Brief Nr. 43 – 25.10.1852
Zurück zum Register
2 Vorkommen in diesem Brief
Eintrag drucken
43 25.10.1852
[Berlin, 25. Oktober 1852]
Liebe Mutter!

Ich habe den Brief von Netti mit der Angabe seines Hochzeitstages erst vorgestern den 23t. erhalten, so daß ich auf diesen hin doch nicht mehr hätte schreiben können, sonst hätte ich es gethan, da ich Netti auf seiner Reise nicht sehen kann. Heute ist nun gerade der 25te., und da muß ich denn doch in Gedanken bei Euch verweilen, und will daher einige Worte an Euch richten; ich weiß von den Anstalten und Geschichten zu Nettis Hochzeit320Anna Heusser heiratete am 25. Oktober 1852 den Baumeister Friedrich Salomon Ulrich (1821-1899) und wohnte von da an in Zürich-Selnau.schliessen eigentlich gar Nichts, setze aber voraus, daß Ihr mein Geld, wenn noch welches vorhanden war, zu der Aussteuer verwendet habt; ich freue mich, daß die Sachen jetzt so stehen, und gehe jedenfalls nun etwas froher noch weiter von Hause weg, als wenn im Hirzel Alles im alten Gleise wäre; und wenn es nur diesen Winter noch geht, den nächsten bin ich dann mit ziemlicher Sicherheit auch zu Hause. Zunächst also gehe ich nach Koenigsberg, wie lange ich dort bleiben werde, kann ich jetzt noch nicht sagen, vielleicht bloß einige Tage oder Wochen, vielleicht den ganzen Winter. Zwei Arbeiten habe ich gottlob wieder hinter mir, und eine dritte wird hoffentlich von Koenigsberg aus bald den frühern folgen, und mir ist für meine Zukunft nicht bange. Hanni sagte mir schon, und Netti schreibt mir wieder davon, daß es in Richterschweil nicht recht gehen wolle, und daß Du den größten Jammer dabei habest; laß doch den Theodor machen, was er will, wenn er aus unserm eigenen Hause nicht bereits gelernt hat, daß eine unglückliche Ehe für die Kinder und Mutter das Traurigste von der Welt ist, und daß er schon denen zu Liebe sich vernünftig benehmen sollte, so mag er nun noch die Erfahrung machen, daß eine solche [S.2] auch für ihn selbst nicht sehr angenehm sein wird; übrigens hatte er auch dies schon aus unserm Hause lernen können, wenigstens denke ich, daß Niemand leicht unsern Alten und seine Isolirtheit beneiden wird. Und wenn Theodors Frau an dem Mißverhältniß schuld ist, was ich nicht weiß; dann ist dies halt die rächende Nemesis, da läßt sich Nichts machen, aber dies brauchst Du dir nicht so zu Herzen zu nehmen; da trägt in Gottes Namen wieder Niemand Schuld, als Theodor selbst. — Mit Netti und Hanni wird es hoffentlich besser kommen, und die Äga und Meta321Die jüngste Schwester Meta Louise (1836-1904), von den Geschwistern Mutz genannt, kommt erst in den letzten Berlin-Briefen Christians vor: vgl. Brief Nr. 44a (18. 12. 1852) und Nr. 47 (16. 6. 1853).schliessen werden es wohl durch diese Anhaltspunkte in Zürich nun auch etwas leichter haben.

Die Gräfin Schlaberndorf sendet ihren besten Dank für die schönen Gedichte; die Professor Pelt, die Du mir angemeldet, ist noch nicht angekommen, und wird mich daher gar nicht mehr, oder nur in großer Hast treffen. —

Sind denn Rose's auch schon nach dem Hirzel gekommen, oder ist er, Wilhelm Rose etwa noch nicht in Zürich angelangt? Du könntest mir poste restante nach Koenigsberg schreiben, jedenfalls werde ich mich in den ersten Wochen meines dortigen Aufenthalts nach solchen Briefen erkundigen. Übrigens wird in den ersten Tagen nach meiner Ankunft ein Brief von mir an Pfr. Wild abgehen.

Von Spyri erwartete ich schon lange vergeblich einen Brief; sollte nicht gegenwärtig einer unterwegs sein, so kann er nun natürlich nicht mehr nach Berlin schreiben; denn in 8 Tagen spätestens werde ich verreisen.

Grüßend, Euer J. Ch. Heusser.
Berlin 25. X. 52.


Zurück zum Register