Brief Nr. 45 – 3.2.1853
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45 3.2.1853
[Königsberg, 3. Februar 1853]
Liebe Mutter!

Dein Brief hat mich zwar als solcher gefreut, aber der Inhalt desselben mich doch wenig beruhigt; beunruhigend ist zwar für mich weniger der Umstand, daß nun Herr Pfr. Wild noch ein Jahr länger für mich einstehen soll, (am Ende kommt es nicht drauf an, wem ich es zurückzahle), als die Sache selbst, daß meine Rückkehr nun abermals ein Jahr aufgeschoben ist, während ich doch schon die feste Absicht hatte spätestens zu Ende des nächsten Sommers nach Hause zurückzukehren. Allerdings war dieser Entschluß noch ein Jahr in Berlin zu bleiben ohne viel Zureden von mir gefaßt, aber jetzt beim Empfang Deines Briefes fiel es mir wieder schwer auf das Herz; weiß Gott, was dies Jahr wieder Alles bringen mag; wäre ich nur einmal erst zu Hause, und könnte mich mit knapper Noth durchbringen! Geld und Ehre wären mir wahrhaftig so gleichgültig, als sie einem Menschen sein können. Ich habe halt einmal nicht mehr Ruhe in Deutschland, und weiß auch, daß mir dies letzte Jahr nicht mehr so viel nützen wird, als es mir ohne diese Mißstimmung über meinen allzulangen Aufenthalt in Deutschland nützen könnte. Ich fühle es auch schon diesen Winter hier in Koenigsberg, es will nicht mehr recht vorwärtsgehen, wie ich es wünschte; dazu kommt freilich hier noch meine vollkommene Abgeschlossenheit von aller menschlichen Gesellschaft; vor Kurzem ist nun auch der Conditor aus Silvaplana plötzlich an einem Schlagfluß gestorben, den ich früher jeden Abend besuchte, und mit ihm über das Engadin schwatzte. Zudem schlechtes Wetter und Unwohlsein, so daß ich froh bin, wenn der Winter zu Ende, der doch in wissenschaftlicher Beziehung mir wirklich noch mehr geboten hat, als ich nur irgend hoffen durfte. Da ich also außer aller menschlichen Gesellschaft stehe, und folglich gar Nichts, was zu schreiben der Mühe werth wäre, erlebe; da außerdem meine Studien dieses Winters hauptsächlich wieder mathematische sind (d.h. mathematisch-physikalische) von denen Ihr gar keine rechte Idee, an denen Ihr gar kein Interesse haben könnt, so weiß ich auch Nichts zu schreiben. Von geognostischen Erscheinungen könnt Ihr Euch schon eher eine Vorstellung machen, und wenn Ihr in dieser Beziehung von dem Hauslehrer im Pfarrhaus etwas lernen könnt, so ist dies ganz schön, doch scheint er selbst nicht viel zu verstehen, wenn er wenigstens das gesagt hat, was Du in deinem vorletzten Briefe geschrieben. Unser alte Königsstein kann nämlich aller[S.2]dings ein Findling, d.h. ein Geschiebe aus den Alpen sein, und ist als solcher ein Gestein, das Gneiss genannt wird, und aus dem der größte Theil der Alpen zusammengesetzt ist. Dieses Gestein nun besteht aus einzelnen Mineralien: Quarz, Feldspath und Glimer; Quarz und Gneiss sind sich also nicht coordinirt sondern Quarz ist ein Bestandtheil des Gneiss (und zwar der weiße); die beiden andern Bestandtheile Feldspath und Glimer sind der erstere grau oder röthlich, der letztere dunkelgrün bis schwarz. Von Lava ist aber bei diesem Gestein gar keine Rede; kann nicht die Rede sein, auch wenn das Gestein nicht Gneiss, sondern irgend ein anderes Gestein der Alpen (z.B. Granit, Sienit) wäre. Lava ist immer ein neues Produkt, jedenfalls viel neuer als alles Gestein der Alpen; kommt in der Schweiz kaum irgendwo vor. Wenn jener Hauslehrer ein Schwabe ist, so hat er jene vulkanischen Kegel des südlichen Schwabens im Sinne (Hohen Krähen, Hohenstoffeln und wie sie alle heißen), die theilweise vielleicht auch noch in den Kanton Schaffhausen hinein sich erstrecken mögen; wenn diese auch jetzt erloschene Krater zu sein scheinen, so haben doch hier vor verhältnißmäßig nicht allzu langer Zeit Erhebungen statt gefunden, daher kann unter den Gesteinen der dortigen Gegend von Lava die Rede sein, aber nie bei einem Gestein das aus dem Centrum der Alpen gekommen ist.

Daß ich nie an Schwager Ulrich geschrieben habe kommt daher, daß ich eben durchaus nichts Positives von Interesse an ihn zu schreiben wußte, also bloße Worte Freundschafts- und Liebesversicherungen hätte machen müssen. Es giebt Leute, die dies ganz gut verstehen und ganze Seiten voll zu schreiben wissen über Sachen, die sich in ein Paar Worte fassen lassen. Ich bin nun einmal kein Mann von vielen Worten, und glaube nach Allem, was ich über Ulrich gehört habe, daß er es auch nicht ist, und daß es ihm viel lieber ist, keinen Brief von mir erhalten zu haben, weil er dadurch nicht in die Nothwendigkeit versetzt wurde mir zu antworten. In meinen ersten Briefen, als ich von der Verlobung hörte, habe ich ihn freundlich grüßen lassen und willkommen geheißen, gerade so und nicht minder, als wie ich es früher mit der Schwägerin Regina v. Flugi gemacht habe. Und ich lasse ihn ja auch in diesem Briefe wieder herzlich grüßen, so wie Netti, und wenn Du es für nothwendig hältst, will ich ihm in Gottes Namen auch schreiben; ich glaube aber, daß ein gutes Einvernehmen, wenn ich einmal in Zürich bin, die Hauptsache, und daß dies möglich ist ohne vorhergegangene Correspondenz, führe ich ja eine solche auch nicht mit dem alten Freund und neuen Schwager Spyri.

Was mir Äga geschrieben, hat mich sehr gefreut; ohne Zweifel ist jene von Andersen erwähnte Familie des Prof. Weiss diejenige meines Lehrers und Freundes, in der ich auch bekannt bin; die Familie besteht übrigens bloß aus Mann und Frau, Kinder haben sie nicht. Die Frau ist allerdings auch sehr gebildet und hat vielfachen Umgang gehabt mit den Dichtern und Philosophen Berlins (wie ich schon einmal geschrieben habe ganz besonders mit Chamisso). [S.3] Das ist eben gerade ein Hauptunterschied dieses Weiss von den andern Naturforschern Berlins oder der Gegenwart, daß er nicht bloß ein Fachmann, sondern auch ein Mensch ist, daß bei ihm nicht nur die Männer seines Handwerks — um mich so auszudrücken — sondern überhaupt hervorragende Geister sich zusammenfinden. — Oft bin ich nicht in seinem Hause gewesen, vorzüglich deswegen, weil ich von meiner Dissertation her, die ich seinem größten Feinde G. Rose dedicirt hatte, noch so halb und halb in gespannter Stellung zu ihm stand. Jetzt hat sich die Sache schon etwas geändert, und im nächsten Jahr, das ich also wohl noch in Berlin zubringen werde, dürfte jene Spannung wohl ganz verschwinden. Wenigstens habe ich als Beleg dafür einen sehr freundlichen Brief von Weiss in Händen, den er mir neulich wegen einer Arbeit, zu der er mir das Material aus dem Mineralienkabinet in Berlin schickte, schrieb. Die Bereitwilligkeit, mit der er mir dies Material sendete und die Freundlichkeit seines Briefes waren aber wahrscheinlich durch meine letzte Arbeit veranlaßt, in der ich mich entschieden für seine Ansichten aussprach. Ich führe dies hier an als einen kleinen Ersatz, den Du mit mir dafür haben magst, daß die meisten meiner Altersgenossen als Privatdocenten, Professoren oder gar Staatsmänner in Ehre und Ansehen stehen, so daß ihre Eltern mit Stolz und Selbstgefühl von deren Leistungen zu erzählen und zu rühmen haben, während von mir allerdings Nichts zu rühmen ist. Jener Brief ist mir übrigens tausendmal lieber als tausend Zeitungs-Lobhudeleien, er enthält wissenschaftliche und freundschaftliche Mittheilungen von einem Manne, welchen bei einem anderen berühmten Manne gesehen zu haben, und mit ihm gesprochen zu haben der Herr G. Meier von Knonau sich zur nicht geringen Ehre anrechnet, und wovon dieser Herr mit vielem Wohlbehagen zu sprechen weiß. — Diesen Weiss hoffe ich übrigens doch noch einmal im Hirzel [...]324Siegelausriss. Professor Weiss besuchte die Familie Heusser in Hirzel am 30. September 1853. Der Besuch wird in Meta Heussers Memorabilien der Zeit an diesem Tag erwähnt. In der Hauschronik S. 98f. erinnert sich Meta Heusser an ein Gespräch über Christians Berufsaussichten, das sie mit Weiss geführt habe.schliessen wenn er wenigstens noch einige Jahre lebt; aber er ist alt, tief in den 70. Übrigens [soll] mir Äga doch genau jene Stelle citiren, daß ich sie selbst nachlesen kann.

Bis wann, oder in welcher Art soll ich dem Vater schreiben? Äga soll ferner schreiben, was im Hirzel vorgeht und soll mit Meta Dir und Tante Regeli noch dies Jahr durchzukommen helfen. Netti und Hanni mögen mir schreiben, was in Zürich vorgeht, sie sind ja beide in ganz neue Lebensverhältnisse versetzt, in denen sie gewiß mehr sehen, hören und erfahren, was mich interessirt, als ich hier erfahre, was sie interessirt. Z.B. möchte ich wissen, ob jener Dubois325Diese eine Erwähnung reicht zu einer Identifizierung nicht aus.schliessen in Zürich angekommen ist und den Winter da zubringt?

Frankire doch deine Briefe nicht und mach keine solche Geschichte aus meinem verbrauchten Wädenschweiler Geld!

Euer: J. Ch. Heusser.
Königsberg den 3t. Febr. 53.

Freundliche Grüße ins Pfarrhaus; da jetzt nichts Dringendes zu schreiben ist, verspare ich die Antwort noch etwas, bis ich besser Zeit habe, und dann vielleicht auch sicher die Zeit meines Abgangs von Königsberg kenne; vor dem 20t. März gehe ich jedenfalls nicht von hier fort.



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