Brief Nr. 23a – 24.12.1849
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23a 24.12.1849
[Berlin, 24. Dezember 1849]
Liebes Hanni!

Es scheint wieder einmal trübe auszusehen im Hirzel, da selbst du, die Du sonst noch am ehesten die Stürme ertragen kannst, so entmuthigt bist, da ferner die Handschrift der lieben Mama so entstellt208Der eigene Unfall im Herbst und die schwere Krankheit von Pfarrer Wild hatten Meta Heusser offenbar sehr zugesetzt. In der Zeit über den Jahreswechsel 1849/50 fehlen auch Eintragungen in den Memorabilien der Zeit.schliessen ist, daß ich wohl günstigere Hoffnungen von ihrem Zustande gefaßt hätte, wenn sie gar nicht geschrieben hätte, als so. — Mit mir steht es jetzt besser als früher; ich will daher versuchen, ob ich Euch etwas trösten kann. Hoffnungslos bin ich nicht mehr, ich weiß jetzt es wird eine Zeit kommen, wo ich sage "bis hierher und nicht weiter"! Wie ferne oder nahe aber diese Zeit liegt, weiß ich nicht, und möglich ist es allerdings, daß vorher der Antique Euch Alle noch zweispännig in den Zugersee oder einspännig in irgend einen Abgrund spedirt; ich weiß wohl, daß ich ein alter Kerl bin und schon längst im Stande sein sollte, aufzutreten, aber der unglückliche Stern, der über unserem Hause waltet, hat mich in Gottes Namen während meiner ganzen [S.2] Studienzeit verfolgt, und mir sogar noch zwei Jahre in Berlin verbittert und theilweise nutzlos gemacht. Erst seit diesem Herbst ist es mir, als ob ich allen Teufeln trotzen möchte! So viel also hoffe ich jetzt sicher, daß einmal die gewünschte Zeit kommt, und ob wir, wenn sie da ist, dann nach Amerika verreisen oder zu Hause bleiben, wird sich dann finden; es ist allerdings schön zu Hause in der freien Natur, aber abschreckend und gemein unter den Leuten; es ist wohl möglich, dass wenn ich wieder einmal nach Hause komme, mich die Berge zurückhalten; aber gerade deshalb würde ich, wenn heute Etwas passiren würde, die Schweiz nicht mehr betreten. — Wie Ihr vor der Hand die Zeit durchbringen werdet, mag allerdings so traurig sein, wie es bis dahin gewesen ist, wenn Theodor nicht einmal einen Schritt irgendwelcher Art thut; bei Gott ich bin jedes Mal unglücklich, wenn ich nach Hause denke, oder Nachrichten von Eurem Elend bekomme.

Für Deine Verse danke ich Dir, mag aber nicht den Rezensenten [S.3] spielen, da ich selbst nicht dichten kann, und durch meine Studien keineswegs dazu befähigt werde; übrigens ist es ganz recht von Dir, fahre nur fort, und zur Aufmunterung wirst du nächstens mit Deinen Schwestern zugleich, einen deutschen Dichter erhalten, der viel Schönes gesu[n]gen209Das Wort ist korrigiert und schwer leserlich. Um welchen Dichter es sich handelt, wird nicht gesagt.schliessen hat. Nach meiner Meinung gewinnst Du am meisten nicht durch Rezensionen, sondern dadurch, dass du die famosesten Dichter kennen lernst.

Wenn du Bälle besuchen solltest, was mich freuen würde, und dabei den Hanenwinkel sehen, so kannst du mir ihn pro forma grüßen, aber wenn der Kerl, der in seinem hunderttausendsten Semester noch in Zürich ist, und noch Nichts gethan hat, nicht versimpelt ist, so weiß ich nicht, was versimpeln heißt!

Um noch einmal auf das Dichten zurückzukommen, so ist es natürlich famos wenn auch Mama noch etwas macht; was das Herausgeben betrifft, so muß dies natürlich über kurz oder lang bewerkstelligt werden, aber sicher nicht in Zürich sondern wo möglich in Berlin; durch Lange210Der deutsche Theologe Johann Peter Lange (1802-1884) war statt David Friedrich Strauss von 1841 an Prof. für Dogmatik und Kirchengeschichte an der Universität Zürich und mit Meta Heusser befreundet. 1854 wurde er Professor in Bonn: vgl. M. Heusser, Hauschronik, S. 123, und HLS 7, S. 635.schliessen oder irgendeinen Bekannten [S.4] wird dies schon gehen; man findet hier viel mehr Sinn für etwas wirklich Gediegenes, als zu Hause, wie ich das auch an Bizius gesehen habe, dessen neuste Sachen in Berlin herausgekommen sind, wo sie sich fast in jeder Familienbibliothek befinden, kurz Bizius ist ein in Norddeutschland altbekannter und gefeierter Schriftsteller; sogar in einem demokratischen Blatte "der Nationalzeitung" erschien jüngst eine günstige Rezension seines Uli. Dieser ist nämlich dies Neujahr wieder neu herausgekommen mit lieblichen Abbildungen, etc.211Jeremias Gotthelf, Uli der Knecht, Bearbeitung des Verfassers für das dt. Volk, 2. Aufl. Berlin 1850, und Uli der Pächter, 2. Aufl. mit Zeichnungen von Theodor Hosemann, Berlin 1850.schliessen

Ich denke bisweilen noch so an einige Leute in und um Zürich, von Rümlang, von Sophie Fries212Sophie Fries (*1820), die älteste Tochter der Familie Fries war mit ihren Geschwistern in engem Kontakt mit den Heusser-Kindern aufgewachsen: Die Familie Fries lebte 1826 einige Monate im Doktorhaus im Hirzel, wo Dr. Heusser den Vater während einer schweren Depression behandelte. Die beiden Familien blieben eng befreundet. Sophie Fries heiratete den St. Galler Johann Conrad Heim. Vgl. M. Heusser, Hauschronik, S. 95, und R. Schindler, Memorabilien, Stammbaum Wirz-Fries-Heim.schliessen und von Bäbeli Staub213Bäbeli Staub wird mehrfach in den Memorabilien der Zeit von Meta Heusser erwähnt; im Tagebuch der jüngeren Meta wird sie "Schultante" genannt. Sie musizierte mit den jüngeren Töchtern Heusser. Vgl. R. Schindler, Memorabilien, S. 138.schliessen habe ich lange Nichts mehr gehört. Nany könnte mir im Überfluß seiner Rümlanger-Langweile doch wieder einmal schreiben; nur soll es mich mit unerquicklicher Politik verschonen.

Wenn Ihr oben erwähnte Gedichte noch nicht erhalten habt beim Empfang dieses Briefes, so wird auch Hr. Pfr. Wild meinen Brief, in dem ich ihm den Empfang seines Geldes anzeige, [S.5] nicht erhalten haben; in dem Fall theilt es ihm mit. Ich habe nämlich jene Gedichte und den Brief einem nach Hause reisenden Bündner gegeben, der am 14t. December von Berlin verreist ist. Der Mann ist sicher, daher die Sachen an ihre Adressen gelangen, wenn auch vielleicht etwas später, als er mir sagte; er wollte nämlich am 20t. December in Zürich sein.

An dem andern Brief214Der Brief Nr. 23 vom selben Datum an die Eltern.schliessen sitze ich schon bald einen halben Tag und weiß die letzte halbe Seite nicht auszufüllen; Langweiligeres und Zeitraubenderes giebt es für mich nicht, als an den Antiquen zu schreiben, denn von Allen Dummheiten und Neuigkeiten, was etwa in Berlin vorfällt, weiß ich Nichts; ich will nun vor der Hand diese Zeilen beendigen, hoffentlich wird es sich mit dem andern dann auch geben. Wie ist eigentlich schließlich die Fideris-Geschichte abgelaufen? Hängt noch etwas, oder ist alles vorbei?

Ferner das möchte ich wirklich wissen, ob der zweite Weihnacht-Abend noch in derselben Weise begangen wird wie früher, oder ob es sich etwa jetzt um Gattikers willen nicht mehr lohnt, die Kosten dran zu wenden?

Ich will in dem andern Brief noch ein Paar Worte von einem Ball er[S.6]wähnen; schaden kanns am Ende nicht, wenn es auch nicht nützt. Jetzt genug für dies Mal; hoffentlich bekomme ich das nächste Mal wieder frohere Nachrichten von Euch!

Werft doch diesen eingeschlossenen Brief in einen Briefeinwurf in Zürich, oder laßt ihn sonst an seine Adresse gelangen!

Euer tr. Sohn, Bruder etc. J. Chr. Heusser.


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