Jakob Christian Heusser – Briefe an die Familie

Brief Nr. 2a – 10.12.1847
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2a 10.12.1847
[Berlin, 10. Dezember 1847]

[Anfang fehlt] [...] ich eben Ingenieur, wozu ich keine so lange Studienzeit mehr bedürfte; an Lust dazu fehlt es mir durchaus nicht, nur würde ich jedenfalls lieber bei der reinen Wissenschaft bleiben, die ich erst im rechten Lichte kennengelernt und lieb bekommen habe, seit ich diese Docenten höre und arbeite; denn letzteres thue ich, ich bin höchstens alle 14 Tage einen Abend mit den Schweizern zusammen, und bin Abends bis 10 oder 11, und morgens um 5 oder 6 Uhr wieder auf. Das ist wahr, es ist famos, ein Studium mit Lust zu betreiben, und es fällt mir nicht im geringsten schwer das Theater und die Geschichten zu vermeiden; aber das ist sicher, daß ich wenigstens in den nächsten Semestern noch keine Stunden gebe auf Unkosten des Studiums, das mir ohnehin nur noch für kurze Zeit zugemessen ist; und wenn Papa25Johann Jakob Heusser (1783-1859) war erfolgreicher Arzt in Hirzel und überzeugt davon, dass seine beiden Söhne auch Ärzte werden müssten. Mit wiederholten Drohungen, kein Geld mehr zu schicken suchte er Christian zur Rückkehr zum Medizinstudium zu zwingen. Die ständigen Druckversuche überschatteten die ganze Studienzeit Christian Heussers in Berlin.schliessen kein Geld mehr schicken will, so schicket mir nur keine Empfehlungsbriefe [S.2] an Zahn, wie ich sie im andern Brief verlange; dann müssen die 200 Fr. von Wädenschweil26Eine Grosstante väterlicherseits hatte in Wädenswil gewohnt. Zu Beginn der Hauschronik, S. 23 weist Meta Heusser auf diese Verwandtschaft hin: "Sie war die Grossmutter jenes Vetter Pfister in Wädenschweil...." Es muss sich um eine Erbschaft von dieser Seite handeln.schliessen mit den 150 jetzt bezogenen Thalern mich hinhalten bis nächsten Herbst; über den Winter werde ich auch noch kommen, und dann komme ich nur umso balder heim; dann muß er aber auch noch einmal die Wahrheit hören! Daß er den Radikalen spielt gleicht ihm, es ist jetzt nichts mehr zu verdienen in den kleinen Cantonen!

Mir fehlte Nichts in Berlin, wenn ich nicht immer heim denken müßte, dies habe ich übrigens auch gethan, ehe ich durch eure Briefe erfuhr, daß es wo möglich noch schlechter stehe bei euch als irgend einmal. — Das wenige, was ich erlebte, ist im andern Brief aufgezeichnet, und wie es in meinem Innern aussieht, wißt Ihr jetzt ungefähr. Von weitern Plänen kann ich natürlich noch Nichts schreiben; von meinen spe[S.3]ciellen Collegien, die euch aber nicht sehr interessiren können, werde ich ausführlicher an Hr. Pfarrer schreiben, an den ich euch verweise; wenn es mir jetzt nicht mehr möglich ist, so grüßt mir ihn, und saget ihm, jenes Versprechen habe ich nicht vergessen und das nächste Mal werde ich ihm also schreiben. — Wann das nächste Mal ist, kommt auf Papa an, schreibet mir jedenfalls, wann er es wagt einen Brief zu erwarten; vielleicht ist ihm dieser schon zu nahe. Mir war es wirklich auch zu nahe; der Brief muß sonderbar aussehen, ich wollte doch, ich könnte ihn einmal objektiv nicht nur subjektiv ansehen, besonders am Ende das "I weuschi au es guts, gsegnets u.s.w."27"Ich wünsche euch ebenfalls ein gutes, gesegnetes [Jahr]."schliessen Steif und geschraubt wird es sein, aber ich kann Nichts dafür.

Was den Umgang mit Rose betrifft, so kann ich in Beziehung auf meine Studien davon noch Nichts sagen; es könnte vielleicht etwas dabei herauskommen; indeß muß ich erst noch näher bekannt sein; daher ist es auch besser, ich schreibe an Hr. Pfarrer erst etwas später.

Wo existirt Theodor und was macht er? Ist etwas Neues los? Ich hoffe doch gehörige Nachrichten zu erhalten, wenn ich auch Nichts zu schreiben weiß.

[S.4] Wenn jener stud. theol. Peter wieder kommt, so sagt, das Heft hätte ich auf dem Caffé Münsterhof abgegeben; wahrscheinlich aber hat er es bereits. Ich habe zwar das Berlinerleben noch nicht genossen, aber es mag sein, wie es will, mein Leben möchte ich da nicht zubringen. Es giebt nur Eine Schweiz, nur Ein Zürich, nur Einen Hirzel!

Den letzten Abend des Jahres werde ich allein zu Hause zubringen, und nach Hause denken, und zwar an die obere Stube und nicht an die untere rechts; denkt dann auch an Euren:

J. Chr. Heusser, stud. phil.

Diese Papiere gelten Allen, die sich um mich kümmern;

Ich grüße Alle, ohne Jemanden zu nennen.

NB. Wenn Theodor einmal zurück ist, und Bobrik28Eduard Bobrik (1802-1870), seit 1833 Prof. für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der neu gegründeten Universität Zürich. HBLS II, S. 282, sowie E. Gagliardi, Die Universität Zürich, S. 152-155. Bei Bobrik hatte sich Christian während der schwierigen Diskussionen mit dem Vater im Sommer 1847 noch Rat geholt. Vgl. Brief Nr. 16 (17. 7. 1849).schliessen besuchen wollte, wäre es doch recht; ich werde ihm aber jedenfalls auch einmal schreiben.

NB. Hanni!29Johanna Louise Heusser (1827-1901), seit 1852 verheiratet mit Johann Bernhard Spyri, die spätere Schriftstellerin Johanna Spyri, war die Schwester, die Christian am nächsten stand.schliessen Wenn, was mir zwar nicht wahrscheinlich scheint, Du diesen Winter wieder einen Ball besuchen, und jenen Baenziger30Im WS 1846 ist Theodor Baenziger (1828-1898) als Medizinstudent an der Universität Zürich immatrikuliert: Matrikeled. der Universität Zürich 1833-1924.schliessen treffen solltest, so mache den Fehler von vor einem Jahr wieder gut; es ist einer meiner besten Freunde, mit dem ich noch die letzten Tage vor meiner Abreise bei einem andern Studenten Wild,31Karl Wild (1827-1872) von St. Gallen studierte 1845 bis 1848 in Zürich Medizin, war später Arzt in St. Gallen. Matrikeled. der Universität Zürich 1833-1924.schliessen den du vielleicht auch treffen wirst, in St. Gallen zugebracht habe. Natürlich schrieb ich im letzten Brief Nichts davon; es waren aber noch famose Tage!


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