Brief Nr. 102 – 29.5.1870
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102 29.5.1870
Buenos Aires 29t. Mai 1870.
Liebe Mama!

Vor Kurzem habe ich mich verlobt mit einer Schwester von Mad. Malcolm, mit der ich seit den ersten Tagen meiner Ankunft in B. A. eine Freundschaft gepflegt habe, die von Jahr zu Jahr inniger wurde: in der That kenne ich keinen Menschen auf der Welt, der durch fortwährenden Umgang fortwährend in meiner Hochachtung und Zuneigung gewonnen hat in dem Maaße, wie Mad. Malcolm; gewöhnliche Menschen verleiden mir im Gegentheil, je näher ich sie kennen lerne. Meine Braut Anna Smith704Anna Smith war eine der sechs Töchter von Richard und Emily Smith-Towsland, die aus London stammten, und die Schwester von Mrs. Malcolm-Smith, deren Vorname Christian Heusser nirgends nennt.schliessen ist ein herzlich gutes und verständiges weibliches Wesen, aber weder jung, noch schön, noch reich. Mad. Malcolm ist unter sechs Schwestern die von der Natur weit bevorzugteste in allen Beziehungen. Wenn mich vor Jahren schon bisweilen die Anwandlung ankam, mich mit einer Schwester von Mrs. Malcolm zu verheirathen, so hielt mich der etwas Deutsche, aber grundfalsche Gedanke zurück, daß man sich nur mit demjenigen weiblichen Wesen verheirathen solle, das man über alle andern hochstelle und in das man blindlings verliebt sei. —

Näheres über meine schnelle Verlobung und über den bevorstehenden Besuch der Familie Malcolm in der Schweiz kannst Du aus dem Briefe an Hanni entnehmen. Dadurch daß die Familie M. dies Jahr und nicht nächstes nach Europa reist, ist allerdings auch mein Besuch in Europa in unbestimmte Ferne und somit ein Wiedersehen in Zweifel gezogen. Für Dich kann das nicht schwer fallen, da Du an ein Wiedersehen nach dem Tode glaubst; ich meinerseits finde in dem Schritt, den ich gethan, eine so allgemeine, nicht in Worten auszudrückende Befriedigung, die mich für jene Entsagung, die mir anfangs etwas schwer fiel, reichlich entschädigt.

Gar nicht mehr in Betracht kommt bei mir der Gedanke, der manche Schweizer hier vom Heirathen abhält, nämlich der, daß das Verheirathen einem das Wiedersehen des gelobten Landes, der Schweiz, unmöglich machen werde; und doch glaube ich ein so guter Schweizer zu sein als viele andere, wie ich nächstens durch Verfügung der hoffentlich noch im alten Bäuli für mich aufbewahrten Naturalien aus Brasilien und von hier, beweisen will. — Wenn in Gegenwart von Mad. Malcolm, wo früher zur Zeit Barkers auch mehrere Deutsche aus- und eingiengen, unüberlegt und zwecklos in einer der ver[S.2]schiedenen Redensarten, wie "ach, mein Gott" etc. der im Englischen ähnlich lautende Name "Gott" ausgesprochen wurde, dann tadelte sie immer: man dürfe diesen Namen nicht leichtsinnig aussprechen, was allerdings vollständig einer wahren und tiefen Gottes-Verehrung entspricht. Mir kam bei dieser Gelegenheit jedesmal das Schweizerische "Vaterland" in Sinn, mit dem so viel Mißbrauch getrieben wird, und ich glaube, daß man ohne denselben stets im Mund zu führen, und ohne in demselben zu sterben, dennoch ein guter Schweizer sein kann.

Mad. Malcolm wird in der Schweiz ankommen, begleitet von einem Töchterchen von 4½ Jahren, meinem Pathenkind, gegen das ich bisher meine Pathen-Pflichten ziemlich vernachlässigt habe, und das ich darum speciell empfehle, d.h. ich bitte Dich, ihm in meinem Namen ein passendes Geschenk zu machen. Wenn es auf der einen Seite auf 20 Fr. mehr oder weniger nicht ankommt (— das Geld kannst Du von Hanni beziehen —), so mußt Du auf der andern Seite nicht glauben, daß hier ein Kleinod, eine Kostbarkeit nothwendig ist; vielmehr handelt es sich um einen Gedanken, der der Kleinen die Reise nach der Schweiz im Andenken behalten soll, und wenn dieser Gedanke sich mit 10 Fr. bauen läßt, so ist dies viel mehr werth, als ein Schmuck von 100 Fr. — Fast gleichzeitig mit der Taufe der Elisa Malcolm, erhielt ich verschiedene Sämereien aus Europa von Brennwald, aber meist Grasarten, außerdem einige Bäume, die, nachher in Bahia Blanca gepflanzt, nicht fortkamen. — Aber ich weiß, daß es Mad. Malcolm gefreut hätte, wenn ich zum Gedächtniß jener Taufe einen schönen Baum in ihr Landgut gepflanzt hätte. — Im gegenwärtigen Fall reicht natürlich der Saame zu einem Baum nicht hin; vom einzelnen Fall kann man auf die allgemeine Natur-Anlage schließen. Und bei Anlaß von Sämereien kann ich doch einen eigenen, persönlichen Wunsch nicht unterdrücken: damals, als ich wegen Sämereien an Brennwald schrieb, wollte ich wiederholt ihn um Saame oder Schößling von "Stechpalm" bitten (— ich weiß nicht, auf welche Art dieser schöne Strauch sich fortpflanzt —) rein ästhetische, oder sentimentale oder heimathliche Gefühle zu befriedigen (— ich weiß nicht mehr recht, welcher der drei Ausdrücke paßt, wahrscheinlich am besten die Resultirende aller dreier —) und außerdem um Schößling oder Saamen von Erle und Haselnuß mehr zu praktischen Zwecken. —

[S.3] Dein Brief vom 6t. Januar, der mir durch den Aarauer Buess zukam, ist somit schon beantwortet seinem Haupt-Inhalt nach (Frage nach meiner Rückkehr); bleibt als Antwort auf denselben bloß noch nachzuholen, daß ich mich über Tante Regelis Gesundheit freue, und ein Wiedersehen auch mit ihr nicht ins Reich des Unmöglichen verweise. Gleichzeitig mit dem Brief vom 6t. Januar kam mir aber auch derjenige vom 29t. März zu. (Direkt durch irgendeine Dampfer-Linie) — Als Antwort auf diesen muß ich Dir offen gestehen, daß er mich befremdet hat, namentlich da dieser selbst Antwort war auf meinen Brief vom 28t. December. Wenn ich selber unter einer Sache nicht leide, wie ich es offen in jenem Briefe vom 28t. Dec. ausgesprochen habe, so sehe ich wirklich nicht ein, warum Du, bloß für mich darunter leiden, jammern und klagen sollst. — Es hat mir dies unwillkürlich einen Deiner Briefe vom Jahr 1860 oder 61 in Erinnerung gebracht, auf den ich nie geantwortet, der aber nichts destoweniger auf mich einen Eindruck gemacht hat, wie vielleicht kaum ein andrer Brief oder eine andre Nachricht in meinem Leben. Du gabst mir in jenem Brief, gestützt auf das unfehlbare Urtheil des Hrn. Arnold Linth-Escher, Eidg. Prof., Dr. und weiß Gott, was mehr, den wohlgemeinten Rath, mich nicht mehr mit wissenschaftlichen Dingen zu beschäftigen, da meine Sammlungen aus der Brasilianischen Provinz Minas Geraes bewiesen, daß alle Erwartungen, die man je von mir gehegt, doch Null und nichtig seien. —

Als Antwort darauf will ich im Laufe des Jahres, wenn ich über oben erwähnte, wie ich glaube, im alten Bäuli aufbewahrten Sammlungen verfügen werde, auch einen Brief von Prof. Dr. Gustav Rose aus Berlin beifügen, welcher Brief die Antwort war auf einige von mir aus Brasilien nach Berlin gesandten Mineralien. —

Um noch einmal auf die Familie, der ich jetzt näher treten werde, und speciell auf Mrs. Malcolm zurückzukommen, so glaube Du nicht, daß letztere bei ihren Besuchen in der Schweiz, Zürich und Hirzel, besondere Huldigungen erwarte; vielmehr werdet Ihr durch außergewöhnliches Kochen, Sieden und Braten, kurz, was man früher nannte "Umständemachen" um so schneller sie vertreiben, und nur durch ein einfaches und natürliches Entgegenkommen sie für einige Tage an den Hirzel fesseln können.

Meine Hochzeit wird nicht sehr bald statt finden; wenn man einmal 44 Jahre hinter sich hat, so kommt es nicht darauf an, ob auch noch das 45t. zurückgelegt werde; [S.4] vor Allem muß ich meine Ökonomie mit Brennwald ins Reine bringen. Jedenfalls aber werde ich nicht die Hirzler in offener Verkündigung anfragen, ob Jemand etwas dagegen einzuwenden habe, sondern die Thatsache anzeigen, wenn sie sich verwirklicht hat.

Da ich mit diesem selbigen Schiff noch an Brennwald und anderwärts hin schreiben will, so kann ich heute nicht mehr den zugleich mit Deinem Brief von Anfang Januar erhaltenen Brief der Ega beantworten, grüße aber Alle herzlich

Euer
Chr.


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