Brief Nr. 37 – 26.12.1851
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37 26.12.1851
[Berlin, 26. Dezember 1851]
Liebe Eltern!

Das Neujahr rückt schon heran, daher ich doch auch wieder etwas von mir muß hören lassen, obgleich nicht viel Neues in meinen Sphären passirt; indeß das Alte genügt mir, ich habe wenig Wünsche, und es wäre gut, wenn Niemand schlimmer bestellt wäre, als ich. Ich sage dies besonders mit Beziehung darauf, daß ich im Juni wieder nach Berlin zurückgekehrt bin, und nicht nach Wien mich gewendet habe, denn ich zweifle daran, ob ich von Wien aus ebenso befriedigt nach Hause schreiben würde. Ins Specielle meiner Beschäftigung kann ich hier nicht eintreten, da Ihr doch Nichts davon versteht; nur so viel, daß ich im Laufe des Jahres wieder Einiges von meinen Arbeiten durch den Druck veröffentlichen werde; daß die Eidg. Hochschule bis jetzt noch nicht beschlossen worden ist, kann für mich eher angenehm als unangenehm sein; daß sie doch zu Stande kommt, glaube ich sicher, und dadurch daß diese Frage wieder bis ins Frühjahr verschoben ist, gewinne ich ja nur Zeit meine Arbeiten weiter auszudehnen, und etwas Ordentliches zu leisten. Was jetzt im Nationalrath beschlossen wird, wird auch rasch durchgeführt, und wenn die Hochschule jetzt oder gar im Sommer schon beschlossen worden wäre, so hätte ich blutwenig Aussichten gehabt; denn Protektionen habe ich keine, und will auch keine, und auf eine bloße Dissertation hin kann man doch nicht erwarten an eine Professur gerufen zu werden.299Die Diskussion um die Gründung einer Eidgenössischen Hochschule zog sich noch bis zum Januar 1854 hin.schliessen Übrigens bitte ich über diesen Punkt Stillschweigen zu beobachten, da meine Pläne Niemanden was angehen: Über meine wissenschaftliche Thätigkeit kann ich übrigens nie sprechen, ohne mit der größten Anerkennung Magnus zu erwähnen, der mir wirklich Alles durch Rath und Hilfe zukommen läßt, was ich nur irgend wünschen kann; was mir früher die beiden Professoren Rose geboten, soll deswegen nicht in den Hintergrund treten, und um so weniger, da ich fortwährend noch mich ihrer Gunst erfreue; was ich aber durch den Umgang mit, und durch die Generosität von Magnus habe, ist deswegen um so anerkennenswerther, weil ich ohne alle Empfehlung zu ihm gekommen bin, weil er mich einfach als Mensch behandelt, und nicht, wie so viele Leute in allen möglichen Kreisen zu thun pflegen, erst geforscht hat, ob ich reich oder arm sei, ob ich irgendeinmal im Stande sein werde, das was er jetzt für mich thut, zu guten Früchten heranzuziehen, die ihm allenfalls selbst schmecken könnten, kurz weil er in seiner ganzen Haltung zu mir nicht sein, sondern mein Interesse im Auge behält; und die Erfahrung habe ich gemacht, und sie ist glaube ich allgemein wahr, daß von hundert Verbindlichkeiten oder Wohlthaten, oder wie man es nennen will, nur Eine echt ist, 99 aber Lug und Trug sind, indem der von dem sie ausgehen, sich selbst im Auge hat, und selbst den letzten Vortheil davon zu ziehen hofft.

[S.2] Die sogenannten Weihnachtsausstellungen sind dies Jahr wieder brillant hier in Berlin. Mehr oder weniger Ähnlichkeit haben sie zwar natürlich mit denen früherer Jahre, indeß besuche ich immer gerne noch einzelne, indem in einer Stadt wie Berlin ist, sich auch immer was Neues findet. Eine derselben bietet eine kleine Industrieausstellung der Berliner-Industriellen, auf der wirklich ganz famos schöne zierliche und kunstreiche Sachen ausgestellt sind; indeß eine Beschreibung von solchen Sachen giebt doch nie ein anschauliches Bild und dies Jahr, nachdem man so unendlich viel von der Weltausstellung in London gelesen hat, wäre sie gar nicht am Platz; übrigens muß ich gestehen, daß, wenn ich auch während des ganzen Semesters nie die mindeste Lust verspürte, die Londonerausstellung zu besuchen, doch beim Anblick dieser Ausstellung im Kleinen in mir ein Reiz geweckt wurde und der Wunsch aufstieg einmal den großen Weltmarkt zu sehen; die Möglichkeit wird auch wohl in den nächsten Jahren wieder geboten werden, denn wenn auch nächsten Sommer keine allgemeine Ausstellung stattfinden, oder im Falle daß sie nach Amerika (Noyork) kommen sollte, so wird wohl Paris sich die Ehre nicht nehmen lassen, in einem der darauf folgenden Jahre die Produkte und Bewohner der ganzen civilisirten Welt einmal in sich zu vereinigen und an Größe Glanz und Pracht alles Frühere zu überbieten — Um auf die Berliner Weihnachtsausstellungen zurückzukommen, so war eine zweite ganz andrer, nämlich religiöser Art. Im Gebäude der Akademie wurden nämlich Transparentgemälde, Szenen aus der heiligen Geschichte darstellend, unter feierlicher Musikbegleitung, nämlich dazu geeigneten Gesängen des hiesigen Domchors, vorgezeigt. Die Gemälde sind von neuen lebenden Künstlern, wodurch sich diese Ausstellung von der vorigen Jahres unterscheidet; damals waren nämlich die Gemälde von ältern Künstlern, und machten auf mich auch einen entschieden günstigern Eindruck, rissen mich wirklich ganz hin; ich bin nun zwar von ferne kein competenter Richter, und es mag damals der Reiz der Neuheit gewesen sein, der dies Jahr fehlte; aber im Ganzen werden glaube ich doch allgemein die früheren Bilder für gelungener gehalten, und wird zugegeben, daß die neuere Malerei in diesem Genre es noch nicht weit gebracht hat.

Außer diesen Weihnachtsausstellungen hat in neuester Zeit etwas Anderes mein Interesse sehr in Anspruch genommen und gewährt mir wöchentlich einen vergnügten Abend; es sind dies nämlich zwei Kunstreitereien, oder im höhern Style olympische Circus genannt, die miteinander wetteifern, und Leistungen an den Tag legen, wie man sie jetzt kaum anderswo großartiger und überraschender finden möchte; es ist nämlich eine französische und eine deutsche Gesellschaft. Seit Jahren war eine Deutsche Gesellschaft von Kunstreitern in Berlin ansäßig, die zwar ganz nette Vorstellungen gab, aber, weil sie keine Concurrenz hatte sich doch nicht sonderlich anstrengte, und dazu in einer alten ganz gewöhnlichen Bretter[S.3]bude auftrat. Nun kam letzten Winter eine französische Gesellschaft hier an, und zwar, um die deutsche Reiterei gleich im ersten Winter zu ruiniren, mit ungeheuren Kräften an ausgezeichneten Pferden und geschickten Reitern und Reiterinnen. Der französische Unternehmer Dejan ließ gleich ein schönes, massives Gebäude aus Stein aufführen, inwendig die Plätze und Sitze höchst elegant nach französischer Art ausstaffiren, so daß schon das Äußere das Publikum gleich für Dejan gewann; und da seine Vorstellungen wirklich auch glänzend waren, und diejenigen des Deutschen Renz übertrafen, so wurde er denn auch mit immensem Beifall aufgenommen; alle Zeitungen erhoben die Leistungen des neuen Ankömmlings, so daß es wirklich fast schien, als ob Renz zu Grunde gehen müßte; indeß behielt er sich doch immer ein nicht unbeträchtliches Publikum von Patrioten, die von dem Franzosen Nichts wissen wollten. Renz entschloß sich für diesen Winter dem Dejan gefährlichere Concurrenz zu machen, und verreiste im Frühjahr, um in ganz Europa schöne Pferde und gelenkige Jungen zu suchen. Dejan reiste bald nachher auch nach Paris zurück, und hat da im Laufe des Sommers natürlich auch sein möglichstes gethan, um nachher wieder brillant auftreten zu können. Renz hat unterdeß auch ein neues Gebäude aufführen lassen, das dasjenige des Franzosen an Größe und Pracht nun noch übertrifft; und nun hat die Concurrenz wieder begonnen, und es ist für mich, der ich immer große Freude an Pferden hatte, wirklich eine Freude diese herrlichen Thiere zu sehen. Der Deutsche scheint mir aber wirklich jetzt die schöneren Pferde [zu haben]300Die nächsten drei Zeilen sind durch Siegelausriss. beschädigt.schliessen und im Schulreiten und der eigentlichen Reitkunst mehr zu leisten, während der [Franzose] in Kunststückchen und Bajazzo-Streichen, die auf den Pferden im vollsten Galopp [durchgeführt] werden, mehr brilliren mag. Wer das Publikum für die Dauer mehr zu fesseln im Stande ist, ist noch nicht zu entscheiden; bis jetzt sollen beide Häuser immer gedrängt voll gewesen sein, und auf heute den zweiten Feiertag war schon vor drei Tagen kein Billet mehr zum einen oder andern zu haben. Um den Vortheil des Deutschthums, den Renz unstreitig hat, einigermaaßen zu compensiren, hat sich Dejan eine Berlinerin herangebildet, die bereits sehr schwierige Parthieen auf den Pferden ausgeführt hat, und die in seiner Bande auch immer mit dem größten Beifall aufgenommen wird. —

Daß ich mich mit dem jungen Ehepaar Waser-Pestalozzi, das von Euch an mich empfohlen war, nicht mehr abgeben konnte, that mir sehr leid, aber ich hatte an dem Tage ihrer Ankunft bereits ein Eisenbahnbillet nach Dresden gelöst, da ich in den letzten Tagen, bevor die Collegien wieder begannen, theils zur Erholung, theils zu wissenschaftlichen Zwecken (ich wollte mir die Bergwerke von Freiberg301Die Silberminen des Bergwerks Freiberg in Sachsen wurden im 12. Jh. entdeckt und seither abgebaut.schliessen ansehen) theils um den Theologen Schinz zu begleiten für einige Tage nach Sachsen verreiste. Näheres über diese Tour, die zwar nichts Interessantes, aber doch einige vergnügte Stunden mit dem alten Freunde bot, hat Euch derselbe vielleicht einmal bei einem Besuche mitgetheilt; er ist, wie ich höre, jetzt Vikar in Knonau.

[S.4] Zum Wechsel des Jahres sende ich Euch meine besten Wünsche zu, und hoffe, daß Ihr diese Festtage gesund und froh verlebt habt; dasselbe gelte allen Bekannten in Hirzel, Zürich und Rümlang!

Euer tr. Sohn: J. Ch. Heusser.
Berlin den 26t. Dec. 51.

Auf Sylvesterabend bin ich zu W. Rose eingeladen, und muß nun wohl gehen, da ich schon einige Einladungen zu ihm ausgeschlagen habe, obgleich ich sonst am liebsten zu Hause bliebe.



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