Brief Nr. 39 – 14.3.1852
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39 14.3.1852
[Berlin, 14. März 1852]
Liebe Mutter!

Es ist heute gerade 6 Wochen, seit ich die Nachricht von der Verlobung Hannis mit Spyri erfuhr, worauf ich sogleich, wenn auch kurz, an Spyri antwortete; wenige Tage darauf gieng auch mein Brief an den Alten ab, der auf jenes verrückte Ansinnen wegen des Seidengewerbs antwortete. Erfreut über die Verbindung mit Spyri war ich auch auf baldige neue Nachrichten gespannt, und hätte auch billiger Weise schon lange solche erhalten sollen, habe aber bis zu dieser Stunde noch immer umsonst gewartet. Ob nun irgend etwas Verwünschtes vorgefallen ist? Sei dem, wie ihm wolle, ich muß es doch einmal erfahren, und bitte daher vor Allem aus wieder einmal um Nachrichten. —

Der Grund, warum ich jetzt die Feder ergreife ist neben dieser unbefriedigten Gespanntheit der, daß ich, wenn es noch angeht, nun doch mein Geld von Wädenschweil zu erhalten wünsche. Damit Du übrigens über diese Geldverlegenheit nicht in große Aufregung gerathest, will ich hier gleich bemerken, daß ich große Aussichten habe, nächstens eine Anstellung zu bekommen; Näheres darüber weiter unten. Daß ich viel Geld brauchen würde in Berlin dachte ich wohl, als ich zum zweiten Mal wieder hierher reiste; nun brauche ich aber noch mehr, als ich wirklich glaubte. Das Studium der Physik ist einmal wegen der vielen und kostbaren Instrumente das theuerste, das es giebt, und es wäre für mich gar keine Möglichkeit eine physikalische Arbeit zu Ende zu bringen, wenn mir nicht bei Magnus die Apparate des physikalischen Cabinets zu Gebote ständen; nun giebt es aber an diesen Apparaten immer viel zu ändern, Einzelnes ist bisweilen auch nicht da, und dann muß halt mein Privatbeutel herhalten; Magnus ist gewiß so generos gegen mich, als ich nie hatte erwarten dürfen; was vorhanden ist, stellt er mir Alles zur Verfügung; aber darin irrte sich Herr Pfr. Wild, wenn er glaubte, daß Magnus alle bei einer solchen Arbeit vorkommenden Ausgaben bestreiten würde; früher als ehe- oder kinderloser Mann mag er es gethan haben, jetzt bei ziemlich zahlreicher Familie thut er es nicht mehr. — Außerdem will ich gar nicht verhehlen, daß ich mich im Ganzen jetzt als Doctor gerire, und dabei eben mehr Geld brauche als früher. So kommt es denn, daß ich mit dem Gelde, das ich jetzt sehnlich und stündlich von Hr. Pfr. Wild erwarte, auch sehr bald fertig sein werde. Ich bin zwar überzeugt, daß Hr. Pfr., wenn ich [S.2] ihm schreiben würde, mir sogleich eine zweite Lieferung nachschicken würde; aber es kommt mir nun selbst vor, er würde so zu viel in Anspruch genommen; und lieber wäre es mir daher, wenn ich vor der Hand etwas Geld von Wädenschweil bekommen könnte, um den Herrn Pfr. nicht sogleich wieder bestürmen zu müssen. Schreibt mir also so bald als möglich, wie die Sachen stehen, und wie bald ich von Wädenschweil Geld bekommen könnte.

Da ich nun weiß, daß Du durch diesen Geldmangel in die größte Aufregung versetzt würdest, wenn ich dir nicht zugleich einige Aussichten auf eine baldige Stellung eröffnen könnte, so will ich das Stillschweigen brechen, das ich gegen Dich und Schwestern bisher beobachtete über einen Schritt, den ich bereits gethan, um in der Schweiz eine sichere Anstellung zu finden. Ich habe nämlich mich um eine der Inspektorenstellen für das ins Leben tretende Telegraphenwesen beworben; dem Vater mochte ich Nichts davon mittheilen, damit er nicht Tag und Nacht allen irgendwie einflußreichen Männern nachgehen und Speichel lecken könne; nun ist es aber leicht möglich, daß er nachher, ob ich nun gewählt werde oder nicht gewählt werde, durch Zeitungsnachrichten meine Bewerbung erfährt; dann wird es natürlich einen Mord-Spektakel absetzen, und damit Ihr ruhig sagen könnt, Ihr habt auch Nichts davon gewußt, habe ich Euch Nichts davon geschrieben. Nun ist also, wie gesagt, meine Bewerbung um eine dieser Telegraphenstellen abgegangen, und die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit meiner Ernennung ist nicht so gering, wie Du dir, da ich gar keine Protektion habe, vorstellen wirst. Um dies zu begründen, und zugleich um Dir zu zeigen, daß die Aussichten auf irgend eine Anstellung, auch wenn diese Telegraphie entschlüpfen sollte, ganz günstig sind, will ich noch Folgendes mittheilen. Als ich zuerst die Ausschreibung jener Inspektorenstellen in den Zeitungen gelesen hatte, rieth mir Magnus mich zunächst schriftlich an Brunner,303Karl Brunner (1823-1914), seit 1848 Prof. für Physik an der Hochschule in Bern, übernahm den Aufbau und seit 1855 die Leitung des schweiz. Telegraphennetzes. Bald darauf wurde er in gleicher Funktion nach Österreich berufen. HBLS II, S. 378, und HLS 2, S. 757f.schliessen Professor der Physik in Bern, zu wenden, mit der Frage, was eigentlich die Beschäftigung dieser Inspektoren sei, und ob ich da Aussicht hätte, unterzukommen; Magnus fügte meinem Briefe einige empfehlende Worte bei, und darauf erhielt ich sehr bald von Brunner einen ungemein freundlichen Brief, aus dem ich auch recht das Gewicht einer Empfehlung von Berlin aus erkennen konnte. Brunner schrieb mir, daß die Bundesräthe, welche jene Inspektoren zu ernennen haben, eigentlich gar nicht wüßten, was für Leute sie dazu nehmen sollten, da sie keinen Begriff von Telegraphie haben, und daß bei günstigen Zeugnissen von Berlin aus die Aussichten für mich nicht schlimm [S.3] seien; übrigens räth er mir von der Bewerbung um die Stelle ab, und meint ich soll bei der reinen Wissenschaft bleiben, da in der Schweiz ein großer Mangel an experimentirenden Physikern und er schon oft in Verlegenheit gekommen sei, wenn er zur Besetzung von Professuren um seinen Rath befragt würde. — Wenn ich ein Mann von 100000 Thlr. wäre, so würde ich entschieden das Studium der reinen Physik nicht mehr verlassen; da dies aber nicht der Fall ist, und ich so bald als möglich eine ökonomisch gesicherte Stellung mir wünsche, da überdies diese Inspektorenstellen das Angenehme bieten, daß man stets in der Schweiz herumreisen kann, so habe [ich] mich doch entschlossen mich zu melden, und bin nun auf den Ausgang gespannt, obgleich es mir eigentlich ziemlich gleichgültig ist, wie er ausfalle. An Dubs habe ich geschrieben, und ihn ohne Kriecherei um seine Unterstützung gebeten; an Spyri habe ich deswegen nicht geschrieben, weil ich ihn nicht in den ersten Tagen der Verschwägerung gleich mit Bitten um Verwendungen belästigen wollte, und es auch wohl das Beste ist, wenn er in dieser Sache Nichts für mich zu thun versucht; Du kannst ihm übrigens diesen Brief mittheilen. Einen Hauptgrund, warum ich mich um die Telegraphie bewarb, habe ich noch vergessen anzuführen; ich habe nämlich der Bewerbung zwei Zeugnisse von Magnus und Dove beigelegt, die die Herren in Bern auch für den Fall, daß ich bei diesen Wahlen durchfalle, auf mich aufmerksam machen sollen für [die Zukunft. Die]304Siegelausriss.schliessen Zeugnisse sind der Art, daß sie billigerweise mehr [Wert sein] werden, als die lächerlichen Anpreisungen von den Leistungen der Docenten [der Zürcher] Universität, die in neuster Zeit durch alle Zeitungen gehen, und die man theilweise eher zu verbergen als bekannt zu machen suchen sollte. —.

Nun noch Eins. Ich bitte Dich, mir nächstens einige Gedichte von Dir zukommen zu lassen; es sollen auf nächsten Sommer wieder einige Zürcher-Studenten herkommen, Altersgenossen des jungen Burkhardt305Paulus Heinrich Burkhard (1830-1890) war der Sohn von Pfarrer Diethelm Burkhard (1799-1871), der in Hirzel 1824-1826 Vikar für seinen Vater war und Pate der Johanna wurde. Der Vater ist mehrfach erwähnt in Meta Heussers Memorabilien der Zeit; der Sohn wurde 1855 Pfarrer in Herrliberg und war von 1866 an Mitglied des Kirchenrats: vgl. Zürcher Pfarrerbuch, S. 233.schliessen von Küsnach[t] und Fai306Friedrich Rudolf Fay (1830-1903) aus Rapperswil ist später Pfarrer in Meilen: Zürcher Pfarrerbuch, S. 269.schliessen von Rapperschweil so daß Du vielleicht einen dieser Kanäle dazu benutzen kannst. Ich kam nämlich letzthin zu jenem Crull307Daniel Krull (er unterschreibt stets Krull), Assistent am Mineralienkabinet an der Universität Berlin und Mitarbeiter von Professor Chr. S. Weiss. Er ist wohl der Vertraute der Gräfin Schlabrendorff, von dem Heusser in Brief 34 schreibt.schliessen auf die Universität, als gerade die Gräfin Schlaberndorf bei ihm war, und wurde ihr als Schweizer Namens Heusser vorgestellt; nachher fragte sie den Crull ob ich verwandt sei mit der Meta H.; sie sei seit dem Tode ihres Gatten durch ein Lied dieser M. H. in dem großen Liederkasten,308Mit dem "Liederkasten" - vielleicht ein in der Familie gebrauchter Ausdruck? - ist wohl der "Evangelische Liederschatz für Kirche, Schule und Haus" gemeint, den Albert Knapp 1850 in 2. Aufl. herausgebracht hatte. Erst in dieser Auflage waren Meta Heussers Lieder mit ihrem Namen gezeichnet.schliessen (der mir von Hause her auch noch in Erinnerung ist) besonders getröstet und aufgerichtet worden. Als sie dann unsere verwandtschaftlichen Verhältnisse erfuhr, gieng die Geschichte los, ich soll die Gräfin nächstens auf ihrem Gute, [S.4] — eine Eisenbahnstunde von Berlin entfernt — besuchen, und soll Dich um fernere Gedichte bitten; was für ein Lied von Dir sie eigentlich gelesen hat, weiß ich selbst nicht. Ich will Dir bloß noch bemerken, daß sie Katholikin, sehr fromm und wohlthätig ist. Übrigens kannst du auch einige für mich beilegen, und mir gleich noch das schöne Lied von Hanni "auf dem Mangeli"309Das Gedicht von Johanna Spyri auf den beliebten Ausflugsort der Familie Heusser hat sich bisher leider nicht finden lassen.schliessen mitschicken.

Also jetzt einmal Nachrichten, seien sie schlimm oder gut! Dein tr. Sohn: J. Ch. H.
Berlin den 14 t. März 52.


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