Brief Nr. 65 – 18.4.-21.5.1857
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65 18.4.-21.5.1857
[Campinas, 18. April 1857]
Liebe Eltern,446Dieser Text bildet den Schluss des Reiseberichtes, erschienen im Feuilleton der NZZ vom 20. August 1857, S. 74f.schliessen

Campinas, den 18t. April. Auf unserer Rund-Reise durch die Provinz sind wir gestern in dieser Stadt angekommen, die Euch vielleicht dem Namen nach bekannt ist. Denn wenn der Cafè aus der Provinz Rio, der sogenannte Rio- oder Actencafé seiner schlechten Qualität wegen verrufen ist, so rettet dagegen der Café aus der Provinz St. Paulo, der gewöhnlich Campinas-Café genannt wird, weil um diese Stadt herum die größten Anpflanzungen sich finden, die Ehre Brasiliens. In der That muß ich gestehen, daß ich in meinem Leben keinen besseren Café, vielleicht überhaupt kein besseres Getränk getrunken habe, als diesen Café; von dem Aroma, das Einen beim Eintritt in ein großes Café-Magazin hier anweht, hat man wirklich in Europa keinen Begriff.

Von diesem materiellen Genuß will ich nun zu einem geistigen übergehen, nämlich zu der Feier des Osterfestes. Zunächst ist hier die eigenthümliche Sitte, daß von diesen kleinen Städtchen, die etwa 6 bis 10 Stunden von einander entfernt liegen, nicht jedes Jahr jedes sein eigenes Fest feiert, sondern daß zwei oder drei Städtchen zusammen, ein Jahr hier, das andere Jahr dort, gemeinschaftlich feiern. Dies Jahr traf es sich nun gerade in St. João, wo ich die Ostertage bei Herrn Dr. Gattiker zubrachte. Schon dies Zusammenlaufen beweist eigentlich, daß es den Leuten mehr um Vergnügen, als um eine ernstliche Feier zu thun ist, und in der That glich diese ganze Osterwoche in St. João mehr der Fastnachtszeit der Europäischen Christenheit als einer religiösen Feier. Einem Europäer kommt freilich die ganze Geschichte um so bunter und komischer vor, als er noch nicht recht an die Art des Reisens hier zu Lande gewohnt ist. Von Fahren ist nämlich bei den schlechten Straßen keine Rede, und doch können bei diesen großen Entfernungen natürlich nicht ganze Familien zu Fuße reisen, sondern es bleibt eben nichts Anderes übrig, als zu reiten. Da sieht man denn wirklich die buntesten Gruppen, zwei und drei Kinder auf Einem Pferd, Lahme mit Krücken ebenfalls reitend, dabei nun die buntesten Farben, wie die Brasilianer sie lieben, in ihren Kleidern, Sonnen- und Regenschirmen, Punchen (Mänteln) u.s.w. und nicht minder bunte Farben in der Hautfarbe. Das ganze Fest dauerte die ganze Woche vom Palmsonntag bis zum Ostersonntag; tagtäglich rückten neue Familien ein; viele derselben fanden natürlich in dem Städtchen St. João keinen Platz mehr, sondern mußten ringsherum auf den kleinen Citien (Bauerngütern), bis eine Legoa von der Stadt, ein Obdach suchen. So weit geht aber kein Brasilianer zu Fuß; und da die Leute einmal viele Stunden weit zum Fest gekommen waren, wollten sie auch täglich die Kirche besuchen. Sie kamen daher auch täglich zur Stadt geritten, stiegen unmittelbar bei der Kirche ab; je zwei oder drei Pferde zusammengebunden blieben ruhig vor der Kirche stehen, und so kam es, daß der große, freie Platz [S.2] vor der Kirche in der ganzen Osterwoche nicht anders, als ein Pferdemarkt aussah. — Was die religiöse Feier selbst betrifft, so will ich zum Beweise, wie in Brasilien Alles nur äußere Form, von ernster Hinwendung aber keine Rede ist, doch eine Procession, die ich selbst mit angesehen, etwas näher beschreiben. Diese Procession sollte ohne Zweifel die Ausführung zum Kreuze darstellen; wenigstens wurde ein großes hölzernes Bild: "Christus mit dem Kreuze" herumgetragen. Trotzdem fand diese Procession am Palmsonntag statt, zum klaren Beweis daß die gesammte Geistlichkeit dieser Gegend noch kein Testament gelesen hat. Der ganze Zug wurde angeführt durch einen Mann, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes, dunkles Kleid gehüllt, so daß vom Gesicht gar Nichts zu sehen war; dabei hatte er ein großes blechernes Rohr mit dumpfem Ton, das er bisweilen ertönen ließ. Diese Figur sollte wahrscheinlich den Engel darstellen, der mit der Tuba zum jüngsten Gericht bläst, wenigstens konnte ich mir nichts Anderes darunter vorstellen. Hinter diesem folgten nun eine große Anzahl kleine Kinder, in Engel verkleidet, mit Flügeln, die fast die Straßenbreite einnahmen und von allen möglichen Farben. Hinter diesen Engeln dann jenes Christusbild, begleitet von den Ersten des Städtchens in schwarzer Kleidung, und dann die National-Garde in Uniform und zuletzt der Publicus. Die Procession gieng in der Dämmerung vor sich, und der eben beschriebene Zug wurde begleitet von einer großen Anzahl Fackelträger, welche zu beiden Seiten der Straße giengen. In der Stadt waren etwa 4 Altäre errichtet, und wenn jenes Christusbild bei einem solchen angekommen war, wurde Halt gemacht und gebetet. Diese Altäre hatten allerdings alle ein religiöses Bild in der Mitte, welches, an einem Ort wenigstens, nicht übel war, und allenfalls auch in einer kleineren Kirche der katholischen Schweiz aufgehängt würde. Diese Bilder waren von einer großen Menge Wachslichter erleuchtet, um diese Wachslichter herum aber noch eine Menge ganz fremdartiger, beliebiger Figuren aufgestellt, wie sie in der Stadt gerade aufgetrieben werden konnten. So hatte Dr. Gattiker eine Porzellan-Figur, einen Bauern mit einer Tanse darstellend, welch letztere durchlöchert und zur Aufnahme von Cigarren bestimmt war. Er wurde um diese Figur gebeten; auch sie schmückte einen Altar und gefiel allgemein. Noch habe ich vergessen, daß, wenn der Zug sich bewegte, fast ununterbrochen Raketen in die Luft flogen unter lautem Jubel und Hallo der Menge; ob dies wirklich veranstaltet war und mit zum Fest gehörte, oder bloß geduldet wurde, weiß ich nicht. Das Schönste von Allem war aber jedenfalls Folgendes: die lärmende Jugend schien besonders Gefallen zu finden an dem Posaunen-Engel, der den Zug anführte, concentrirte sich allmälig um diesen und schrie immer lauter. Diesem wurde es doch zu bunt, er zog, wie man in der Schweiz sagt, vom Leder, d.h. er erhob seine Posaune, sprang unter die Mulex (farbige Jugend) und schlug mit der Tuba auf sie los. Diese zerstoben augenblicklich, er wollte ihnen nachsetzen, konnte aber in seinem Talar, der bis auf die Füße heruntergieng, natürlich nicht springen, und so entstand ein Lachen und Heulen, wie ich es noch nie gehört, an einer Oster-[S.3]Procession aber auch nicht einmal geträumt hätte. Zum Schluß wurde dann noch eine Predigt gehalten. Am Char-Freitag fand eine ganz ähnliche Procession statt, nur daß statt jenes Christus-Bildes ein schwarzer Sarg herumgeführt wurde, und daß jetzt kein solcher Skandal mehr war, sondern wirklich mehr Ruhe und Ernst. Die ganze Woche wurde kein Fleisch, und am Charfreitag wurde gar Nichts gegessen, dafür aber an diesem Tage in allen Häusern geschlachtet, gebraten und gebacken, daß über diesen Geschäften wieder der Ernst des Tages viel mehr Preis gegeben wurde, als wenn die Leute ihre gewöhnliche Kost genossen hätten. Freitag Nachts um 12 Uhr wurde dann aber überall Tafel gehalten, gezecht und eingeholt, was die Woche hindurch versäumt worden. Ein Hauptspass447Über dem Wort "Hauptspass" notiert Heusser "Merkwürdigkeit".schliessen fand dann noch am Samstag statt. An diesem Tage wird nämlich vor vielen Häusern ein sogenannter Judaeo aufgehängt, d.h. eine Maske (was man in Zürich am Sechseläuten einen Bögg nennt), welche dann gegen Mittag von den Mulex heruntergerissen und unter furchtbarem Lärm verstümmelt wird, um so mehr, da vor den wohlhabenden Häusern dem Judaeo etwas Geld in die Tasche gelegt wird, um welches sich dann die Mulex streiten. Da ich gerade von der Colonisten-Geschichte her einen unbegrenzten Haß gegen alle Verräther448Eine erste Anspielung auf die Schwierigkeiten, in die Heusser persönlich während seiner Mission hineingeriet. Vgl. die Briefe Nr. 66b (3. 8. 1857), Nr. 68 (31. 10. 1857) und Nr. 70 (3. 3. 1858) an Spyri.schliessen habe, so machte es mir wirklich großen Spaß, einen solchen Judas auch vor unserm Hause hängen zu sehen. Unser im vorigen Brief beschriebene Diener Sabia gab sich daher alle Mühe, aus Stroh und alten Kleidern einen möglichst schönen Judaeo herzustellen, und da wir seine Tasche ziemlich mit Geld spickten, so hatten wir die Genugthuung, daß vor unserm Hause der Verrath am lautesten und schwersten gegeißelt wurde. Diesen Sinn hat nämlich offenbar die Sitte, wenn man hier zu Land überhaupt einer Sitte einen Sinn zuschreiben will. — Im Süden (Rio Grande u.s.w.) soll diese Sitte übrigens einen etwas maliciöseren Charakter haben; das Wort Judaeo heißt nämlich Jude überhaupt, und unter Juden verstehen die Brasilianer auch die Protestanten, kurz alle Nicht-Katholiken. In den südlichen Städten sollen nun die Katholiken jene "Judaeoi" bloß den Protestanten vor die Häuser hängen und diese damit als Verräther qualificiren. — Bei Gelegenheit des in unserm Hause fabrizirten Judas muß ich aber doch noch erwähnen, wie bei unserm Sabia Aberglaube und Eitelkeit mit einander in den Kampf kamen. Als wir nämlich den Judaeo mit alten Kleidern schön ausgerüstet hatten, fehlte uns bloß noch ein Hut. Wir forderten Sabia auf, den Seinen herzugeben, und versprachen ihm dann einen neuen. Erst wollte er durchaus nicht: das bringe Unglück. Dann setzte er meinen Hut auf, trat vor den Spiegel und sagte nach einigem Besinnen: wenn ich ihm einen solchen kaufe, so wolle er seinen hergeben. Das war nun nicht möglich, weil im Städtchen St. João kein ähnlicher zu haben war. Indeß ließ sich Sabia am Ende bereden, nachdem ich ihm versprochen, daß er sich selbst den schönsten, den er in der Stadt finde, auswählen könne.

Auf diese Festwoche folgte dann am Oster-Sonntag und Oster-Montag Pferde- Maulthier- Vieh- und Sklaven-[S.4] Markt, Alles auf Einem Platz ganz nahe bei einander. Diesen würdigen Schluß kann ich nicht beschreiben, weil ich keine Lust verspürte, den Markt näher anzusehn.449Hier endet der Abdruck in der NZZ mit dem wohl von Spyri hinzugefügten Nachsatz: "Grüßt mir die schöne Heimath!"schliessen

[Rio de Janeiro, 21. Mai 1857]

Rio de Janeiro den 21t. Mai, d.h. Auffahrtstag. Endlich bin ich vor wenigen Tagen aus der Provinz St. Paul und von den Colonien zurückgekehrt, und freue mich, hier wieder einmal frei aufathmen zu können, und zur Erinnerung an die Heimath Eure Briefe hier vorzufinden, die am 23t. Januar, 3t. März und 3t. April von Zürich abgegangen sind, und die ich nun der Reihe nach beantworten will. Was zunächst die Colonisation betrifft, so werde ich mich hier natürlich nicht weitläufig auf das einlassen, was ich gesehen und erlebt. Damit Ihr aber meine Antwort auf Eure speciellen Fragen versteht, fasse ich hier meinen ganzen Bericht, der an die Regierung abgehen wird kurz dahin zusammen: Die Schweizer, die durch Vergueiro nach der Provinz St. Paul eingeführt wurden, sind durch Wucher auf eine so schauderhafte Weise ausgebeutet, die Contrakte sind von den hiesigen Grundbesitzern so willkürlich ausgelegt, auch gar nicht gehalten worden, daß es meine heiligste Pflicht ist, diese Auswanderung auf Contrakte Vergueiros mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen. Der Mangel an allem Schutz von Seite der Gerichte oder Behörden in der Provinz St. Paul läßt wohl mit Recht darauf schließen, daß es in andern Provinzen Brasiliens ebenso stehe. Jeder arme Teufel von Auswanderer ist daher vor der Auswanderung nach Brasilien zu warnen, und zwar nicht nur in seinem Interesse, sondern ganz besonders auch im Interesse der bereits hier angesiedelten Schweizer und Deutschen. Brasilien braucht nämlich neue Arbeitskräfte, und da keine schwarzen Sklaven mehr eingeführt werden, ist es gezwungen, unter allen Bedingungen die Auswanderung von Europa an sich zu ziehen; je mehr aber dieselbe zurückgehalten wird, desto günstiger müssen nach und nach die bereits hier wohnenden Colonisten gestellt werden. — Was nun Eure speciellen Fragen betrifft, so soll jener Temperli nicht weiter dran denken nach Brasilien zu kommen. Mit Gold kann er vielleicht in Nord-Amerika etwas machen. Doch kann man nach Allem, was ich gesehen, die Leute nicht genug davor warnen ins Blaue hinaus, ohne irgend sichere Nachrichten von dem Ort, wo man hinkommen wird, auszuwandern. Was den Wäggithaler betrifft, so muß natürlich auch dieser zu Hause bleiben; dagegen kann ich es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen auszusprechen, wie Schade es ist, daß dieser an sich so schöne Gedanke des Halbpachtsystems auf so schreckliche Weise durchgeführt worden ist. Wenn diese Länderbesitzer in St. Paulo in der That die Hälfte des Ertrags ihrer Ländereien den Colonisten zukommen ließen, so könnte allerdings eine Familie ohne besondere Unglücksfälle in 3 bis 4 Jahren die Vorschüsse, die sie für die Überfahrt erhält, zurückzahlen, und in 10 Jahren sich ein ganz ordentliches Vermögen erwerben. Wenn also diese Herren in St. Paulo nicht allzu schnell reich werden wollten, so hätten sie ein einfaches und sicheres Mittel in der Hand dem gesammten Proletariat Europas eine schöne Zukunft zu bereiten. Das ganze Unglück rührt vom Sklaventhum her; die Brasilianer sind sich noch nicht gewohnt Untergebene anders, denn als Sklaven zu behandeln; und die Macht, welche sie von Anfang an vermöge des Schuldverhältnisses über die Colonisten hatten, gab ihnen auch den Schein des Rechts. — Jenen Mechler von Wäggithal habe ich nirgends getroffen; er ist auch ohne Zweifel nicht in der Provinz St. Paulo; denn die ältesten Schweizer-Colonisten hier sind vom Jahr 1852. Was endlich jenen Jacob Fink450Jakob Fink von Truttikon war 1855 mit Frau und 6 Kindern nach Brasilien ausgewandert. Passerteilungen nach Südamerika (www.staatsarchiv.zh.ch) vom 21. 9. 1855.schliessen von Trutikon betrifft, dessen Bruder Johann Fink, Schreiner in Andelfingen mich vor meiner Abreise noch speciell um Nachricht bat, so war er auf derjenigen Colonie, die der Consul David schon vor meiner Ankunft besucht hatte. Es scheint, daß diese Leute noch schlimmer dran waren, als irgend welche, die ich gesehen. Dafür sind sie aber jetzt erlöst; Dank Davids Bemühungen sind sie vom Ministerium von Ubatuba451Die 1854 auf die Kolonie Nova Olinda bei Ubatuba gebrachten Schweizer Kolonisten hatten von Beginn an besonders schlechte Bedingungen. Viele starben an der Cholera, die schon auf dem Schiff nach Santos ausgebrochen war. Ihre Unterkünfte auf der Plantage waren völlig ungenügend, die andauernden heftigen Regengüsse in der ungesunden Küstengegend für die Schweizer schwer zu ertragen. Hinzu kam, dass die Kolonisten vom Plantagenbesitzer mehrfach um ihre Ernte betrogen wurden. Vgl. B. Ziegler, Schweizer statt Sklaven, Stuttgart 1985, S. 262-266.schliessen weggenommen und nach Esperito Santo gebracht worden, wo ihnen Ländereien als Eigenthum angewiesen sind. (Spyri ist gebeten, dies dem Johann Fink mitzutheilen.)

[S.5] Nachdem ich alle Eure Briefe noch einmal durchlesen, finde ich specielle Punkte zu beantworten weiter keine; daß Ihr alle, wenn auch nach schwer durchlebtem Winter, Euch doch wohl befindet, freut mich herzlich. Auch ich bin gesund, und schon ziemlich an das tropische Klima gewöhnt; in Rio hat das gelbe Fieber, das dies Jahr viele Schweizer dahingerafft, jetzt ganz nachgelassen. Übrigens werde ich in den nächsten Tagen wieder etwa 40 Meilen ins Innere reisen, wo ich bei Dr. H. Nägeli,452Heinrich Nägeli (*1829) studierte Medizin in Zürich. 1857 war er Arzt auf der Fazenda Bom Valle bei Cantagallo und befreundete sich mit Heusser. An den grossen Reisen, die sie zusammen planten, beteiligte er sich allerdings nie. Später war er Arzt in Rio de Janeiro, kehrte dann in die Schweiz zurück und leitete von 1879 bis 1885 die Anstalt Rheinau.schliessen den ich bisher noch gar nicht gesehen, meinen officiellen Bericht auszuarbeiten gedenke. — Bald nach diesem Brief, werdet Ihr vielleicht einen Besuch bekommen von einem Bündtner-Schulmeister, Namens Davatz, der das Haupt der Colonisten-Bewegung in St. Paul war, und zum Danke dafür nach der Heimath befördert wurde. Er ist ein Zögling von Beuggen,453Thomas Davatz war in der pietistischen Armen-Schullehrer-Anstalt Beuggen bei Säckingen während drei Jahren zum Lehrer ausgebildet worden. Vgl. S. Davatz, Thomas Davatz, S. 25.schliessen gehört ganz dieser Basler-Missions-Richtung an, die ihm auch eine unerschütterliche Festigkeit und Muth gab, für die Sache der Colonisten gegen einen mächtigen Gegner in den Kampf zu treten. Er kommt mit zahlreicher Familie in der Schweiz an, für welche gesorgt werden muß; wahrscheinlich wird von Basel aus, wohin er empfohlen ist, ein Schritt geschehen; indeß wird vielleicht auch Hr. Hofmeister454Diethelm Salomon Hofmeister (1814-1893) war Erziehungsrat, Präsident der Schulpflege und von 1861 an Präsident der Blinden- und Taubstummenanstalt Zürich. HBLS IV, S. 266.schliessen etwas für ihn thun können; jedenfalls glaube ich, daß wenn eine solche Hausvaterstelle in Bubikon,455In Bubikon war 1846 die "Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder" Friedheim gegründet worden. HBLS II, S. 383. Meta Heusser engagierte sich für das Heim und erwähnt es mehrmals in den Memorabilien der Zeit.schliessen Freienstein,456In Freienstein bei Bülach existierte seit 1838 eine "Christliche Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder". HBLS III, S. 303. Dort war Davatz vor seiner Auswanderung Hausvater gewesen.schliessen oder wie diese gottesfürchtigen Anstalten alle heißen, frei wäre, dieselbe nicht besser besetzt werden könnte, als durch diesen Mann, der in harten Kämpfen seinen Charakter bewiesen, und durch sein eigenthümliches Schicksal die Welt und die Menschen kennen gelernt hat. Pfarrer Fai in Rapperschweil wird er sicher besuchen, übrigens auch Spyri in Zürich, so daß Ihr ihn von hier aus noch sicherer kommen lassen könnt, wenn Ihr [ihn] sehen wollt. —

Hier in Rio ist jetzt die angenehmste Temperatur des Jahres; das Thermometer steht immer etwa 16° Reaumur, also etwa wie bei uns im Juni; an heißen Tagen um Mittag steigt es indeß doch auch im Schatten auf 20 bis 22° R. Ich bin in diesen Tagen noch zu sehr von der Colonisten-Affaire in Anspruch genommen, als daß ich von Rio viel hätte sehen können. Einmal habe ich freilich den Corcovado bestiegen, (und zwar mit Davatz, der Euch Näheres darüber mittheilen kann) einen etwa 2000 Fuß hohen Kegel, der sich unmittelbar von Rio aus mit fast senkrechten Wänden erhebt, und dessen Aussicht die ganze Stadt, Bai und das Meer beherrscht.

Ich logire wieder bei Consul David, der Mad. Feliçe M[eyer] bestens grüßen lässt. Eure Briefe mögen daher ferner dahin adressirt werden, aber jedenfalls mit französischen Lettern; besser ist es, wenn die ganze Adresse französisch ist; die letzten Briefe wurden nicht auf das Consulat gebracht, sondern mußten von da geholt werden. Auf dem Briefbüreau nämlich konnte man die Deutschen Lettern nicht lesen, sondern vermuthete bloß, und schickte nach dem Consulat, es solle Jemand kommen und sehen, ob der Brief dahin gehöre.

Der Brief geht zwar erst am 15t. Juni von hier ab; da ich aber nächster Tage verreise, und aus dem Innern nicht mehr Briefe zum englischen Postschiff schicken kann, so schließ ich hiemit und grüße alle herzlich:

J. Ch. Heusser.


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