8.1859
[Buenos Aires, 26. August 1859]
Liebe Eltern!

Wenn ich nicht irre, so ist es bald ein Jahr, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, nämlich auf der letzten großen Reise aus dem Innern von Minas. Zwar habe ich seitdem ziemlich viel erlebt, aber ich wollte nicht eher schreiben, als bis ich einmal erst wieder festgesessen. Dies ist zwar gegenwärtig nicht der Fall; indeß ergreife ich doch die Feder aus zwei Gründen: 1) werde ich mich vielleicht nirgends mehr fest niederlassen, sondern meine Reisen fortsetzen, vielleicht sogar nach Asien ausdehnen, 2) befinde ich mich gegenwärtig in einem Lande, wo viel Kriegslärm aber wenig Gefahr ist;513Auf die politischen Spannungen zwischen der Argentinischen Republik und ihren Nachbarn kommt Heusser in der Folge mehrfach ausführlich zu sprechen.schliessen da aber doch Kriegsthaten und Gefahren vielfach übertrieben nach Europa berichtet werden, so will ich als Lebenszeichen diese Zeilen abgehen lassen. — Was die Reiseprojekte betrifft, so sind sie eben einstweilen nur Projekte; außerdem habe ich schon weitläufig darüber geschrieben an Widmer, und mag mich nicht wiederholen. Vielleicht würde es aber auch Hr. Pfr. Wild interessiren, etwas darüber zu vernehmen; für diesen Fall wird es wohl einen Canal geben, an Widmer zu gelangen.

Von der Reise aus Minas sind wir Ende vorigen Jahres glücklich nach Cantagallo zurückgekehrt, und waren nun zunächst sehr beschäftigt mit der Ausarbeitung einiger schriftlicher Arbeiten, die hoffentlich nun endlich im Druck erschienen sind. Vor allem meine ich die halbpopulär gehaltene Reisebeschreibung in Petermans Journal,514J. Ch. Heusser und G. Claraz, Physikalische und geologische Forschungen im Innern Brasiliens, Petermanns Mitteilungen XI, 1859, S. 447-468.schliessen die mir weitere briefliche Nachrichten überflüssig erscheinen ließ. Kurz vor Neujahr machte ich mit Claraz zusammen eine Reise nach Rio, um einen Theil unsrer Sammlungen dorthin zu bringen; und von Rio begaben wir uns ins Thal des Macahé auf die Fazenda des Bruders von Claraz,515Auf der Fazenda seines Bruders Joseph hatte Georges Claraz nach seiner Ankunft in Brasilien längere Zeit gelebt. Vgl. Brief Nr. 68 vom 4. Februar 1857.schliessen wo wir einige Monate zubrachten, um Sammlungen aller Art anzulegen. Leider hat sich unser Aufenthalt daselbst bis Ende Mai hingezogen, da die lange andauernden Regen bis dahin die Wege fast ungangbar gemacht hatten. Über die Flora und Fauna von Macahé wollten wir etwas Populäres schreiben; ich fing zu dem Zwecke an mit der Reise von Cantagallo nach Rio und von da nach Macahé; dabei blieb es aber; aus verschiedenen Gründen haben wir die Arbeit über die Flora und Fauna von Mac[a]hé unterlassen. Da aber mein erster Anfang noch vor mir liegt, habe ich denselben hier in Buenos Aires ausgefüllt in der Absicht, damit wieder einmal etwas gegen die brasilianische Colonisation zu sagen. Indeß scheint mir fast, der zweite Theil passe zum ersten, wie eine Faust auf das Auge. Item, wenn Ihr das Zeug gelesen, so sorgt dafür, daß es an Widmer gelange, der je nach Gutfinden für den Druck desselben sorgen wird.

Rio und Brasilien habe ich gottlob endlich um Mitte Juli verlassen, und bin glücklich nach 7 tägiger Fahrt in Montevideo angelangt. Es war ein Brasilianisches Schiff, das in zwei Häfen an der Brasilianischen Küste anhielt in St. Katharina und in Rio Grande. St. Katherina liegt an der äußersten südlichen Grenze der Tropen, von denen ich hier Abschied nahm. In der That ist es noch ein ganz bezauberndes Gelände, eine ganz paradiesische Insel; als solche beschäftigt es auch die Phantasie etwas mehr, und erinnert an Robinson und andere Träume. Der ganze Charakter der Insel, sowie des nahen Festlandes (man fährt zwischen beiden hindurch, und der Hafen von St. Katharina ist kaum eine Stunde von der gegenüberliegenden Küste entfernt) war mir übrigens nicht neu; es sind die bekannten, pitoresken Formen des brasilianischen Küstengebirgs, nur etwas sanfter. Weiter nach Süden verflachen sie sich dann ganz, oder vielmehr sie ziehen sich mehr ins Innere zurück, so daß Rio Grande, der zweite Punkt, wo wir anhielten, bereits in einer großen, langweiligen Sand-Ebene gelegen ist. Als Städte bieten weder St. Katharina noch Rio Grande irgend etwas Bemerkenswerthes; sie sind aus der Ferne, wenn auch nicht schön, doch minder häßlich als in der Nähe; aus der Ferne macht am Ende jede Häusergruppe zwischen Bananen-, Orangen- und andern schönen Bäumen gelegen, einen angenehmen Eindruck; im Innern Brasilianischer Städte gewahrt das Auge Nichts, als Unreinlichkeit und die Nase Gestank. — Ganz anders in dieser Beziehung die Spanischen Städte, die ich bis jetzt gesehen, Montevideo und Buenos Aires. Sie gewähren nicht bloß durch ihre schönen Gebäude mit blendend weißen Mauern schon vom Hafen aus einen schönen Anblick, sondern zeigen auch im Innern breite Straßen, Reinlichkeit und eine herrliche Luft. Ganz besonders angenehm hat mich Montevideo überrascht, sei es, weil ich es zuerst gesehen, sei es, daß es wirklich, wenn auch kleiner, doch zierlicher, oder sei es endlich, daß es etwas höher gelegen ist, als Buenos Aires. Wir fuhren an einem prächtig schönen, frischen Morgen in den Hafen ein. Wieder einmal etwas zu frieren, war wahrhaftig eher ein wohlthuendes als unangenehmes Gefühl für mich, und die ganze Luft war eigentlich erquickend. Der erste Mensch, den ich im Gasthof traf, war ein Berner, Namens Cünier,516Im Grundbuch des Kantons Luzern ist ein Kaufvertrag zwischen dem Staat Luzern und Carl Cunier vom 6. Januar 1853 vermerkt für die Grundstücke des Klosters St. Urban.schliessen der in der Schweiz Besitzer des großen Klosters und Gutes St. Urban war, dasselbe dann mit Vortheil verkaufte, und seitdem eine Estancia in der Nähe von Montevideo besitzt. Estancia ist [S.2] was in Brasilien eine Fazenda, und kann füglich mit "großer Bauernhof" übersetzt werden, da hier nicht mehr Colonial-Waaren, Cafe, Zucker etc. durch Sklavenarbeit producirt werden, sondern Vieh (namentlich Schafzucht) und etwas Ackerbau von freien Leuten betrieben wird. — Dieser Herr Cunier war sehr freundlich, und lud mich gleich ein, seine Estancia zu besuchen. Die Einladung konnte ich freilich nicht annehmen, da ich so schnell als möglich nach Buenos Aires gehen wollte, wo sich der Preußische Geschäftsträger aufhält, Hr. von Gülich,517Friedrich von Gülich (1820-1903) vertrat von 1857 bis 1868 die Interessen Preussens in Buenos Aires.schliessen an den ich von Berlin aus sehr gut empfohlen war. Ich verreiste dann auch noch denselben Tag gegen Abend. Indeß will ich doch noch eine zweite angenehme Bekanntschaft erwähnen, die ich hier machte, nämlich die eines Bremer-Kaufmanns, Namens Toel. Er kennt zwar die Verwandten Wichelhausens gar nicht; aber ich fühlte mich doch mehr zu Ihm hingezogen, als zu den vielen Hamburgern, die ich schon kennen gelernt. Montevideo ist klein, aber niedlich; es ist die Hauptstadt der sog. Banda Oriental oder Provinz Uruguay, die für sich eine selbstständige Republik bildet, unabhängig von der Argentinischen Conföderation. Das Ländchen soll nach allen Berichten ohne Ausnahme ausgezeichnet fruchtbar, von schiffbaren Flüssen und kleinen Gebirgen durchzogen sein; die Bevölkerung beträgt kaum 200'000 Seelen, also nicht die Anzahl der Bewohner des Kantons Zürich, während die Größe des Landes, zwar nicht genau bekannt, aber jedenfalls einige Male so groß, wie die Schweiz ist. Montevideo ist bloß Ausfuhrplatz für die Produkte dieser geringen Bevölkerung; sein Handel kann daher nicht bedeutend sein. Viel bedeutender dagegen ist Buenos Aires als Hafen und Ausfuhrplatz der ganzen Argentinischen Republik, d.h. des großen Ländercomplexes im Innern des Continents bis zum östlichen Abfall der Anden. Buenos Aires lebt gegenwärtig mit den übrigen Provinzen der Republik im Krieg; von den beiden Krieg führenden Partheien waren alle Dampfschiffe aufgekauft worden, und so mußte ich denn in Montevideo ein Segelschiff besteigen, und wir brauchten 2 Tage und 3 Nächte bis Buenos Aires, da wir Gegenwind hatten, während ein Dampfschiff denselben Weg in 10 Stunden zurücklegt. Die Fahrt war aber nicht unangenehm; anstatt brasilianischer Knauserei traf ich schon auf dieser ersten Fahrt Spanische Freigebigkeit: Spanische Weine in Hülle und Fülle. Vom großen La-Plata Strom läßt sich nicht viel sagen, da er in der That wie ein Meer ist, so daß, wenn man nahe an der einen Küste fährt, man das andere Ufer nicht erblickt. Selbst in Buenos Aires sieht man nur an hellen Tagen durch das Fernrohr das gegenüber liegende Städtchen Colonia. Buenos Aires selbst trägt mit Recht seinen Namen; ich kann vom Klima nur sagen, was ich schon bei Montevideo gesagt, daß es erquickend ist, und daß der Europäer, aus Brasilien kommend, hier neu auflebt. Die Stadt B. A. selbst ist auf einem schwachen Höhenzug erbaut, der sich auch außerhalb derselben noch Stunden weit fortsetzt. Nach dem Innern zu geht jener Höhenzug in die unabsehbare Ebene der Pampas über. Der Höhenzug macht sich ähnlich wie die Dünen an der Nord- und Ostsee, und hat auch vielleicht dieselbe Entstehung. Nur hat man nicht etwa an den Sand der Mark Brandenburg zu denken; vielmehr ist der Boden hier äußerst fruchtbar. Auf der Fortsetzung jenes Höhenzuges liegen eine Menge Landhäuser mit prächtigen Gärten; ich kam noch im vollen hiesigen Winter an, und da war allerdings noch Alles ziemlich kahl. Jetzt beim anbrechenden Frühling bricht aber das schönste frische Grün aus dem Boden hervor; Pfirsichbäume, die bekanntlich hier unendlich häufig sind, und ganze Wälder bilden, fangen an zu blühen; neben diesen finden sich in jenen Gärten häufig Olivenbäume und Cypressen mit ihrem Dunkelgrün, auch wohl Orangenbäume mit reifen Früchten; außerdem sind die Spanier große Blumenfreunde, opfern viel für Blumenzucht, und ich glaube wohl, daß diese Gärten um B. A. im Großen Ganzen mit zu den schönsten gehören, die man irgendwo um eine Stadt findet.

Hier in Buenos Aires habe ich denn den schon erwähnten Hr. v. Gulich518Friedrich von Gülich selbst beschrieb in einem Aufsatz seine "Reise im Thal des Uruguay und auf dem Gebiete der Banda Oriental". Der Aufsatz erschien in der Zs. f. Allgem. Erdkunde, N.F.V, Berlin 1858, S. 281-305.schliessen getroffen, und bin von demselben mit der größten Freundlichkeit aufgenommen und unterstützt worden. Die Länder am La Plata bieten mir für den Fall, daß Friede geschlossen wird, schöne Aussichten für die Zukunft, da diese Republiken sehr oft halb wissenschaftliche, halb praktische Expeditionen zur Erforschung ihrer wenig bekannten, noch von Wilden bewohnten, Gebietstheile ausrüsten, und dabei ziemlich auf Fremde angewiesen sind, da es im eignen Land natürlich ziemlich an tüchtigen Leuten gebricht. Einstweilen ist mir eine Stelle am hiesigen Museum zum Ordnen und Bestimmen der meist ganz unbestimmten Gegenstände zugesagt; ich habe dieselbe aber noch nicht antreten können, weil das Staats-Oberhaupt für einige Tage zum Heer abgegangen ist. Unterdeß bin ich mit vielen, freundlichen englischen Familien bekannt geworden, wohne auch bei einer solchen, außerdem mit Nord-Amerikanern, so besonders mit einem Methodisten-Prediger,519Leider nennt Heusser diesen Methodisten-Prediger nirgends mit Namen.schliessen der neben seinem Gottesdienst auch öffentliche Vorlesungen über alle möglichen Gebiete der Naturwissenschaften (nach ächt nordamerikanischer Art) hält, abgesehen von diesem Schwindel aber ein respektabler Mann ist. Unter den Englischen Bekanntschaften ist mir die angenehmste die eines Pferdeverleihers, der mehrere hundert Pferde besitzt. Bekanntlich nähren diese Ebenen einen starken, schönen Pferdeschlag, und die Freude, sich auf denselben herumzutummeln, ist nicht gering. — Von den politischen Ereignissen habe ich auf dem beiliegenden besonderen Blatt520Dieses Blatt ist nicht erhalten.schliessen kurze Mittheilung gemacht, und bitte, wenn Ihr es gelesen, dasselbe an Widmer einzuhändigen, der es vielleicht zum Druck befördern wird. —

Mit besten Grüßen
J. Chr. Heußer
Buenos Aires den 26t. August 1859.


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