Brief Nr. 69 – 31.12.1857
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69 31.12.1857
[ohne Ortsangabe, 31. Dezember 1857]
Liebe Eltern!

31t. December 1857. Vielleicht habt Ihr auf Weihnachten und Neujahr einen Brief von mir erwartet; ich habe denselben versäumt, weil er schon Anfangs November von hier hätte abgehen müssen, zu einer Zeit, wo mir diese Festtage noch sehr ferne zu liegen schienen. Nun sind sie in aller Eile herangerückt, und ich bin am heutigen Tage in Gedanken jedenfalls eher in Eurer Mitte, als dies vor zwei Monaten der Fall gewesen wäre, war doch dieser Tag von allen im Jahr derjenige, den ich am ehesten im Hirzel zubrachte. In Amerika sind zwar alle Sinne der Art nur auf Einen Punkt gerichtet, tritt jede gemüthliche Regung der Art in den Hintergrund, daß von einer Feier dieses Tages nirgends die Rede ist; und da die Luft einmal ansteckend ist, so glaube ich kaum, daß wir nach guter Schweizersitte die 12. Stunde des heutigen Tages wachend abwarten werden. Indeß kommt uns die geographische Lage des gegenwärtigen Aufenthalts-Orts insofern zu Hülfe, als wir ungefähr Abends 9 Uhr haben werden, wenn es bei Euch Mitternacht ist. Ich werde also zu dieser Zeit jedenfalls noch wach sein, und mich des schönen Geläutes im Hirzel und Euer Aller erinnern. Wie gerne hätte ich Eis und Schnee statt der drückenden Hitze von 30° bis zum späten Abend. Die Familie Euler hat seit einiger Zeit die Fazenda verlassen; und bringt die wärmsten Monate in diesem höher gelegenen Novo Friburgo zu. Nägeli und ich sind aber hier nicht allein, sondern seit einigen Tagen sind noch Claraz, mein ehemaliger Schüler, der mich aus Europa begleitete, und ein gewisser Meier von Altikon, Kt. Zürich, auch ein alter Schüler und Studienfreund von mir bei uns. Von letzterem habe ich zwar, wie ich glaube, noch nicht direkt an Euch geschrieben. Aus andern Briefen, die ich als Einschlüsse, aber offen, nach Zürich sandte, könnt ihr wissen, daß wir vier zusammen große Reisepläne vorhatten. Wir haben dieselben noch; nur die Abreise etwas hinausgeschoben. Günstige Nachrichten, die wir über den Absatz unserer gesammelten Naturalien in Europa von dort erhalten haben, bewegen uns, nachdem wir die Umgegend dieser Fazenda vollständig ausgebeutet, den nächsten Sommer noch in Morro queimado zuzubringen; und daselbst unsere Sammlungen zu vervollständigen. Einige chemische Versuche, aus einer hiesigen Pflanze ein nutzbares Gewebe zu ziehen, die nicht ganz erfolglos waren, und die wir auch fortsetzen wollen, sind mit ein Grund, warum wir die große Reise noch nicht antreten, sondern uns noch einige Zeit fest in Novo Friburgo niederlassen, und von da aus nur kleinere Ausflüge machen wollen. Nägeli hat die Pflanze entdeckt und die ersten Versuche veranlasst; da man sich aber mit solchen Dingen nur blamirt, wenn darüber gesprochen wird, bevor ein Resultat vorliegt, so ist es mein entschiedener Wille, daß vollständiges Schweigen darüber herrsche; ich habe es nur erwähnt, damit Ihr wisst, warum die Ab[S.2]reise verschoben ist. —

Das Kärtchen unserer Fazenda habe ich in den heißesten Monaten, October und November beendet; — ein großer Unterschied von der Arbeit des vorigen Jahrs. Im November 56 führte ich eine ähnliche Arbeit im Canton Luzern bei hart gefrorenem Boden aus; hier stieg das Thermometer im Schatten bis 32½° Celsius oder 26° Reaumur.

Bei der Mannigfaltigkeit der Pläne, die uns durch den Kopf gehen, und die meist auf Geldmachen abgesehen sind, wird wohl am Ende aus dem nicht viel werden, von dem ich im letzten Briefe geschrieben, nämlich ein vollständiges Gemälde dieses brasilianischen Fazenden-Lebens zu veröffentlichen. Ich will daher doch jetzt einige Bilder zu entwerfen suchen. — Weihnachten ist bei uns auch von den Schwarzen gefeiert worden, mit Tanz, Gesang und Schnaps, den sie vom Hause erhielten; und ganz ebenso wird morgen der Neujahrstag von denselben gefeiert werden. Es giebt aber auch Fazenden, wo selbst der Neujahrstag keine Ruhe und Erholung, keine Abwechslung bringt ins ewige Einerlei der schweren Arbeit. Von den Tänzen der Neger weiß ich nicht viel Neues zu berichten; sie waren ziemlich ähnlich wie jene an dem Tauffest, von denen ich im letzten Brief geschrieben. Auffallend waren hier wohl bloß die mannigfaltigen bunten Kleidungen; die Neger hatten sich seit einigen Monaten durch Sammeln von Insekten einiges Geld von uns verdient, und dies alles in neue Kleider gesteckt, die sie jetzt zur Schau trugen. Je greller und bunter dieselben waren, desto besser gefielen sie. Auf die Form der Kleider kommt es gar nicht an. Reichte das Geld nicht hin ein vollständiges Kleid zu kaufen, so wurden bunte Bänder und Lappen irgendwo an Kopf oder Arm angehängt, und der oder die Betreffende war so stolz auf den Schmuck, als irgend eine Dame der civilisirten Welt auf ihr Ballkleid... Ist auch begreiflich: ist ja die einzige Abwechslung; denn von der Fazenda erhalten die Schwarzen eben das ganze Jahr hindurch ein und dieselbe grobe Leinwand, die zwar ganz praktisch ist, aber für das Auge ungefähr so, wie Europäische Zuchthauskleidung. Während nun einzelne allerdings ganz affenartig zugeputzt waren, wußten dagegen Andere mit vielem Geschmack sich zu kleiden; namentlich aus rothen Tüchern um den Kopf einen Turban zu schlingen, der Nichts zu wünschen übrig ließ. Es zeichnet sich in dieser Beziehung besonders Ein Negerstamm aus, der im Norden, Pernambuccos etc. zahlreich vertreten ist, von wo aus auch vielfache Abbildungen nach Europa gekommen sind. Am schönsten war aber unbedingt der Ober-Neger, d.h. derjenige, der in Abwesenheit des Feitors (Aufsehers) selbst den Aufseher macht. Dieser suchte seinen Stolz in Europäischer Kleidung und erschien in einem weißen Frack, den er selbst gemacht. Wirklich eine possirliche Gestalt.

Das freundlichste Bild auf einer Fazenda ist unbedingt die Rückkehr der Truppe, die gerade diesen Augenblick erfolgt. Alle reicheren Fazendeiros schaffen nämlich den Café selbst in die nächste Hafenstadt. Für je 7 bis 8 Thiere, welche ein Lott bilden, geht ein Schwarzer mit, und außerdem als Aufseher des Ganzen der sogenannte Arriero, gewöhnlich ein Weißer oder freier Mulatte. Unsere Truppe besteht aus 50-55 Thieren und geht nach der Hafenstadt Macahé; die Reise dauert gewöhnlich 12, bei schlechtem Wetter auch 13 Tage. Da man den Tag der Rückkunft zum voraus weiß, so lauern die Creolen stundenlang auf die [S.3] ersten Thiere, und wenn sie dieselben erblicken, so ertönt ein lautes und allgemeines "trouppe sta hi" (die Truppe ist da). Was Beine hat auf der Fazenda läuft zusammen, 8-10 Hunde erheben ein lautes Gebell, kurz es ist jedes Mal ein kleines aber allgemeines Fest. Der Fazendeiro ist natürlich gespannt auf den Preis, den sein Café gegolten, fast noch mehr aber auf den Zustand der Trouppe, indem bei den schlechten Wegen gar oft Maulthiere ihrer Last erliegen und zu Grunde gehen. Die Familie des Arriero, die auch auf der Fazenda wohnt, ist gespannt auf die Heimkehr des Vaters; bei den Creolen und schwarzen Weibern ist dies weniger der Fall, da die Familienbande zu locker sind. Dagegen zeigt sich bei dieser Gelegenheit so recht, wenigstens auf einer Fazenda, wo die Sklaven gut gehalten sind, wie die unsrige, wie die Sklaven ihr Sklaventhum vergessen können, sich als integrirenden Bestandtheil der Fazenda, und dieselbe mit Allem was dazu gehört, also auch die Trouppe, als ihr Eigenthum betrachten. Die Zärtlichkeit, mit der die Trouppe empfangen wird, gilt daher vorzüglich den Maulthieren, welche als weitaus das wichtigste Hausthier des Landes, wohl mit den Kühen der Alpen verglichen werden kann. Freilich erfolgt die Rückkehr von der Alp nur Ein Mal im Jahr, die Rückkehr der Truppe etwa 20 Mal. Die Rückkehr der Trouppe ist aber das Einzige, was Freude und Abwechslung auf der Fazenda bringt; daher man trotz der öfteren Wiederholung nie gleichgültig gegen dieselbe wird. — Einen traurigen Gegensatz zu dieser Scene bildete letzthin eine andere, die recht in das Elend des Sklaventhums hereinblicken ließ. Um Mitternacht wurde Alles auf der Fazenda geweckt durch Hundegebell und den vielfach wiederholten Schrei der Schwarzen: "Cajambola". Dies bedeutet so viel als "entlaufener Sklave". In der That hatten unsere Schwarzen einen solchen, der einer anderen Fazenda angehörte, und [...]490Siegelausriss.schliessen suchte um Schweine und Hühner zu stehlen eingefangen. Er gehörte zu einer ganzen Bande, die bereits Wochenlang in den Wäldern in unserer Nähe gelagert war und unsere Fazenda durch nächtliche Besuche beunruhigte. Wenn er allein gewesen, hätte man ihn vielleicht laufen lassen; so aber mußte man ihn festhalten; er wurde daher in den Tronk gethan, d.h. sein Bein in das Loch eines großen Holzstammes gebracht, so daß er unmöglich entlaufen konnte. Den folgenden Tag wurde sein Herr berichtet und dieser ließ ihn holen. Sein Schicksal hatten ihm unsere Cabokeln bereits vor Augen geführt, indem sie, während er im Tronk lag, neben ihm Cajambolen spielten, und den Eingefangenen immer tüchtig durchprügelten. — Beim Einfangen des Unglücklichen hatte sich der schlechteste unserer Neger ausgezeichnet, der selbst stiehlt, was ihm unter die Hände kommt. Er hielt vor allen andern den Cajambolen-Neger fest, und rief stets: Que diabo, furtar as Senior gallinios e porcos, welcher Teufel, unserm Herrn Hühner und Schweine stehlen! Nachdem der Eine gefangen, fühlte sich die Bande in unserer Nähe unsicher und zog sich weg. Unter ihren Laubdächern im Walde fanden nachher Nägeli und ich ihre Bogen und Pfeile, große Knittel, Pfeifen und Taback und viele andere zurückgelassene Sachen. Dergleichen Geschichten gehen mir nahe, und ich bin froh, wenn ich nächstens von allem Umgang mit Schwarzen wegkomme, und mich ausschließlich mit Naturwissenschaften beschäftigen kann. —

Der Wunsch kommt zu spät zu Euch; indeß ist er zur Zeit ausgesprochen und geht von Herzen: Alles Glück zum neuen Jahr! Euer:

J. Ch. Heußer


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