Brief Nr. 41 – 6.6.1852
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41 6.6.1852
[Berlin, 6. Juni 1852]
Liebe Eltern!

Der Grund, warum ich so lange nicht geschrieben, ist der, daß sich in meiner Sphäre Nichts ereignete, was Euch irgend interessiren könnte. Die Arbeiten, mit denen ich schon lange beschäftigt bin, werden hoffentlich im Laufe des Sommers fertig werden, so daß ich dieselben gegen den Herbst veröffentlichen kann. Im Herbst werde ich aber jedenfalls nach Hause kommen, ob bloß auf Besuch, oder für immer, das wird von verschiedenen Umständen abhangen, hauptsächlich auch von den Beschlüssen des nächstens sich versammelnden Nationalrathes in Bezug auf die Eidg. Hochschule. Der Grund, warum ich nach Hause kommen werde, ist der, daß ich einmal selbst den Gotthard bereisen muß, um einige Mineralien aufzusuchen, die ich bisher auf andern Wegen nicht habe erhalten können, obgleich ich in Altdorf, Zürich, Bern, und überall, wo ich Bekannte habe, vor einem Jahre Aufträge und Bitten hinterlassen hatte mir dieselben zu verschaffen. Wenn ich den Gotthard noch bereisen will, so muß ich wohl ziemlich früh nach der Schweiz aufbrechen, da der Monat September wahrscheinlich die letzte Zeit ist, in der sich der Gotthard noch bereisen läßt. Dazu kommt nun noch das Moment, daß ich an dem Hochzeittage312Die Hochzeit wurde am 9. September 1852 gefeiert.schliessen von Spyri und Hanni zugegen sein möchte; indeß wünsche ich nicht, daß der Hochzeitstag meinetwegen auch nur um Einen Tag verschoben werde, da ich mit Bestimmtheit doch nicht versprechen kann, daran Theil zu nehmen; vor Allem muß ich erst mit meinen Arbeiten in Berlin fertig sein, und wie früh oder wie spät dies der Fall sein wird, wird einzig von der Witterung dieses Sommers abhangen, da ich bloß bei hellem Sonnenschein arbeiten kann.

Vor einigen Wochen waren hier in Berlin große Festlichkeiten, als der Kaiser und die Kaiserin von Rußland hier waren. Was mich am meisten interessirte, eine große Militär-Parade von etwa 25 Regimentern, konnte ich leider nicht sehen, da jener Tag gerade ein sehr schöner sonniger war zwischen vielen Regentagen, ich denselben also benutzen mußte. Den Kaiser selbst habe ich aber zufällig ein[S.2]mal in seinem offenen Wagen unter den Linden gesehen; er ist ein finsterer, imponirender Kerl, neben dem sich der König von Preußen etwas jämmerlich ausnimmt. Von der Kaiserin habe ich viel erzählen hören aus dem Munde meines Hauswirthes, der, Diener von Beruf, und bei allen Hoffesten als solcher zugegen, nun zur Bedienung der Kaiserin nach Potsdam gerufen wurde und 14 Tage lang in ihrer nächsten Umgebung war. Er hatte täglich einen Frdr., weiter habe ich von seinem Geschwätz Nichts behalten, da ich mich nicht so viel um das Russische Kaiserhaus bekümmere, wie Ihr, oder wenigstens Äga es zu thun scheint; und bei der Gelegenheit gesagt, hat mich jener Russe, der von Nizza über Berlin nach Rußland reisen sollte, bis jetzt noch nicht aufgesucht.

Herr W. Rose hat für diesen Sommer eine Reise nach dem Orient, nach Damaskus und Jerusalem vor, und zwar wird er morgen verreisen; ursprünglich gedachte er am 1t. April zu verreisen, aber sein Reisegefährte, der preußische Consul in Damaskus, der auf Besuch hieher gekommen ist, hat seine Abreise so lange verzögert; ursprünglich hatte Rose im Sinne vom Orient über Italien nach der Schweiz zurückzukehren; ob die Reise nach der Schweiz ihm jetzt bei der verspäteten Abreise auch noch möglich werden wird, ist noch die Frage. Mad. Rose aber wird wahrscheinlich im Juli allein nach Zürich kommen. Ich bin seit letztem Herbst nicht mehr aus Berlin herausgekommen, und habe daher auch große Sehnsucht diese Stadt wieder einmal zu verlassen, und freue mich auf den Herbst, der bald genug vor der Thür sein wird; die Zeit geht ja so rasch, schon bin ich wieder ein Jahr von Hause weg, und es ist mir der Tag der Abreise sei erst gestern gewesen.

Wie steht es eigentlich in Richterschweil? von dort habe ich auch sehr lange Nichts gehört. Wenn ich seit der Verlobung Hannis mit Spyri noch nicht geschrieben habe, so kann ich nachträglich noch beifügen, daß mich dieselbe sehr gefreut hat, und daß ich mir keinen andern Schwager wünschen möchte. Abgesehen davon ist es auch gut, in Zürich wieder einmal einen Anhaltspunkt zu haben, wo man sich ungenirt aufhalten kann, daher denke ich auch im Herbst, falls ich zur Hochzeit zu spät kommen sollte, nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise noch einige Tage bei ihnen in Zürich zu bleiben. —

Der Notenlärm in Beziehung auf Neuenburg, der von preußischen Zeitungen [S.3] ausgegangen ist, die Neuenburg gern wieder hätten, ist seit einiger Zeit wieder verstummt, und es wird wohl trotz allen Gerüchten die Absicht Preußens seine frühern Hoheitsrechte über Neuenburg wiederherzustellen an der Eifersucht Frankreichs und Östreichs scheitern. Die hier in Berlin sich aufhaltenden Neuenburger betrachten sich gar nicht mehr als Schweizer, wenigstens haben sie sich an der Nationalsubskription,313Die Nationalsubskription war als Solidaritätsgeste für die früheren Sonderbundskantone zustande gekommen, um ihnen die Bezahlung der Kriegskontribution zu erleichtern. In seiner Eidg. Zeitung warb Bernhard Spyri engagiert für ihr Zustandekommen.schliessen die wir auch hier in Gang setzten, sehr sparsam betheiligt; und die wenigen, die Theil nahmen und etwas unterzeichneten, stellten an die Verabreichung ihrer unterzeichneten Summe, die wahnsinnige Bedingung, die glaube ich die Basler ausheckten, nämlich, daß der Rest der Schuld den Sonderbundscantonen erlassen werden müsse. Unsinnig meine ich diese Bedingung, weil die radicalen Nationalräthe sich dadurch nicht werden zum Erlaß des Restes bewegen lassen, sondern wahrscheinlich gerade wegen dieser Bedingung nicht darauf eingehen werden; und wenn nun einmal der Erlaß des Restes nicht sollte beschlossen werden, und die Conservativen vom Schlage der Basler an ihrer Bedingung festhalten, so muß ja Niemand darunter leiden, als die Sonderbundscantone selbst, die ja dann gar Nichts, statt Wenig bekommen. — Wir werden übrigens die Summe von Berlin, etwa 200-300 Fr. nächstens absenden, wissen aber nicht an wen; Spyri könnte mir daher schreiben, ob er als Redaktor der Eidg. Ztg. solche Beiträge in Empfang nimmt, oder ob man denselben an Pestalozzi, Alt Regierungsrath, oder an wen abschicken soll. Spyri soll übrigens nicht voreilig meinen Namen in die Zeitung setzen; davon will ich entschieden Nichts wissen. Angeregt habe ich die Sache hier mit G. Keller zusammen. — W. Rose, dem ich einmal davon erzählte, aber natürlich ohne ihn zur Betheiligung aufzufordern, gab mir sogleich einen Beitrag von 1 Thlr., den ich ihm im Namen der Sonderbundscantone bestens verdankte.

Mit Schweizern habe ich wenig Umgang mehr, da alle hiesigen Schweizer viel jünger sind; vor etwa 14 Tagen aber waren zwei Altersgenossen zwei Wochen auf Besuch hier, auf der Durchreise von Wien nach Paris, Steinli314Es könnte sich um Werner Steinlin (1826-1871), Dr. med. aus St. Gallen, handeln. HBLS VI, 539.schliessen von St. Gallen und Rahn315Wahrscheinlich der Mediziner Hans Konrad Rahn (1828-1918) HBLS V, S. 522.schliessen von Zürich, mit denen ich oft zusammen war, und mich alter Geschichten erinnerte. — Den Theologen Benker316Gebhard Benker (1828-1883) aus Erlangen war von 1853 bis 1857 Pfarrer in Oberrieden. Vgl. Zürcher Pfarrerbuch, S. 192.schliessen habe ich nicht mehr gekannt, aber hier in Berlin viel von ihm erzählen hören, und werfe seiner Heirath wegen keinen Haß auf ihn. — Ist denn Schinz von Erlenbach Vikar in Knonau geworden, und ist er nie bei Euch gewesen? ich habe letzten Herbst einen angenehmen Ausflug nach Sachsen mit ihm gemacht. — Grüße an Alle! Euer tr. Sohn: J. Ch. Heusser.

Berlin den 6t. Juni 52.


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