Jakob Christian Heusser – Briefe an die Familie

Brief Nr. 8 – 20.-23.9.1848
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8 20.-23.9.1848
[Berlin, 20-23. September 1848]
Liebe Eltern!

Gestern, den 19t. Sept. kam ich von meiner Ferienreise wieder in Berlin an; und habe nun auch wirklich meine alte ehrwürdige Pathin103Helene Schöne-Wichelhausen (*1766), die Schwester von Johann Wichelhausen, war verheiratet mit Christian Hermann Schöne, Bürgermeister von Bremen. Bei Christian Heussers Besuch war seine Patin 82 Jahre alt.schliessen in ihrem Bremen nochmals gesehen, und zwar trotz ihres hohen Alters noch rüstig und munter; doch ich will nicht mit Bremen anfangen, wohin ich erst am Ende meiner Reise kam, sondern vorher etwas erzählen von meinen Wanderungen durch Deutschland, die mich auch zu einem günstigeren Urtheil über dessen Gauen veranlaßten, indem ich allerdings auch durch liebliche und sogar wunderschöne Gegenden kam, und einsehen konnte, daß man allerdings von Brandenburg aus nicht auf ganz Deutschland schließen kann. Als ich von Berlin verreiste, hatte ich eine ungeheure Sehnsucht, wieder einmal Berge zu sehen, und entschloß mich daher, zunächst den Thüringerwald zu bereisen; ich fuhr also mit der Eisenbahn über Magdeburg und Halle nach Jena; in Magdeburg hielt ich mich zwei Tage auf bei einem gewissen Wolff, stud. phil. Verwandter von Zschokke von Aarau den ich durch diesen in Berlin hatte kennen lernen. Magdeburg, durch die vielen geschichtlichen Erinnerungen merkwürdig und ehrwürdig, liegt, wenn auch noch in der Ebene, doch schon in freundlicher fruchtbarer Gegend, die durch schöne Eichenwälder und die Elbe, die hier schon ein mächtiger Strom ist, einen eigenthümlichen Reiz erhält. Auch die ungeheuren Festungswerke, die bis jetzt noch nie mit Gewalt erstürmt wurden, indem Magdeburg unter Tilly und Napoleon durch Verrath fiel, waren mir sehr interessant zu sehen. — In Halle suchte ich Fäsi stud. theol. von Zürich, Neffe von Dekan Fäsi104David Fäsi (1764-1849) war seit 1829 Pfarrer in Richterswil und seit 1831 erster Dekan des neuen Kapitels Horgen. Zürcher Pfarrerbuch S. 263.schliessen in Richterschweil auf, er begleitete mich dann bis Jena, wo wir mehrere Schweizer trafen, bei denen wir uns einige Tage aufhielten; Jena liegt schon rings von Bergen eingeschlossen in einem freundlichen Thal, hat aber weiter keine Merkwürdigkeiten als die Erinnerung an den Sieg Napoleons 1806, und an ein verschwundenes blühendes Universitätsleben. Von Jena aus reiste ich nun zu Fuß einige Tage durch den Thüringerwald [S.2] über Cahla, Rudolstadt, Schwarza, Schwarzburg, Weissbach, Steinach nach Coburg hin; ich traf hier wirklich romantische Parthien; der Weg führt längs der Schwarza, einem Zufluß der Saale, hinauf bis zu deren Ursprung auf den Höhen des Thüringerwaldes; dann führte mich der Weg einige Stunden auf der Höhe des Gebirges hin und dann längs der Steinach, die nach Süden dem Main zufließt, hinunter dem südlichen flachen Lande zu; auf dieser Tour hatte ich zugleich Gelegenheit einige Residenzen solcher kleinen deutschen Fürsten, wie Rudolstadt, Schwarzburg, Coburg, kennen zu lernen; es sind ganz unbedeutende Städtchen in fruchtbaren, freundlichen Thälern, in denen aber außer dem Schloße des betreffenden Fürsten, das von einem nahen Hügel aus die Stadt beherrscht, kaum ein einziges rechtes Haus zu sehen ist. Die ganze Bevölkerung dieses Thüringerländchens gefiel mir übrigens sehr wohl; sie ist natürlich, einfach, gemüthlich, und das Reisen durch diese Gegend auch sehr billig, da eben sehr wenig Fremde hierher kommen. Von Coburg gieng ich durch das ungeheuer fruchtbare Baiern nach Würzburg hin, um da wieder einmal einige meiner alten Zürcher Freunde zu sehen; da mich Hanewinkel von Bremen, der jetzt auch in Würzburg studirt, einlud, in einem seiner zwei Zimmer zu logiren, so blieb ich 8 Tage lang in Würzburg und machte mich ungeheuer fidel mit meinen alten Bekannten, einem Zürcher (Pestalozzi),105Möglicherweise Hermann Pestalozzi (*1826), der Mediziner wurde. Vgl. Brief Nr. 20 (4. 10. 1849) und Zürcher Bürgerbuch 1845ff.schliessen 2 St.Gallern, und einem Schwyzer (Faßbindt). Würzburg selbst bietet nichts Merkwürdiges, als ausgezeichnet guten und billigen Wein und ebenso Bier. Von Würzburg aus begleitete mich ein St.Galler (Sonderegger106Jakob Laurenz Sonderegger (1825-1896) wurde Arzt in St. Gallen und wichtiger Vorkämpfer der Hygiene-Bewegung. Meta Heusser erwähnt ihn in der Hauschronik, S. 100, als Studienfreund Christians, der an seinem Schicksal in Brasilien sehr Anteil genommen habe. SL 5, S. 850.schliessen aus dem Rheinthal) an den Rhein und bis nach Kölln. Ein zweiter Begleiter war ein Burkhard107Wahrscheinlich Jakob Burkhard von Richterswil (*1828). Er studierte 1846-1848 Philologie an der Universität Zürich und ging anschliessend nach Heidelberg: Matrikeled. der Universität Zürich 1833-1924.schliessen von Richterschweil, der in Heidelberg jus studirt und auch auf einer Ferienreise nach Würzburg gekommen war. Wir fuhren auf dem Dampfschiff den Main hinunter nach Frankfurt, wo ich gern Erzherzog Johann und die St. Paulskirche gesehen hätte, was aber unmöglich wurde, da es gerade Sonntag war, und länger bleiben mochte ich in Frankfurt nicht, da ich mich vor einem Jahr bei der Durchreise nach Berlin hier einige Tage aufgehalten habe. Wir fuhren also sogleich weiter mit der Eisenbahn nach Mainz, wo ich zum ersten Mal den Rhein außerhalb der Schweiz sah, und mich kaum [S.3] satt sehen konnte an dem majestätischen Strom. Mainz selbst wimmelt von preußischem und östreichischem Militär als Bundesfestung, bietet aber sonst nichts Merkwürdiges. Von Mainz nun fuhren wir mit dem Dampfschiff auf diesen schweizerischen Wellen hinunter nach Coblenz durch den berühmten Rheingau, der auch mit Recht seinen Ruf verdient. Von Mainz bis Bingen hat man die lieblichsten Ufer, die man sich denken kann, sonnige Hügel, an denen die herrlichen Rheinweine wachsen, und auf welchen stolze Landhäuser prangen, unter denen sich am meisten der Sitz Metternichs, das Schloß Johannisberg auszeichnet. Bei Bingen, wo der eigentliche Rheingau beginnt, werden die Hügel höher und schroffer zu beiden Seiten und drängen den Rhein in ein etwas engeres Bette; zu beiden Seiten erheben sich auf den Hügeln und Felsen Schlösser theils als Ruinen, theils neu aufgebaut; kurz diese Parthie von Bingen bis Koblenz ist wunderschön; In Koblenz kamen wir am Abend an und bestiegen dann noch die Festung Ehrenbreitenstein, von wo man eine herrliche Aussicht hat theils auf die Berge des Rheingaus, theils auf den untern Lauf des Rheins, der sich unterhalb Koblenz wieder in einem weitern Bette durch die Ebene fortbewegt. Am folgenden Tage fuhren wir wieder mit dem Dampfschiff weiter gegen Bonn hin, und bestiegen noch etwas oberhalb Bonn einen Ausläufer des Siebengebirgs, den sogenannten Drachenfels, der seiner schönen Aussicht wegen berühmt ist. Nach Osten sieht man nach dem höhern Gipfel des Siebengebirgs, zu Füßen des ziemlich steilen Berges hat man den Rhein, in dessen Mitte sich hier eine große fruchtbare Insel erhebt; weiter unten am Rhein findet sich nun keine Spur mehr von einem Hügel, so daß der Lauf des großen Stromes dem Auge bis an den Horizont hin sichtbar ist. Diese Aussicht ist wirklich wunderschön, aber so total anders, als alle Schweizergegenden, daß sie sich gar nicht mit einander vergleichen lassen. In Bonn trafen wir einen einzigen Schweizer, den wir aber nicht kannten, aber am folgenden Morgen, als wir das Dampfschiff nach Kölln besteigen wollten, kam noch einige Minuten vor der Abfahrt Lange108Friedrich Albert Lange (1828-1875) war der Sohn des Professors für Theologie und Philosophie Johann Peter Lange (1802-1884). Er besuchte das Gymnasium in Zürich gleichzeitig wie Christian Heusser, studierte dann in Bonn und wurde 1870 Professor für Philosophie an der Universität Zürich. Vgl. E. Gagliardi, Die Universität Zürich, S. 643 und 700f.schliessen von Zürich, der in Bonn Philologie studirt, zufällig an den Rhein hin; wir kannten ihn sogleich und freuten uns über sein Schweizer-Deutsch, das [S.4] er in Bonn noch nicht vergessen hat. — In Kölln dann war es natürlich unser Erstes den Dom zu besehen, der auch unsere Erwartungen nicht nur befriedigte, sondern übertraf; ein Riesengebäude, das gewiß noch Jahrhunderte auf seine Vollendung warten muß. Die Höhe des Schiffs d.h. desjenigen Theils, der jetzt fertig ist, kann man besteigen und übersieht von da einen Wald von Thürmen, von denen je drei auf einer Capelle stehen, die selbst größer sind als bei uns eine gewöhnliche Kirche; diese Capellen sollten rings um das ganze Schiff herum gehen, sind aber auch erst so weit fertig, als das Schiff selbst; von den zwei Haupt-Thürmen, die 500 Fuß hoch werden sollen, ist erst der eine bis zu einer Höhe von 250 Fuß gebracht und der andere noch gar nicht angefangen. Unstreitig hat mir dieser Dom, obgleich er seiner Vollendung noch so ferne steht, am besten gefallen von allen Werken der Architektur, oder ich kann sagen der Kunst überhaupt, die ich je gesehen. Von der Stadt Kölln selbst sahen wir weiter Nichts, da es stark regnete. In Kölln nun verließen mich meine Begleiter und ich reiste nun allein mit der Eisenbahn über Düsseldorf nach Barmen und wurde auch von Frau Klein-Schlatter109Christine Klein-Schlatter (1811-1895) war von Jugend auf mit Meta Heusser befreundet: vgl. M. Heusser, Hauschronik, S. 64, und R. Schindler, Memorabilien, Stammbaum der Familien Schlatter-Bernet und SS. 189-193, und 291f.schliessen sehr freundlich aufgenommen und blieb zwei Tage dort. Von Röhrigs Nachkommen sah ich keine, da die Töchtern sämtlich an Pastoren verheirathet sind und die beiden Söhne im Kriege in Schleswig-Holstein waren, wo Gustav sich ausgezeichnet hatte und avançirt war. Wie gesagt blieb ich da noch 2 Tage in Barmen, da Frau Klein mich freundlich einlud zu bleiben und mir das Wupperthal sehr wohl gefiel; es ist etwa 1½ bis 2 Stunden lang, aber der ganzen Länge nach so von Häusern besetzt, daß Elberfeld und Barmen zusammen eigentlich nur Eine Stadt bilden. Zu beiden Seiten ist dann das Thal von lieblichen grünen Hügeln eingeschlossen. — Von Barmen fuhr ich mit der Eisenbahn zurück nach Düsseldorf und von da zu Fuß, 7 Stunden weit, nach Meurs, wo ich ebenfalls sehr freundlich aufgenommen wurde und auch 2 Tage blieb. Diese Schwester110Anna Zahn-Schlatter (1800-1853) war verheiratet mit Franz Ludwig Zahn (1798-1898), vgl. R. Schindler, Memorabilien, Stammbaum der Familien Schlatter-Bernet.schliessen gefiel mir besser als die in Barmen, da sie noch mehr Schweizerin ist, während jene vollkommene Preußin geworden ist. - Von Meurs hatte ich noch [S.5] 2 Stunden bis Duisburg, wo ich mich Nachts um 12 Uhr auf die Eisenbahn setzte um in aller Schnelle das langweilige Hannover zu durcheilen; am folgenden Tag kam ich um 2 Uhr in Bremen an, traf in der Stadt Niemanden und begab mich noch denselben Abend auf das Landgut, wo Frau Bürgermeister und Frau Pastor Noltenius111Therese Auguste Noltenius-Schöne (*1791) war die Tochter von Helene Schöne-Wichelhausen und verheiratet mit Pastor Bernhard Noltenius. Zwei ihrer Söhne erwähnt Christian, ohne ihre Vornamen zu nennen.schliessen den Sommer zubringen. Den ersten Abend war ich noch etwas genirt trotz des freundlichen Empfanges von Fr. Bürgermeister und von Fr. Past. N.; am folgenden Tage fühlte ich mich aber bald heimisch, indem Fr. Bürgermeister noch so lebendig und aufgeweckt ist, daß man mit ihr über Alles sprechen kann. So kam es dann auch, daß ich 6 Tage in Bremen zubrachte, und meine alte Pathin ihrer Persönlichkeit wegen noch so liebgewann, wie ich sie früher lieb hatte, wenn das Neujahrsgeschenk anrückte. Den Morgen brachte ich gewöhnlich auf ihrem Landgute zu; wenn die Sonne schien, so spazierte Frau Bürgermeister im Garten, bei schlechterem Wetter saßen wir in der Stube; und ich mußte Nachricht geben, soviel ich wußte, von allen Bekannten von Fr. Bürgermeister aus Zürich. Nach dem Essen legte sie sich dann etwas zu Bette; und ich gieng dann in die Stadt hinein, wo ich einige Bekanntschaften machte. In der Stadt selbst ist übrigens außer dem Rathhaus nicht viel Merkwürdiges. Abends gieng ich dann mit dem jüngern Sohn von Frau Pastor Noltenius, der regelmäßig die Nacht in dem Landgut Lankenau zubringt, dahin zurück. Den Sonntag, welchen ich in Bremen zubrachte, fuhren wir, d.h. Frau Bürgermeister, Fr. Past. N., deren beiden Söhne und ich nach einem auf der andern Seite der Stadt gelegenen Landgut zu einem Senator Ulrichs; es war hier eine große Gesellschaft beisammen, in der ich mich etwas genirte; ich wurde zwar natürlich auch freundlich empfangen, Alles fragte nach Dir, liebe Mama, und Deinen Gedichten, aber es war mir unter diesen Consuln und Senatoren etwas zu vornehm; es war da eine Mittagstafel mit Südfrüchten und amerikanischen Produkten besetzt, von denen ich noch keine gesehen hatte. — Einen andern Tag fuhren Frau Past. N. und ihr jüngerer Sohn mit mir auf dem Dampfschiff die Weser hinunter nach Blumenthal, einem freundlich gelegenen Dörfchen [S.6] wo die eine Tochter112Katharina Noltenius (1819-1858) war seit 1844 verheiratet mit Pastor Cornelius Rudolf Vietor. Vgl. R. Schindler, Memorabilien, Stammbaum der Familie Wichelhausen.schliessen von Frau Past. N. an einen Pastor113Pastor Cornelius Rudolf Vietor (1814-1897) regte später Johanna Spyri zum Schreiben an: vgl. R. Schindler, Spurensuche, S. 170-175.schliessen verheirathet ist. Somit war der alte Plan, meine Pathin nochmals in Bremen zu besuchen, realisirt; sie gab mir beim Abschied noch 3 doppelte Friedrichsdor (30 Thlr.) nebst der freundlichen Einladung, sie, wenn sie noch lebe, wieder zu besuchen. — Von Bremen fuhr ich nun nach Bremerhafen die Weser hinunter, machte aber von der Mitte der Fahrt aus noch einen kleinen Abstecher nach dem einige Stunden entfernten Oldenburg; es ist hier ungeheuer fetter Marschboden mit herrlichen grünen Wiesen, die ich mit den schönen Heerden von Kühen, Schaafen und Pferden einmal sehen wollte; es ist hier eben schon ganz dieselbe Gegend wie in Holland, dessen Viehzucht ja fast so berühmt ist wie die Schweizerische. In Oldenburg besuchte ich dann schnell Frau Pastor Koch114Elisabeth Koch-Schulthess war die Witwe von Pastor Johann Koch (1794-1842); die Familie Koch lebte in Oldenburg und hatte enge Beziehungen zur Familie Wichelhausen: vgl. R. Schindler, Memorabilien, S. 42.schliessen und deren Schwester Frau Ramshauer, von welchen beiden ich Grüße auszurichten habe. Von da gieng es also nach Bremerhafen, wo ich zum ersten Mal Meerschiffe sah; Bremerhafen liegt zwar noch nicht am Meer selbst, die Weser ist aber da so groß, daß die größten Schiffe so weit fahren können. Wegen des gerade abgeschlossenen Waffenstillstandes mit Dänemark waren gerade eine Menge Kauffahrteischiffe und solche, die Auswanderer, die massenhaft in Bremen liegen, holen sollten, in den Hafen eingelaufen. Am meisten staunte ich ob einem amerikanischen Dampfschiff, einem der größten, das überhaupt jetzt existiren soll; Ihr könnt Euch von dessen Größe einen Begriff machen, wenn ich Euch sage, daß das Rohr desjenigen Dampfschiffs, auf welchem wir zu dem Riesendampfschiff hinfuhren — es lag nämlich in der Mitte der Weser vor Anker — kaum so hoch war als der Räderkasten des großen Dampfschiffs. Entsprechend der Größe desselben ist die Pracht, mit der die Kajüten und überhaupt das Innere desselben ausgeführt war; ich habe noch in keinem Privathaus solchen Luxus gesehen, wie in diesen Dampfschiffräumen. In Bremerhafen logirte ich eine Nacht bei einem Pastor Dreier, der vor 17 Jahren einmal im Hirzel war; ich hatte eine Empfehlung an ihn von Frau Past. Noltenius; und dieser Pastor Dreier [S.7] gab mir dann wieder eine Empfehlung an einen andern Pastor Menken,115Dieser Pastor Menken ist nicht zu verwechseln mit Gottfried Menken (1768-1831), der in der Familie Wichelhausen eine wichtige Rolle gespielt hatte.schliessen die mir sehr zugute kam. Ich wollte nämlich von Bremerhafen nach Ritzebüttel, einem Ort am Einfluß der Elbe ins Meer, um von dort die Elbe hinauf nach Hamburg zu fahren; die Entfernung von Bremerhafen nach Ritzebüttel ist etwa 8 Stunden und auf der ganzen Strecke ein einziges Dorf, in welchem jener Pastor Menken ist; es ist nämlich ganz unfruchtbare Gegend, der Anfang der Lüneburger Haide. Ich verreiste an einem schönen Morgen von Bremerhafen, wurde aber nach zwei Stunden von einem ungeheuren Regen überfallen und hatte in der Haide, wo Nichts wächst, als nur kleines Kraut, nicht einmal einen Baum zum Schutze. Ganz durchnäßt kam ich dann, nachdem ich einige Stunden im Regen gegangen war, bei jenem Pastor an, und war froh, daß man mir die Kleider trocknete und mich einlud, den Nachmittag und die Nacht bei ihnen zu bleiben. Am folgenden Tag kam ich dann glücklich nach Ritzebüttel und somit zum ersten Mal ans Meer. Von da fuhr ich mit einem der 3 Kriegsdampfschiffe, die Hamburg gegen Dänemark ausgesandt hatte und das nun wieder zurückkehrte, nach Hamburg hinauf. Passagiere fuhren zwar nicht mit, sondern nur Militär, aber ein Officier, den ich darum gebeten, hatte mich mitgenommen. Das Schiff war mit 5 großen Kanonen beladen, überhaupt auch ein gewaltiges Dampfschiff, machte aber doch, nachdem ich jenes amerikanische gesehen hatte seiner Größe wegen keinen besonderen Eindruck auf mich. In Hamburg traf ich dann zwar eine größere Masse von Schiffen, einen wirklichen Wald von Mastbäumen, aber keine so großen einzelnen Schiffe wie in Bremerhafen; sonst bot mir Hamburg, als Handelsstadt nicht viel Merkwürdiges; der neue Jungfernstieg ist durch seine neuen Paläste großartiger und schöner als irgend ein Stadttheil Berlins, die Umgegend ist sehr freundlich, Hügel mit schöner Aussicht auf die Elbe und überhaupt fruchtbare Gegend. Am 19t. Sept. setzte ich mich dann auf die Eisenbahn, die mich in 9 Stunden wieder nach Berlin brachte. Hier waren während der ganzen Zeit meiner Abwesenheit wieder große Unruhen gewesen, nach denen ich mich aber nicht näher erkundigte, weshalb ich auch jetzt Nichts darüber schreiben kann; hoffentlich wird es im Winter endlich wieder einmal ruhig werden.

[S.9] Geld habe ich zwar noch, etwa bis zum Anfang des Wintersemesters, also nicht mehr so viel, um dann noch die Collegien zu belegen; und da ich vor dem Beginne derselben nicht mehr schreiben werde, so muß ich also jetzt gleich wieder um Geld bitten. — Die Wohnung habe ich beibehalten, da mir die Wirthin während meiner 5-6 wöchentlichen Abwesenheit von Berlin den Zimmerzins heruntersetzte, und sonst eine ehrliche Frau ist, während ich bei einer Wohnungsänderung wieder zu einer Mogelantin hätte kommen können, wie letzten Winter.

Ich muß nochmals bitten, falls jener Kubler, von dem ich im letzten Brief schrieb, nicht nach Berlin kommt, mir jene Bücher schleunigst zu schicken; ich brauche sie.

Grüßet mir Alle Verwandten und Bekannten und seid selbst herzlich gegrüßt
von Eur. tr. Sohn: J. Chr. Heußer.
Berlin den 23t. Sept. 48

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