Brief Nr. 46 – 7.4.1853
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46 7.4.1853
[Berlin, 7. April 1853]
Liebe Eltern!

Ich bin seit etwa 8 Tagen wieder in Berlin, und bin froh, daß die Zeit in Königsberg zu Ende ist; ich habe zwar meinen wissenschaftlichen Zweck erreicht, und kann daher den Aufenthalt in Königsberg keineswegs bereuen; allein, wer einmal an das Leben in Berlin gewöhnt ist, dem kann es nicht so leicht in einer andern kleinen Stadt Nord-Deutschlands gefallen, die dieselbe langweilige Gegend hat, wie Berlin, aber dabei nicht die Vorzüge der großen Stadt bietet. Mit Zürich ist es was anderes, da wird es mir natürlich gefallen, so bald ich dahin zurückkehre, aber gegenwärtig kann ich noch nicht kommen, wie ich es im letzten Brief möglicherweise in Aussicht stellte. So wie die Sachen jetzt stehen an der Zürcher-Universität, ist keine Aussicht für mich vorhanden für die Mineralogie, mit der ich mich als Lieblingsstudium beschäftigt; ich muß daher nun noch eine eigene physikalische Arbeit vollenden — denn bei der Assistentenstelle blieb mir bisher nur wenig eigene Zeit übrig — um als Physiker in Zürich auftreten zu können. Im Herbst komme ich übrigens vielleicht nach Hause, um die Habilitation abzumachen.

Von dem Aufenthalt in Koenigsberg ist als einem langweiligen nicht viel zu melden; Bekanntschaft hatte ich bloß mit einigen Bündner-Conditoren, die mich alle mit großer Freundschaft und Zuvorkommenheit aufnahmen, da ein Schweizer in Koenigsberg eine Seltenheit ist. Hier lernte ich das Leben dieser Leute genauer kennen; sie sind meist sehr wohlhabend und lebenslustig, lassen es sich daher schon im Ausland sehr wohl sein; doch machen sie dabei so viel Vermögen, daß sie sich in ihrer Heimath schöne Häuser bauen und daselbst in höherem Alter zur Ruhe setzen, wenn sie nicht vorher wegsterben, wie es leider demjenigen der Königsberger-Conditoren passirte, den ich am meisten besuchte.

Dass das Klima von Koenigsberg schon bedeutend kälter ist, als das von Zürich, [S.2] könnt Ihr daraus schließen, daß ich jetzt auf der Rückreise in den letzten Tagen des März mit dem 4 spännigen Postwagen im Trab über die gefrorene Weichsel fuhr, die noch etwa 20 Meilen diesseits Koenigsberg liegt; dabei war der ganze Winter in dieser Gegend von Koenigsberg verhältnißmäßig eben so gelinde, wie in der Schweiz und im ganzen mittleren Europa; man kann daraus schließen, wie lange die Weichsel bei einem kalten Winter zugefroren sein mag.

Theodors Freund Stadelmann habe ich nicht mehr selbst gesehen, aber von dessen Bruder gehört, daß er im Lauf des Winters sich verheirathet habe, und nächsten Sommer eine Reise nach der Schweiz machen werde.

Vielleicht interessirt es Theodor zu hören, daß ich gestern seinen alten Lehrer Henle326Jakob Henle (1802-1885) war von 1840 bis 1844 Prof. für Pathologie und Anatomie an der Universität Zürich, danach in Heidelberg und von 1852 an in Göttingen. DBE 4, S. 587.schliessen in einer Gesellschaft bei Magnus gesehen habe; er hat sich seiner erinnert und läßt ihn grüßen. Henle ist auf Besuch von Göttingen hierher gekommen, und wird hier sehr gefeiert.

Von den drei Familien Rose bin ich hier wieder mit alter Freundschaft aufgenommen worden, was mir um so angenehmer war, da ich den ganzen Winter durch eigentlich in keiner gebildeten Gesellschaft war. W. Rose ist mit seiner Frau vor 8 Tagen glücklich hier angekommen.

Daß der Schulmeister Strickler so gefährlich krank ist, thut mir sehr leid; ich lasse ihm gute Besserung wünschen; das wird freilich nicht viel helfen.

Grüßet mir Alle vielmal Euer tr. Sohn: J. Ch. Heusser
Berlin den 7t. Apr. 53.

(Bauhof No 2 bei Hr. Schmid)



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