31.3.1804
Morgens kam die Gemeine wieder zusamen, nemlich nur die Rotte; u. beharrete auf ihrem gestrigen Begehren: der Gemeindrath fiel, um die Sache zuverzögern, auf den Einfall, Deputirte in einige Gemeinen zuschiken, um sich zuerkundigen, was sie thun, u. wie sie sich bey den Aufforderungen des Willis1980
Nachmittag kam alt Richter Höhn zu Kalbisau1981
Ich gieng nun an mein Studieren; es war bald 5 Uhr: nicht lange war ich allein, so kame die l[iebe] Mamma1982
Ich faßte Muth, u. sagte zu Höhn: ich wolle gern Wein hergeben, so viel sie wollen, u. auch etwas Geld, das ich zwar kaum entbehren köne: indeß soll er sein Möglichstes thun, daß diese Ordre nicht vollzogen werde. In banger Erwartung harrete ich noch ¼ Stunde, wo Hürlimann kam u. mir eröfnete –"es sey für ihn u. mich traktirt, wir müßen zusamen 4 Nthlr1987
Da Hürlimann fort war, dankte ich mit den Meinen unserm Gott höchlich, daß Er dies Gewitter so gnädig von mir abgewendet! Nach 6 Uhr postirte sich das Militair zum Abmarsch, nach dem es aus unserm Keller 25 Mß1989
Während dem Nach[t]essen erhielten wir die Nachricht, die willische Horde habe Befehl erhalten, aus einander zugehen: wirklich kamen die Hirzler, die der Hauffe, der hier war, mit sich fortnahm, wieder zurük; u. das machte uns Hofnung auf eine ruhige u. stille Nacht – die auch wirklich erfolgte.
Johann Jakob Willi (1772-1804), geb. in Horgen, Schuster, dann Soldat in spanischen und französischen Einheiten, 1801 Rückkehr nach Hause, Führer im Bockenkrieg; HBLS VII, 544; Leuthy, Vollständige Geschichte von dem Bockenkrieg, 201; Graber, Zeit des Teilens, 310.schliessen
benehmen. Dies ward angenohmen u. vollzogen. Nachmittag kam alt Richter Höhn zu Kalbisau1981
Jakob Höhn, Alt-Richter, 1803 zum Gemeinderat gewählt; in Meta Heusser-Schweizers Hauschronik wird Höhn viel positiver dargestellt, als "ehrenwerter, braver Mann. von Herzen Patriot", der dem Pfarrer in seinem Haus Asyl anbietet, um ihn vor den Aufständischen zu beschützen (Hauschronik, 47f.). Schweizer dagegen präsentiert ihn als Kritiker des städtischen Straffeldzugs gegen das Land.schliessen
zu mir, u. redte mit mir über alles, u. schien sein Herz einmal gegen mich leeren zuwollen. Er sagte unter anderm: "Ob das nicht auch wieder alle Weisheit u. Menschlichkeit seye, ein gedrüktes Volk, das nur Belehrung suche, mit den Canonen zum Gehorsam zuzwingen?" Belehrung, sagte ich, hat man dem Volk durch die Deputierten, die die Huldigung hätten einnehmen sollen, geben wollen; aber diese Belehrung schluge das Volk aus, verstopfte seine Ohren, u. fieng eine förmliche Rebellion an: u. wie könen Rebellen anders zu Paaren getrieben werden, als durch scharfe Maaßregeln? u.s.f. noch sagte mir Höhn, der Gemeindrath seye bey einander, um das Militair [89] zu dem willischen Korps zu organisieren; sie haben hierin der Gemeine nachgeben müssen; weil der Gemeindrath stark gedrohet sey, u. auch mir – u. damit verließ er mich. Ich gieng nun an mein Studieren; es war bald 5 Uhr: nicht lange war ich allein, so kame die l[iebe] Mamma1982
Schweizers Gattin Anna (Nette), geb. Gessner (1757-1836).schliessen
zu mir u. sagte: "es ist fremdes Militair angelangt, u. postirt sich um die Kirche u. um unser Haus herum."1983Siehe zum folgenden Geschehen die – wiederum abweichende – Schilderung Meta Heusser-Schweizers in der Hauschronik, 34ff. u. 55.schliessen
Ach Herr Jesus! sagte ich, du theüres Herz! das gilt ganz gewiß mich, das ist hierher geschikt, um mich wegzunehmen. – Es währte nicht langte,1984Verschrieb für: lange.schliessen
so hohlte man Wein bey uns für dies Militair. Ich bethete nun zu meinem Gott aus der Tiefe meines Herzens, daß Er – Er mich aus den Händen dieser Rotte erlöse! u. meine Lieben betheten mit mir. Bald dann kam obiger Höhn zu mir, u. zeigte mir an, "daß dies Militair aus jedem Haus, wo 2 Waafenfähige Männer seyen, einen fordere; u. dann habe es Ordre, den Gemeindammann Hürlimann1985Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802, ab 1803 Gemeinderat und Friedensrichter.schliessen
u. mich mit sich auf Horgen zunehmen; ich soll aber nur nicht stark erschreken, es sey mit dem Offizier schon so viel als traktirt;1986verhandelt, ausgehandelt.schliessen
freylich koste es Wein u. etwas Geld." Ich faßte Muth, u. sagte zu Höhn: ich wolle gern Wein hergeben, so viel sie wollen, u. auch etwas Geld, das ich zwar kaum entbehren köne: indeß soll er sein Möglichstes thun, daß diese Ordre nicht vollzogen werde. In banger Erwartung harrete ich noch ¼ Stunde, wo Hürlimann kam u. mir eröfnete –"es sey für ihn u. mich traktirt, wir müßen zusamen 4 Nthlr1987
4 Neutaler = 8 Gulden = 320 Schilling.schliessen
geben, u. der Mannschaft noch mehr Wein." Nun, Gottlob! sagte ich, daß dieser fürchterliche Schritt hat erwehrt werden könen! es ist, sagte Hürlimann, eine Machenschaft vom Huber,1988Jakob Huber im Feld, der Anführer von Schweizers Gegnern; vgl. Hauschronik, 43f., 51f.schliessen
der hat diese verruchte That mit dem Willi bey der Tannen, wo er immer ist, planisirt. Nun ja, erwiederte ich, es ahnete mir immer; daß ich bey dieser Rebellion gegen die Regierung nicht leer auskommen werde. Da Hürlimann fort war, dankte ich mit den Meinen unserm Gott höchlich, daß Er dies Gewitter so gnädig von mir abgewendet! Nach 6 Uhr postirte sich das Militair zum Abmarsch, nach dem es aus unserm Keller 25 Mß1989
25 Mass Wein = 37,5 l.schliessen
Wein getrunken hatte: u. nun erst, da es fort war, ward mir wieder leicht um's Herz, u. konte meinem Gott frolokend danken. Ich sahe keinen von ihnen, es sollen 30 Mann gewesen seyn; auch fragte mir keiner eigentlich nach: nur einer soll unsern Knecht, der sich in diesem Fall meisterlich gehalten, gefragt haben: "was macht der Herr Pfarrer? hat er keine Zeit zu uns zukommen? Wir thun ihm nichts; nur muß er auch ein wenig gezeichnet seyn: u.s.f." Während dem Nach[t]essen erhielten wir die Nachricht, die willische Horde habe Befehl erhalten, aus einander zugehen: wirklich kamen die Hirzler, die der Hauffe, der hier war, mit sich fortnahm, wieder zurük; u. das machte uns Hofnung auf eine ruhige u. stille Nacht – die auch wirklich erfolgte.
Dem Herrn sey ewig Lob u. Dank gesagt!
Dies ist das Ende dieses Monats: ach möchte das das End alles Jammers u. Elends, aller aüßern u. innern zerrüttung u. Unordnung in unserm armen zertrennten Canton seyn! Herr mein Gott! erbarme Dich unsers Volkes, u. laß ihns1990Mundartl. für: es.schliessen
zur Ordnung u. Ruhe zurük kehren! ––
