Ich habe letzte Woche meine Vorlesungen geschlossen und halte mich gegenwärtig noch einer Angelegenheit wegen in Zürich auf, die zwar noch nicht entschieden ist, die ich Euch aber doch jetzt mittheilen muß, weil sie bereits voreilig in einem öffentlichen Blatt besprochen worden ist, und so leicht zu Euren Ohren dringen könnte.
Die Regierungen der Kantone Zürich, Graubündten, Unterwalden, Appenzell und Aargau beabsichtigen nämlich, von sich aus einen Abgeordneten nach Brasilien zu schicken, der die Lage der Auswanderer daselbst näher ansehen, und einen genauen und unparteiischen Bericht darüber einliefern soll. Ein so wenig bekanntes und an Erzen und seltenen Mineralien so reiches Land, wie Brasilien, bietet dem Naturforscher reiche Ausbeute, und darum kam der Regierungs-Rath auf den Gedanken, einen der Professoren vom Polytechnicum dahin abzuordnen. Da mir nun Dubs341Jakob Dubs (1822-1879), der Jugendfreund von Theodor und Christian Heusser, war damals schon Regierungsrat und Nationalrat. Vgl. Brief Nr. 29 (22. 10. 1850) und Nr. 39 (14. 3. 1852), sowie die gemeinsame Aktion von Heusser und Dubs für Gottfried Keller.schliessen gewogen ist, fragte er mich an, ob ich vielleicht dazu Lust hätte. Ich bejahte es unbedingt, da ich auf keine [S.2] Weise eine so günstige Gelegenheit erhalten kann, einen fremden Welttheil kennen zu lernen, und da die Mission auch ökonomisch sehr lockend für mich ist, und die Stellung noch günstiger werden könnte, wenn die Eidgenossenschaft als solche die Angelegenheit an sich ziehen würde. Die Sache ist zwar noch nicht entschieden, wird aber bald, vielleicht schon nächsten Samstag zur Entscheidung kommen; und da ein zweites einflußreiches Mitglied des Regierungsraths, Sulzer, der Freund Theodors mir auch gewogen ist, so habe ich ziemlich sichere Aussicht auf Ernennung. Die Reise würde etwa 10 Monate dauern, und die Abreise diesen Herbst — genau weiß ich noch nicht wann, — stattfinden. — Wie gesagt ist die Sache bereits in einem Toggenburgerblatt besprochen, und könnte so vielleicht in Zürcher-Blätter übergehen; lieber wäre es mir allerdings, dies wäre nicht der Fall, bis die Sache ganz ausgemacht ist.342Am 29. August 1856 publizierte die Freitagszeitung die Meldung: "Herr Prof. Dr. Heußer reist im Auftrage der Regierungen von Zürich und Bündten und auf Kosten der Herren Vergueiro in Brasilien nach deren Kolonien, um die Verhältnisse der dortigen Ausgewanderten zu prüfen."schliessen
Sollte die Regierung sich für mich aussprechen, so hätte ich noch vielfache Vorbereitungen für die Reise zu treffen, die bis jetzt über Brasilien erschienenen geographischen Werke zu studiren, die portugiesische Sprache zu lernen, und wahrscheinlich auch noch mit Escher v. d. Linth einige geologische Excursionen zu machen, so daß ich über das Heimkommen nichts Bestimmtes sagen kann. Wahrscheinlich werde ich an einem der nächsten Sonntage und dann noch einmal für etwa 8 Tage heimkommen.
[S.3] Diese Woche werde ich z.B., wenn etwas zu berichten wäre, noch einige Tage in Uster zubringen, um die bei den dortigen Eisenbahnarbeiten vorkommenden Schichten aufzunehmen.
Zürich den 17t. August 56
