29.3.1805
Wenn ich auch je in meinem Leben sicher u. gewiß Briefe von unserm Georg2571
Nun verdross es mich noch mehr, daß Georg mir heüte nichts geschrieben. Hat er dann auch seit Montag kein halb 4telstündgen gefunden, mir zumelden, wie seine Unterredung mit Hrn. Chorh. Hottinger abgelaufen sey? kan er sichs denken, daß diese Sache mich nun weiter nicht intreßire, u. es mir gleich sey, ob ich in einem Briefe von einem Chorherrn an einen öffentlichen Pfarrer in der Stadt so geschildert werde, wie Hottinger mich in seinem Brief an Georg schildert? warlich, diese Unachtsamkeit, ich will es izt nur so nennen, begreiffe ich nicht. Ueberhaupt aüssert u. zeigt der l[iebe] Georg seit einiger Zeit wenig Liebe gegen uns: er scheint Vorurtheilen wieder uns in sich Plaz zugeben, u. damit schadet er auf alle Seiten mehr, als er sichs izt denkt. Er hascht nach Christen in der Ferne, u. vernachlässigt die in der Nähe. Und will damit sich Ruhm erhohlen. Nun, er erhasche ihn, u. er wird ihm in der Hand wie ein Rauch vergehen. Es wird gewiß etwas begegnen, das ihn zu uns wieder hintreiben wird. Wir fügen uns in Alles, u. wollen in Allem nichts, als, was der Herr will. Ich mache nun nichts, u. schweige, bis er wieder Laut giebet: u. wie der ausfallt, so werd ich wieder antworten.
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner u. der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
erwartet habe, so geschah' es heüt, denn mich plangete,2572Mundartl. für: verlangte.schliessen
von ihm inne zuwerden, wie er mir meinen Brief vom lezten Samstag aufgenohmen, u. was er auf diesen Brief hin mit Chorh. Hottinger2573Johann Jakob Hottinger (1750-1819), Sohn des Pfarrers von Ossingen, Philologe und Schriftsteller, ord. 1769, studierte in Göttingen, wurde in Zürich 1773 Prof. der Eloquenz am Carolinum, 1776 der Geschichte, 1789 der alten Sprachen am Collegium humanitatis und 1796 Chorherr; gehörte wie seine Lehrer "zu den humanistisch-rationalistischen Vertretern der Zürcher Aufklärung" (Wehrli), polemisierte gegen den Sturm und Drang und das Genie-Wesen, war Mitherausgeber an Wielands Neuem attischen Museum und den Zürcherischen Beiträgen zur wissenschaftlichen und geselligen Unterhaltung; HBLS IV, 297; Wehrli, Das geistige Zürich, 358.schliessen
angefangen habe. Allein, kein Jota Antwort erhielt ich heüte von ihm: u. das verdroße mich. Nur die l[iebe] Bäbe2574Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
schrieb mir dieses: "Ich weiß nun seit Montag nichts mehr von der dummen Hottinger Geschichte. Mein Mann brachte deinen Brief selbst dem l[ieben] Georg, u. der freüte sich der Unbefangenheit, mit der du sagst, du wißest von dieser Geschichte nur kein Wort, u.s.w. u. sagte – er gehe Nachmittag selbst zu Hottinger. Was dieser nun dazu sagte, das wißen wir nicht, obschon Georg u. Jaque2575
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn des Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; vgl. Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
am lezten Mittwoch mit uns zu Mittag aßen. Aber, sie kommen eben so späthe, u. gehen wieder so bald weg, daß es aus aller Unterhaltung nicht viel giebt. Deine Bemerkung über Georgen Briefe war auch die unsre; was uns wirklich weehe that. wenn Hägi2576Hans Rudolf Hägi, Harüti, Stillständer im Hirzel; mit Pfr. Schweizer verfeindet, weil dieser in einer Predigt den in einen Schlaghandel verwickelten Neffen Hägis angeprangert hatte; vgl. Tagebuch vom 16., 20. u. 21.1.1805.schliessen
der ist, der schwazte, oh so ist er ein erzfataler Mensch geworden."Nun verdross es mich noch mehr, daß Georg mir heüte nichts geschrieben. Hat er dann auch seit Montag kein halb 4telstündgen gefunden, mir zumelden, wie seine Unterredung mit Hrn. Chorh. Hottinger abgelaufen sey? kan er sichs denken, daß diese Sache mich nun weiter nicht intreßire, u. es mir gleich sey, ob ich in einem Briefe von einem Chorherrn an einen öffentlichen Pfarrer in der Stadt so geschildert werde, wie Hottinger mich in seinem Brief an Georg schildert? warlich, diese Unachtsamkeit, ich will es izt nur so nennen, begreiffe ich nicht. Ueberhaupt aüssert u. zeigt der l[iebe] Georg seit einiger Zeit wenig Liebe gegen uns: er scheint Vorurtheilen wieder uns in sich Plaz zugeben, u. damit schadet er auf alle Seiten mehr, als er sichs izt denkt. Er hascht nach Christen in der Ferne, u. vernachlässigt die in der Nähe. Und will damit sich Ruhm erhohlen. Nun, er erhasche ihn, u. er wird ihm in der Hand wie ein Rauch vergehen. Es wird gewiß etwas begegnen, das ihn zu uns wieder hintreiben wird. Wir fügen uns in Alles, u. wollen in Allem nichts, als, was der Herr will. Ich mache nun nichts, u. schweige, bis er wieder Laut giebet: u. wie der ausfallt, so werd ich wieder antworten.
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