Brief Nr. 30 – 13.12.1850
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30 13.12.1850
[Berlin, 13. Dezember 1850]
Liebe Eltern!

Heute Abend habe ich Euren Brief erhalten, und will auch nicht säumen, denselben gleich zu beantworten; es ist auffallend, mit der Annäherung meiner Abreise von Berlin und Ankunft zu Hause, mehrt sich doch in mir der Wunsch, mich auszusprechen, Briefe zu schreiben, der früher nicht oft sich einstellte, dafür aber billigerweise auch der, Briefe zu erhalten; über dies habt Ihr im letzten Brief einen wichtigen Punkt berührt, über den Ihr Auskunft wünscht, und über den ich mich gerne einmal ausspreche. Ihr fragt mich nämlich, ob ich mich zunächst, wenn ich nach Hause komme, im Hirzel oder in Zürich niederzulassen gedenke, bis ich eine Anstellung habe. Zunächst werde ich natürlich einige Tage im Hirzel zubringen, aber von einem längeren Aufenthalt kann keine Rede sein; ob aber Zürich der Ort meiner Niederlassung sein wird, das ist noch sehr die Frage, und hängt auch sehr von dem Erfolg meines Doktorexamens ab; so viel ist aber sicher, daß mich Zürich nicht etwa als Lehrer oder Privatdocent innerhalb seiner Mauern sehen wird; denn in solche Abhängigkeit von mir verhaßten Verziehungsräthen und Regierungsräthen werde ich nie und nimmermehr treten.258Das Pochen auf Unabhängigkeit und die schroffe Ablehnung jeglicher Protektion ist ein hervorstechender Charakterzug Christian Heussers. Hier wendet er sich vor allem an die Eltern, dass sie nichts zu seinen Gunsten unternehmen sollen. Von der dezidierten Ablehnung einer Lehrtätigkeit als Privatdozent musste er allerdings nach seiner Heimkehr abrücken.schliessen Kann ich mir durch meine Doktor-Dissertation nicht eine Stellung im Ausland verschaffen, so werde ich zu Hause irgend eine praktische Anstellung suchen und hoffentlich auch eine finden; und wenn Ihr vielleicht an einem günstigen Erfolg zweifelt, so will ich bloß anführen, daß vor wenig Monaten in Aarau ein junger Mann, den ich kenne, und der von Chemie blutwenig versteht, in eine für den Anfang glänzend zu nennende Stellung getreten ist. Für diesen Fall müßte ich mich eben im Kanton Zürich, zunächst allerdings in der Stadt, etwas umsehen, und dann auch etwa in den angrenzenden Kantonen u.s.w. Was nun aber meine ersterwähnte Hoffnung betrifft, nämlich auf eine Anstellung im Auslande, so ist es wohl das erste Mal, daß ich zu Euch davon spreche, und ich werde mich daher etwas weiter darüber auslassen. Die politischen Verhältnisse haben sich in der Schweiz so wenig zu meiner Befriedigung gestaltet,259Anspielung auf die Herrschaft der Liberalen Partei unter Alfred Eschers Führung.schliessen und zugleich fühle ich mich hier draußen auch in monarchischen Staaten so frei und unabhängig, daß ich denselben Wunsch habe mein Vaterland zu meiden, den andere Schweizer haben, in dasselbe zurückzu[S.2]kehren; es fesselt mich an die Schweiz bloß noch Eines, und das seid eben Ihr Alle; die ich mich freue im Frühjahr wiederzusehen, und von denen mir eine neue Trennung allerdings schwer fallen würde; wenn sich aber, was möglich ist, im Ausland eine Stell[un]g für mich finden würde, die mir Gelegenheit böte, mich weiter zu bilden, und mich bekannt zu machen, um vielleicht dann einmal nach Zürich berufen zu werden, dann, muß ich gestehen, könnte ich schwankend werden, und mit Eurer Zustimmung wohl eine solche Anstellung ergreifen. Was nun diese Anstellung selbst betrifft, so ist sie nicht etwa ein bloßes Hirngespinst; und es ist, wenn auch keine große Wahrscheinlichkeit, so doch Möglichkeit vorhanden, daß ich dieselbe bekomme. Meine letzte Reise nach Wien war nämlich nicht bloß Vergnügungsreise, sondern ich hatte dabei den Zweck, mich zu erkundigen, ob auch Ausländer angestellt werden zu einem großartigen Unternehmen, das Östreich vor Kurzem begonnen hat. Es werden nämlich sämmtliche Östreichische Kaiserstaaten geologisch untersucht und dabei natürlich große Kräfte in Anspruch genommen. Professor Engel in Prag machte mich darauf aufmerksam und gab mir Empfehlungen mit nach Wien; trotzdem bekam ich von Haidinger260Wilhelm Haidinger (1795-1871), österreichischer Mineraloge und Geologe. DBE 4, S. 336.schliessen in Wien, der das ganze Unternehmen lenkt, die kurze und entschiedene Antwort, daß keine Ausländer angestellt würden; nach Prag zurückgekehrt aber ermuthigte mich Engel wieder, und sagte, ich solle nach bestandenem Examen Dissertation und Zeugnisse von Berlin nach Wien schicken, dies werde schon eher Erfolg haben; gute Zeugnisse werde ich jedenfalls von Berlin erhalten, und zudem wurde mir auch hier wieder einige Hoffnung gemacht, und so stehen die Aktien jetzt; ob ich an dem Absperrungssystem Östreichs scheitere, oder nicht, weiß ich nicht. — Ich führte dies etwas weiter aus, um Euch zu zeigen, daß wenn ich für Zürich einer wissenschaftlichen Laufbahn entsage, dies nicht aus eigener Schwachheit geschieht, sondern weil erstens in Zürich gar keine Hülfsmittel für einen Naturforscher vorhanden sind, und weil ich mich zweitens in kein abhängiges Verhältniß von Escher und Consorten begeben will. Im Zusammenhang damit steht denn auch, daß ich meine Dissertation nicht durch öffentliche Blätter werde anpreisen lassen; weder durch Neue Zürcherin, noch durch Eidgenössische;261Familiäre Bezeichnung für die "Neue Zürcher Zeitung" und die "Eidgenössische Zeitung".schliessen denn da, wo ich wünschte, daß meine Dissertation beachtet würde, da werden diese zwei Blätter gewiß nicht gelesen; und in Zürich braucht meine Dissertation nicht gelesen zu werden, schon aus dem einfachen Grunde, weil sie an der ganzen Universität vielleicht von [S.3] Einem Manne262Der einzige Mann an der Universität, der Heussers Dissertation versteht, ist Arnold Escher von der Linth, Dozent für Geologie an der Zürcher Hochschule.schliessen verstanden wird; außer Hr. Pfr. Wild, einigen wenigen Freunden und einem einzigen alten Lehrer, wird sie auch Niemand erhalten. Um nun noch auf das politische Treiben zu kommen, so sieht es jetzt in Berlin wieder etwas friedlicher und ruhiger aus, als vor einigen Wochen, da die Rüstungen noch in vollem Gange waren. Da sah man durch alle Straßen und durch alle Thore herein Bauern mit ihren Pferden und Landwehrmänner hereinkommen, und ebenso gerüstetes Militär herausziehen. Die ganze Stimmung der Bevölkerung war etwas ernster geworden, indem man ganz gewiß den Ausbruch des Kriegs erwartete; dies bemerkte ich besonders auch bei W. Rose, der natürlich, wie nach dem 18t. März und immer sich an die Spitze der wohlthätigen Vereine stellte, die jetzt zur Unterstützung der von den Hausvätern verlassenen Noth leidenden Familien stellte; überhaupt ist er ein guter Preuße und that sich etwas darauf zu gute, einzelne Züge von Patriotismus erzählen zu können. Nun ist also, wie Ihr schon wissen werdet, durch die Zusammenkunft der beiden Minister263Felix Fürst zu Schwarzenberg und Otto von Manteuffel.schliessen in Olmütz der Friede wieder gesichert; was Rose dazu sagt, weiß ich nicht, ich habe ihn seitdem noch nicht wieder gesehen. Sonst hört man verschiedene Stimmen; die einen murren, daß durch diese unzeitigen Rüstungen dem Lande unnütze Kosten von 17 Mill. erwachsen seien; Andere meinen, es sei nothwendig gewesen, um die Ehre Preußens zu retten. Für mich hatte die ganze Geschichte nur das Unangenehme, daß ich plötzlich von einem lieben Bekannten getrennt wurde, den ich eben erst bei Prof. H. Rose, in dessen Laboratorium er auch arbeitete, kennen gelernt hatte; er mußte sogleich mit ausrücken, und nun werde ich ihn wohl nicht mehr sehen, da die Truppen, die einmal auf den Beinen sind, nicht so schnell wieder entlassen werden, auch wenn keine weiteren Friedensstörungen eintreten; er ist der Sohn von einem Professor der hiesigen juristischen Fakultät, Hefter264Der Jurist August Wilhelm Heffter (1796-1880), seit 1832 Prof. in Berlin, war massgeblich beteiligt am Ausbau der preussischen Rechtspraxis. DBE 4, S. 477.schliessen und hatte mir bereits versprochen bei meiner Promotion zu opponiren.

So weit hatte ich vor ein Paar Tagen geschrieben; seitdem hat sich aber Alles geändert; die Zusammenkunft der beiden Minister Schwarzenberg265Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800-1852) leitete in diesen Krisenjahren die österreichischen Regierungsgeschäfte.schliessen und Mannteufel266Otto von Manteuffel (1805-1882) war Innenminister der preussischen Regierung während der Gegenrevolution. Im Vertrag von Olmütz einigten sich Österreich und Preussen, den Deutschen Bund unter der Führung Österreichs wieder herzustellen. Durch dieses Nachgeben Preussens wurde der drohende Krieg vermieden.schliessen hat den Frieden so vollständig gesichert, daß bereits die Rüstungen eingestellt werden, und die Landwehr entlassen wird; ob auch die junge Mannschaft so bald entlassen, und oben erwähnter Hefter so bald wieder nach Berlin kommen werde, weiß ich noch nicht.

Was nun die Frage nach der genauen Angabe sämmtlicher Kosten bei meinem Exa[S.4]men betrifft, so kann ich dieselben darum nicht ganz genau angeben, weil ich nicht weiß, wie groß die Dissertation werden, d.h. wie viele Seiten sie gedruckt ausfüllen wird; außer den angeführten 130 Thlr. sind aber diese Druckkosten das Beträchtlichste, ihren Betrag erfahre ich aber nicht bis kurz vor der Promotion, da die Dissertation nicht dem Druck übergeben werden darf, bis das Examen ganz zu Ende ist; die 130 Thlr. müssen aber schon mit der Eingabe der Dissertation erlegt werden. Nun weiß ich von einem Bekannten, daß er Alles in Allem 190 Thlr. brauchte; und da meine Dissertation jedenfalls etwas größer wird und zudem Zeichnungen enthalten wird, so denke ich, werde ich etwa die runde Summe von 200 Thlr. gebrauchen. — Was nun die Zeit betrifft, so werde ich die 130 Thlr. etwa Ende Januar, das Übrige Ende Februar oder Anfangs März entrichten müssen; nun bin ich zwar vollkommen überzeugt, daß mir W. Rose jeden Augenblick bereitwillig das Geld geben wird; dagegen wäre es unangenehm, ihn längere Zeit auf das Zurückzahlen warten zu lassen, da er eine solche Summe gewiß nie, auch nur Wochen lang unbenutzt läßt, sondern sie auf die Bank anleiht. — Schließlich muß ich Euch bitten, die Geldsendung jedenfalls, bestehe sie in einem Wechsel, in Papiergeld oder Creditbrief, auf der Post rekommandiren zu lassen, da schon bloß in diesem Semester schon zwei Fälle vorgekommen sind, daß Geldlieferungen, die hiesige Schweizer hätten bekommen sollen, auf dem Wege abgefaßt wurden, und die Betrogenen rein Nichts von der Post erhielten, da die Briefe nicht rekommandirt waren.

Weihnacht und Neujahr rücken bereits heran; wenn ich dies Jahr auch wieder eine Einladung zu W. Rose für den Sylvesterabend erhalte, wie es bisher jedes Jahr der Fall war, so werde ich sie noch annehmen, während ich es früher nie that; wo Ihr dann seid, weiß ich, das nächste Mal werde ich wieder bei Euch sein; daß ich übrigens auch bei Rose's in ernster Stimmung Euer gedenken werde, dessen könnt Ihr versichert sein! und meine stillen Wünsche, die ich dann für Euch hege, mögen Euch das ersetzen, was Andere zu Papier bringen und Neujahreswunsch nennen!

Grüße an Alle in Zürich, Rümlang und Hirzel!
Euer Ergebener: J. Chr. Heußer.
Berlin den 13 t.December 1850


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