Brief Nr. 32 – 21.3.1851
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32 21.3.1851
[Berlin, 21. März 1851]
Liebe Eltern!

Gestern Abend habe ich das Examen bestanden und heute das Resultat vernommen. Dissertation und mündliches Examen werden getrennt beurtheilt; erstere wurde über all mein Erwarten günstig beurtheilt, sie erhielt das Prädikat "eruditam, ingenii sagacis testem",275"Ein gelehrtes Zeugnis eines scharfen Geistes".schliessen was Ihr Euch von Hr. Pfr. Wild mögt übersetzen lassen; im mündlichen Examen erhielt ich magna cum laude, was zwar nicht schlecht ist, aber durch die günstige Aufnahme der Dissertation waren in mir Hoffnungen auf die beste Censur erwacht, die in Gottes Namen nicht realisirt wurden; es gieng wirklich nicht besonders, aber den Grund davon kann ich keinem der Examinatoren zuschieben; es waren wirklich alle (Rose in Chemie, Dove Physik, Weiss Mineralogie, Encke Mathematik, Gabler276Georg Andreas Gabler (1786-1853), Professor der Philosophie, seit 1835 an der Universität Berlin.schliessen Philosophie) sehr freundlich und legten mir die Antworten beinahe in den Mund; aber zwei von ihnen hatten einmal Punkte berührt, wo ich nicht beschlagen war, und das war halt, was die Studenten Pech nennen. — Jetzt ist die Dissertation dem Drucke übergeben, und in 10 Tagen werde ich zur Promotion kommen; daß diese eine Formsache und Spielerei ist, brauche ich wohl nicht erst zu sagen; daher also von diesem letzten Akt Nichts mehr weder zu fürchten noch zu hoffen ist. —

Nach der Promotion werde ich dann möglichst bald die Rückreise antreten; dies hängt jedoch noch von einer Geldlieferung ab; Ihr werdet nämlich begreifen, daß das Geld, das ich im October bezogen habe, alle geworden ist, und daß ich in Folge dessen für das Logis und die Rückreise welches bedarf, und um welches ich Euch hiemit bitte. Was den Punkt betrifft, daß ich hier in Berlin oder Wien unterzukommen suchen soll, so habe ich dies bestens im Sinn und für Wien auch einige Hoffnung. Dagegen werde ich auch in dem Fall, daß ich eine solche Stelle bekommen sollte, vor der Hand jedenfalls für einige Zeit nach Hause kommen, indem ich durchaus einmal sehen will, [S.2] wie es bei Euch steht: zeigt sich in Wien oder Berlin Nichts für mich, so bleibt ja Nichts Anderes übrig; zeigt sich aber etwas, so werde ich damit auf eigene Füße gestellt sein, und werde Euch außer dieser letzten Reise nicht weiter zur Last fallen. — Um noch einmal auf das Examen zu kommen, so dauerte dasselbe genau 2½ Stunden ohne 1 Minute Unterbruch; kaum hatte Einer geschlossen, so war schon wieder ein anderer bereit, so daß meine Kehle trockner war, als der Berliner-Sand in heißen Sommertagen. Besser als ich erwartete gieng es in der Philosophie, obgleich ich mich in meinem Leben nie ernstlich damit befaßt habe; Gabler stellte sich auf meinen empirischen Standpunkt und knüpfte, von diesem ausgehend, an wenige verwandte philosophische Systeme an, ohne in irgend eines tiefer einzugehen, wobei ich in die Brüche gekommen wäre; ich führe dies darum an, weil sich Herr Pfr. Wild vielleicht wundert, daß ich den Hegelianer Gabler und nicht den positiveren Trendelenburg277Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872), seit 1837 Professor für praktische Philosophie und Pädagogik in Berlin, stand in scharfem Gegensatz zu Hegel. DBE 10, S. 80f.schliessen zum Examen gebeten habe. —

Wenn ich schon seit einiger Zeit oft zu W. Rose gegangen bin, so wird dies von nun an noch um so öfterer der Fall sein, da ich jetzt frei bin, Nichts mehr zu versäumen habe, und mich dort ganz zu Hause fühle, seit Frau Koch von Zürich hier ist; es ist eine sehr nette Frau, deren Bekanntschaft man jedenfalls pflegen muß. Falls ich nicht nach Wien, sondern direkt nach Hause reise, so wird sie vielleicht mit mir reisen, da sie nicht so lange hier bleiben mag, um mit Wilhelm Rose zurückzukehren, der natürlich im Sommer wieder nach der Schweiz kommen wird. Da nun die Zeit nahe gerückt ist, wo wir uns wieder sprechen können, so will ich nicht weiter schreiben; wie gesagt, ich breche von Berlin auf, so bald mir die äußere Möglichkeit verschafft ist.

Also auf baldiges Wiedersehen!
Euer Ergebener: J. Ch. Heusser.
Berlin den 21t. März 51.


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