Brief Nr. 52 – 23.8.1856
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52 23.8.1856
[Zürich, 23. August 1856]

Heute Abend gehe ich wieder nach Uster,
und nächste Woche treffen mich Briefe
sicher wieder in Uster.

Liebe Mama!

Seit Mittwoch war ich mit Wethli von Uster abwesend, um die Bahn von Rüti gegen Rapperschwyl hin auszustecken, und bin erst heute nach Zürich gekommen. Hier höre ich, daß ein Brief für mich nach Uster abgegangen ist, wahrscheinlich mit der Aufforderung morgen zum Krähhahnen343Zürcher Bezeichnung für das Erntedankfest.schliessen nach Hause zu kommen. Dies ist mir unmöglich, nicht physisch, sondern innerlich. Wenn ich das nächste Mal nach Hause komme, so muß ich aufgeräumt und lustig sein, damit der Alte glaubt, daß ich bei der Reise günstige Aussichten habe. In diesen Tagen bin ich aber zu aufgeregt, weil Hanni morgen zum letzten Mal nach Rapperschwyl schreibt, und meinen Brief zurückfordert, oder eine endliche Antwort.

Was ich im letzten Brief geschrieben, kann ich nach den Erfahrungen der letzten Woche mehr als bestätigen; [S.2] ich bin nach wenigen Wochen ein gemachter Ingenieur,344Heusser erkennt hier erstmals seine reellen zukünftigen Berufschancen als Vermessungsingenieur. Dank diesem Beruf ist er schliesslich in Argentinien ein reicher Mann geworden.schliessen und ich würde keine Professur gegen ein Leben voller Bewegung und voll von den Reizen eines interessanten und reichen, aber wenig bekannten Landes, wie mir dasselbe in Brasilien bevorsteht, tauschen. Ich bin auch überzeugt, daß, wenn einmal der Faden ganz abgeschnitten ist, ich bald zufrieden und in meiner neuen Laufbahn glücklich sein werde. Ich hatte auch die letzte und im Anfang dieser Woche keinen andern Gedanken als an Brasilien, und war glücklich dabei. Nun, da ich weiß, daß noch dieser letzte Schritt geschieht, bin ich wieder in einer Aufregung, die mich nicht Schinken und Küchli essen, überhaupt nicht ruhig am Krähhahnentisch sitzen ließe. — Bei der ganzen Art des Benehmens des Alten ist es möglich, daß er die Schuld meines Nicht-Erscheinens auf Euch wirft; ich gebe dir für diesen Fall Vollmacht, ihm die volle Wahrheit zu sagen. Er würde dann auch umso weniger gegen die Brasilianer-Reise einzuwenden haben, wenn er überhaupt etwas dagegen einzuwenden hat, was ich nicht weiß, da ich den in Uster liegenden Brief noch nicht gelesen habe.

Grüßend:
J. Ch. Heußer.
Samstag Abend


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