Brief Nr. 18 – 9.8.1849
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18 9.8.1849
[Berlin, 9. August 1849]
Liebe Mama!

Ich konnte Euren Räthen nicht folgen; für Euch kann, das weiß ich nichts Schlimmeres herauskommen; es kann höchstens Alles gleich bleiben, oder aber besser werden. Was mich betrifft, so hatte ich noch keine Ruhe seit ich in Berlin war; es muß nun einmal heraus! Falls ich wieder Medizin studiren sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, dann muß es besser geworden sein! Falls ich dies nicht thue, so gehe ich wahrscheinlich nach Amerika, und diesen Schritt kann ich doch bei Gott nicht thun, ohne vorher mit dem Vater, den ich dann wohl nicht mehr sehe, noch einmal ohne Furcht gesprochen zu haben! — Wenn also aus der Medizin Nichts wird, so werde ich jedenfalls aus des Vaters Geld nicht weiter studiren, sondern entweder sogleich eine Stelle in der Schweiz annehmen, wenn ich eine bekomme (ich habe darüber an Fisch geschrieben) oder dann in Amerika mein Glück suchen. Dein Vorschlag an Shaaf175Philip Schaff (1819-1893), einflussreicher Theologe und seit 1844 am Seminar der deutschreformierten Kirche in Mercersburg in Pennsylvania, war ein treuer Freund von Meta Heusser. Vgl. M. Heusser, Hauschronik, S. 124-128 und R. Schindler, Memorabilien, S. 258-267.schliessen zu schreiben ist vortrefflich; schon lange giengen mir Pläne im Kopf herum, nach Amerika zu bummeln, und wenn ich gar eine Stelle kriegen könnte, das wäre famos! Schreibe also, so bald als [S.2] möglich an Shaaf: ich verstehe ziemlich viel Mathematik, etwas Chemie und Physik und habe Gymnasialbildung; eine sehr günstige Stellung verlange ich nicht, wenn ich mich dabei nur einige Zeit durchbringen kann; unterdessen mache ich mich mit den amerikanischen Verhältnissen vertraut, benutze einmal eine Gelegenheit und kaufe eine Farmerei, d.h. werde Bauer und realisire so das Ideal meiner Jugend; dies steckt mir immer noch im Kopf, ich weiß wohl, welche Sehnsucht darnach mich ergriff, als ich vor einem Jahr den großen landwirthschaftlichen Gewerb des Direktor Zahn bei Meurs sah. — Ich wünsche also vor der Hand in Amerika Nichts als eine Stelle, bei der ich existiren kann; kann ich dabei etwas vorschlagen, dann um so besser für meine Farmerei. Welcher Art die Stelle ist, ist mir am Ende ganz gleichgültig; in Amerika genire ich mich gar nicht, treibe Alles mit den Händen oder dem Kopf, was mich zum Ziel führt. Wenn also Shaaf auch nicht eine Lehrstelle, sondern irgend eine Stelle weiß, die ein gebildeter Mann versehen kann, oder am Ende auch nur ein Mann mit einem gesunden starken Körper, so werde ich sie annehmen, und wenn Du durch ihn Nachrichten über Clima, Fruchtbarkeit und solche Punkte seiner Gegend (in welcher Provinz existirt er eigentlich?) [S.3] erhalten kannst, dann ist es famos! — Mit solchem Wonnegefühl hat noch keiner Europa verlassen, wie ich es verlassen werde! Ich bin schon lange ganz todt, und habe schon vor deinem Briefe nur dann aufgelebt und mich wieder Jüngling gefühlt, wenn ich an Amerika dachte; nun ist der Funke erst zur Flamme geworden! Ich schwärme für den Gedanken und daß ich dabei nicht leicht in des Vaters Pläne wieder eingehe, werdet Ihr begreifen; dagegen muß ich ihn und Euch doch noch sehen!

Letzten Sonntag wurde ich zum Mittagessen zu Fr. Pastor Zahn176Cleophea Zahn-Schlatter, die Schwester von Anna Zahn.schliessen [aus]177Siegelausriss.schliessen Pommern eingeladen, die mit zwei Knaben der Tochter auf der Heimreise vom Rhein her begriffen war; auch der älteste Sohn, der hier jus studirt, war dabei; sie war freundlich und artig, ist übrigens Deutsche geworden und läßt Euch grüßen, wie ich auch!

J. Chr. Heusser.
Berlin den 9t. Aug. 49.

Wenn die Äga recht thut, so darf sie zu mir nach Amerika kommen! Es lebe Amerika!



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