Brief Nr. 75 – 28.12.1858
Zurück zum Register
1 Vorkommen in diesem Brief
Eintrag drucken
75 28.12.1858
[Rio de Janeiro, 28. Dezember 1858]
Liebe Mama und Ega und Tante Reguli und Meta, um gleich alle im Hirzel zusammenzufassen!

Auf Eure Briefe vom 24t. October weiß ich wenig zu antworten; gar Nichts vollends auf Egas Geschichte.508Die Verlobung Egas mit Jacques Spyri dauerte nur kurze Zeit. Die Mutter schreibt in der Hauschronik, S. 113: "Es war ein großes Mißverständnis, ein schwerer Irrtum zu meinen, daß Ega und er je zusammenpassen könnten."schliessen Obgleich ich Wuthausbrüche in der Zeit der Verlobung auch nicht gerade für am Platz halte, so bin ich doch überzeugt, daß sie nie aus so gemeinen Motiven herstammten, wie wir es sonst zu sehen gewohnt waren.

Was den Schluß der Reise betrifft, so kann ich Nichts mehr schreiben, da ich noch ziemlich ausführlich darüber an Brennwald geschrieben habe. — Was Deine Klagen betrifft, liebe Mama, so ist Eine jedenfalls unbegründet, nämlich die über "hohe Gedanken", die einst Weiss ausgesprochen haben soll.509Mit Prof. Chr. S. Weiss hatte sich die Mutter über die Berufsaussichten ihres Sohnes unterhalten, als er im September 1853 und genau ein Jahr später nochmals zu Besuch auf dem Hirzel war. Vgl. R. Schindler, Memorabilien, S. 124f. und M. Heusser, Hauschronik, S. 98f.schliessen Er kann nicht mehr gesagt haben, als daß ich in der Wissenschaft etwas zu leisten im Stande sei. Zufällig hat aber gerade diese Reise ein schönes wissenschaftliches Resultat gehabt, das, wie ich keinen Augenblick zweifle, auch Anerkennung finden wird in der gelehrten Welt. Diese Arbeit über die wahre Lagerstätte der Diamanten510J. Ch. Heusser und G. Claraz, Über die wahre Lagerstätte der Diamanten und anderer Edelsteine in der Provinz Minas Geraës in Brasilien, in: Zeitschrift. der. Dt. Geolog. Gesellschaft XI, 1895, S. 448-466.schliessen geht aber erst mit demselben Schiff, das diesen Brief nach Zürich bringt, nach Berlin ab. Ich meine damit durchaus nicht jene halbwissenschaftlichen Aufsätze, die wir schon von Ouro preto und Diamantina aus gesandt haben, und die hoffentlich endlich einmal im Druck erschienen sind.511In "Petermanns Mittheilungen" 1860, S. 247-468 erschien von Heusser und Claraz der Aufsatz "Physikalische und geologische Forschungen im Innern Brasiliens." Der Herausgeber A. Petermann schrieb dazu eine einführende Anmerkung, die Heusser vorstellt. Darin heisst es u.a.: "Seine freimüthige Darlegung der trostlosen Lage jener Kolonisten erregte damals grosses Aufsehen und Interesse, und wenn sie auch Anfangs Widerspruch fand, so wurde sie doch später glänzend gerechtfertigt."schliessen In diesen maaße ich mir nicht an, irgend etwas Wissenschaftliches geleistet zu haben; dagegen bin ich doch so eitel, zu glauben darin unendlich viel mehr Neues und Interessantes mitgetheilt zu haben, als der Blageur Tschudi in seinen Reiseberichten. Vielleicht, daß diese Aufsätze doch bezahlt werden, und zu weitern Einsendungen aufmuntern. [S.2] Was dagegen die Klage über die ökonomische Lage der Dinge betrifft, so kann ich allerdings noch nicht behaupten, ein reicher Mann geworden zu sein. Dies wäre allerdings wünschenswerth meiner Schulden halber. Wenn man aber bedenkt, daß wissenschaftliche Reisen noch nie ohne ganz bedeutende Geldopfer unternommen worden sind, so muß man doch am Ende zufrieden sein, daß wir unsere Reisekosten wenigstens durch unsere verschiedenen Industriezweige gedeckt haben, wie ich vollständig überzeugt bin, insofern wir nämlich noch unsere gesammelten Schätze glücklich über den Ocean bringen. Zwei Diamanten besitze ich wenigstens, die mir unter 4000 Frk. nicht weggehen, was schon einen artigen Beitrag an die Reisekosten giebt. Die übrigen Mineralien haben auch einen schönen Werth, und um so mehr, wenn ich dieselben einst selbst in Europa verwerthen kann, und nicht jetzt vorweg an Europäische Mineralienhandlungen abzutreten brauche. Dies scheint aber wirklich nicht der Fall zu sein, indem Nägeli nicht nur, was er bisher bei seiner Praxis gewonnen, sondern seine ganze Stellung in die Wagschaale legt, und uns vom nächsten Frühjahr an auf unsern Reisen begleitet. Daraus seht Ihr also schon, daß ich auch wieder einmal heimzukommen gedenke; aber einige Jahre wird es freilich noch dauern. Vorher müssen unsere Sammlungen noch großartig anwachsen. Alles, was bis jetzt herüber geschickt worden, und zu Grunde gegangen, waren nur kleine Proben, um zu erfahren, wie die Sachen in Europa bezahlt werden möchten. Deshalb war auch jene Käfersendung nach Berlin durchaus nicht so verfehlt, und die Entomologen in Berlin haben sich selbst widersprochen, wie ich übrigens in dem Brief an Spyri auseinandergesetzt.

Jetzt geht es bald nach dem Süden, und dann nach dem Westen, nach den Anden, sei es in Chili oder Bolivien.512Diese Reisepläne konnte Heusser nicht realisieren, weil es ihm an Geld fehlte und Dr. Nägeli sich doch nicht entschliessen konnte, mitzureisen.schliessen Auf letztere bin ich ganz besonders gespannt: [S.3] auf den geringeren Höhen der brasilianischen Gebirge haben wir in verschiedenen Beziehungen Analogien zu alpinen Erscheinungen gefunden, nur daß natürlich hier unter den Tropen, Alles viel üppiger und reicher. Viel mehr analoge Erscheinungen werden sich natürlich in den Anden herausstellen, wo schon, was wir für die Alpen als charakteristisch betrachten, Schnee und Eis vorhanden ist.

So seht Ihr, daß es um mich im Ganzen nicht schlimm steht. Fatal ist allerdings, daß ich dabei meine Schulden an Hr. Pfr. Wild einstweilen nicht abzahlen kann, sondern immer noch auf das einstige Erbe vertrösten muß. Die Wissenschaft ist noch nie reich geworden, und Hr. Pfr. W. hat mir einmal das Geld zu einer rein wissenschaftlichen Ausbildung gegeben. Ich hätte schon lange einmal an ihn schreiben sollen, aber ich kann es unter solchen Verhältnissen nicht. —

An eine Stellung als Ingenieur oder irgend welcher Art in Brasilien war unter den gegenwärtigen Verhältnissen nie zu denken. Ich glaube ziemlich sicher, daß im Süden oder Westen, sich eine solche Stellung für mich finden würde. Wenn aber dort, wie hier, sich das Reisen durch das Reisen bezahlt machen kann, so denke ich nicht mehr dran mich irgendwo zu fixiren. Das Reisen mit seiner unendlichen Abwechslung bietet mehr Reiz, als irgend eine andere Lebens-Thätigkeit. —

So ist es mir auch in den 14 Tagen, die ich in Rio zubringen mußte, schon längst langweilig geworden, und ich freue mich, bald wieder kleinere Touren an die Küste anzutreten. So wollen wir noch die Regenmonate Januar und Februar zubringen; dann geht es wieder nach Cantagallo, wo auf Bom Vallé die weiteren Reisepläne definitiv beschlossen werden.

So werde ich wahrscheinlich den Altjahrs-Abend auf der Reise zwischen hier und Macahé in irgend einem schlechten Rancho mit Brasilianischen Troupeiros oder anderem Gesindel zubringen. Schadet nicht, kommt doch noch einmal anders!

Mit herzlichem Gruß:
Chr.
Rio de Janeiro den 28t. December 1858.


Zurück zum Register