Brief Nr. 21a – 31.10.1849
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21a 31.10.1849
[Berlin, 31. Oktober 1849]
Meine Lieben!

Ich dachte, ich müsse in diesem Brief doch noch einmal von der verrückten Fahrt anfangen, wenn Ihr etwa den vorigen verloren hättet; weitläufig ist dieser Passus nicht geworden; meinetwegen könnt Ihr aus dem ersten Brief dazu lesen, was Ihr wollt. Über den Antiquen will ich zwar nicht mehr schimpfen, obgleich ich immer mehr Lust hätte, seit ich fühle wie wohl es einem freien Menschen ist, und daher mit Zorn und Unmuth auf die zwei vorigen Jahre zurückblicke, die ich durch seinen Geiz in dumpfer Melancholie durch gebrütet habe; so viel vermag ich aber nicht über mich, daß ich ihn bemitleide, lest meinetwegen aus dem Brief, was Ihr wollt.

Was die Unternehmungen von Theodor betrifft, so wünsche ich ihm zu allem viel Glück; Amalie Meier mochte ich allerdings auch lieber, als so ein See-Kalb, wie er sie wohl dutzendweise haben könnte; übrigens ist damit noch nicht gesagt, daß seine Ehe anders werde, als wie im Kanton Zürich [S.2] 99 von 100 sind. Was meine Zukunft betrifft, so wird sie sich gewiß auch machen, davon bin ich überzeugt, wenn ich nun auch ein alter Kerl werde, bis ich einmal ins praktische Leben trete. Was Fideris betrifft, so hat Theodor allerdings recht, daß wir zusammen das Etablissement nicht hätten kaufen können, weil wir kein Geld haben; wenn er aber meint, daß mir die Leitung desselben zu großartig und ausgebreitet gewesen wäre, so muß ich gestehen, daß ich glaube, wenn der feine Hr. Sulzer197Um welchen Angehörigen der weitverzweigten Sippe Sulzer es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden.schliessen dasselbe regieren kann, ich es auch regiert hätte, da ich in Berlin wieder arbeiten gelernt habe, übrigens nicht etwa ein unpraktischer Stubengelehrter geworden bin, sondern so ziemlich von Allem etwas weiß, und wenn wir Geld gehabt hätten, so hätte Theodor einmal Mitantheilhaber werden können; so aber wird er wohl eben Badarzt bleiben, und als solcher abhängig von dem jeweiligen Eigenthümer; denn wer weiß wie lange ein Sulzer, der sonst leben kann, sich mit so etwas abgiebt. Übrigens hatte Sulzers Dazwischenkunft mir keinen Strich durch die Rechnung gemacht; meine Hoffnungen sind nicht auf die Schweiz ge[S.3]richtet, vielmehr, da sogar Ihr Schwestern Euch mit dem Gedanken vertraut machen könnt, werden meine Pläne in Amerika ein neues Vaterland zu suchen, immer entschiedener!

Um noch einmal auf Theodors Heirathsprojekt zu kommen, so muß ich doch noch den Rath geben, daß Ihr Euch erst der Neigung der zweiten Hälfte versichert; denn so viel ich weiß, ist sie etwas spröde, und abfahren198"Abfahren" im Sinn von "einen Korb erhalten".schliessen soll immer etwas unangenehm sein.

Liebe Äga! Da Du nicht mehr weißt, wie ich aussehe, und da meine Lithographie von Zürich her nicht mehr ganz ähnlich sein wird, so will ich Dir hiemit ein Exemplar der Lithographie199Dieses Bild ist offenbar verloren. Das einzige erhaltene Jugendbild von Christian Heusser ist die Zeichnung seines Studienfreundes Staub.schliessen schicken, die ich kürzlich für meine Freunde in Berlin machen ließ; hoffentlich wirst Du Dich dabei lebhaft an mich erinnern!

Hr. Pfr. Wild lasse ich natürlich herzlich grüßen, um gute Besserung zu wünschen,200Im Oktober 1849 war Pfarrer Wild sehr schwer erkrankt. Verschiedene Einträge in den Memorabilien der Zeit bezeugen die Angst Meta Heussers um ihn.schliessen wird es hoffentlich nun zu spät sein. Bei Dir dagegen liebe Mama, wird es noch nothwendig sein, da Du noch nicht einmal schreiben kannst. Vielleicht wird es doch für Euch etwas besser, wenn Theodor einmal ver[S.4]heirathet ist.

Schreibt mir doch und schickt Geld, so bald der Antique es bewilligt hat; ich bin ganz auf dem Hund; ich hätte jetzt an Hr. Pfr. Wild geschrieben, wenn er nicht noch halb krank wäre!

Grüße an Alle! Euer J. Chr. Heußer.


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