Brief Nr. 56 – 19.10.1856
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56 19.10.1856
[Luzern, 19. Oktober 1856]
Liebe Mama!

Heute Morgen erhielt ich von Crull die Todes-Nachricht347Daniel Crulls Brief mit der Nachricht vom Tode von Prof. Weiss am 1. Oktober 1856 ist erhalten. Weiss hatte die Familie Heusser in Hirzel am 30. September 1853 besucht. In der Hauschronik, S. 98f. erinnert sich Meta Heusser an ein Gespräch über Christians Berufsaussichten, das sie mit Weiss geführt habe. Der Nachruf ist am 22. Oktober 1856 in der Eidg. Zeitg., S. 1171 erschienen.schliessen von Weiss. Ich habe zwar einen Auszug davon an Spyri geschickt für seine Zeitung; indeß interessirt es Dich vielleicht, den ganzen Brief zu lesen. Über die schlechte Orthographie muß man sich hinwegsetzen, wenn man Crull näher kennt.

Für mich hat der Todesfall außer dem Verlust des treuen Freundes zunächst das Unangenehme, daß ich durch einen andern Canal an die Allgemeine Zeitung348Die von Cotta 1798 gegründete Allgemeine Zeitung erschien seit 1810 in Augsburg. Sie galt als führende politische Zeitung Deutschlands, an der u.a. Heinrich Heine und Adalbert Stifter mitarbeiteten. SL 1, Sp. 239. In der Allg. Augsburger Zeitung hätte Heusser gerne Reiseberichte publiziert.schliessen zu gelangen suchen muß. Es würde mir dies zwar durch Humboldt oder Ritter möglich werden, aber zu beiden müßte ich erst wieder durch Rose oder Magnus gelangen. Nun erfahre ich heute ganz zufällig, daß Knapp349Albert Knapp (1798-1864), der ein bekannter Dichter geistlicher Lieder war, hatte in sein Taschenbuch "Christoterpe" mehrmals Gedichte von Meta Heusser aufgenommen. Die Bekanntschaft mit Knapp empfand Meta Heusser als grosse Ehre: vgl. R. Schindler, Memorabilien, S. 60-67.schliessen seine Sachen bei Cotta, dem Verleger der A.A.Z. erscheinen läßt. Möglich also, daß man durch Knapp an Cotta gelangen könnte. Es frägt sich nur, ob Du ungenirt [S.2] an Knapp schreiben kannst und magst. Ungenirt meine ich hauptsächlich deswegen, weil Knapp nicht glauben muß, daß ich in seinem und deinem Sinne schreibe, sondern weil er wissen muß, daß ich theils als Naturforscher, theils als ruhiger Reise-Beobachter, um etwas Geld zu verdienen, in die A.Ztg. schreiben möchte. Über meine Qualifikation als Naturforscher kann Knapp natürlich kein Urtheil abgeben; doch darf er sich zu dem Zweck auf alle Berliner Autoritäten ohne Ausnahme berufen; ich scheue mich vor keinem Urtheil aus Berlin. — Wenn die Sache sich so einleiten ließe, so würde ich vielleicht auf meiner Reise nach Berlin (— denn Berlin werde ich ungeachtet des Todes von Weiss doch noch besuchen —) Stuttgart berühren können. — Persönliche Bekanntschaft giebt in solchen Fällen oft mehr Garantie, als alle Empfehlungen.

Ich logire wenigstens bis Freitag in der Waage in Luzern, werde dann wahrscheinlich noch einmal mit Wetli zusammen die Reise durch das ganze Entlibuch machen, und am Ende der nächstfolgenden nach Hause kommen.350Wenn Heusser diesen Fahrplan einhielt, sollte er Ende Oktober heimkommen.schliessen

Grüßend:
J. Ch. Heußer.
Luzern, Sonntag Abend


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