27.11.1802
Gleich am Morgen wurden wir inne, daß die Gemeine heüte um 9 Uhr gehalten werde. Vor ihr kame der l[iebe] Hürlimann noch zu mir: ich sagte, die Spizer836
Die hiessigen Gemeinsbürger versammelten sich nun nach u. nach bey der Kirche: der Unterstadthalter kam aber erst um halb 11 Uhr; er verfügte sich mit der Munizipalität in die Kirche, u. so auch alle anwesenden Bürger. Ab Spizen kam keiner, u. auch viele der Bessern waren nicht da. Da soll der Unterstadthalter erst allerley Dekrete über den Zehnden837
Nach ein Uhr kamen zween Abgeordnete, der Agent838
Meine Lieben erschraken sehr, giengen unter die Fenster, u. sahen mir nach, u. blieben da, bis ich wieder zurük kam.
Da ich die Kirche betratt, stand die Gemeine vor mir: ich stellte mich beherzt u. Muthvoll neben den Unterstadthalter: der redte mich so gleich folgender Maaßen an:
"Die gegenwärtige Gemeine seye um meinetwillen versammelt: ich werde vom B[ürger] Reg. Stadthalter Instruktionen bekommen haben wie er, die gleich lauten, u. die er der Gemeine vorgelegt habe. Die Munizipalität, u. mit ihr 103 /er deütete hier mit dem Finger auf ein Nammensverzeichniß, das ich gar wohl mit meinen Augen vor mir auf dem Tisch ligen sahe/ unterzeichnete Gemeinsbürger glauben indeß, daß ein Pfarrer wie ich sey, nicht mehr predigen dürfe: sie erwarten allso, daß ich bis Austrag der Sache einen Vikar auf meine Kösten bestelle: ich werde mirs zu keiner Ehre rechnen, wenn ich durch französisches Militair in meinen Pfarrverrichtungen sollte unterstüzt werden."
Laut u. vernehmlich antwortete ich ...
"Ich habe diese Woche dem B[ürger] Reg. Stadthalter eine Schrift überreicht, die die Geschichte des vorigen Sontags in sich enthält: ich fügte folgende zwo Bitten bestimmt bey. 1) mich in meine vorige Ruhe zu versezen, daß ich ungestört, ungehindert, u. unangefochten meine Pfarrgeschäfte in u. ausser dem Hause verrichten könne. u. 2) meine l[iebe] Gemeine mit Exekutionstruppen zuverschohnen, u. die Ungehorsamen unter ihnen auf jede andere ihm beliebige Weise zur Respektirung seiner Befehle anzuhalten. Ich deklarire allso vor ihm – dem B[ürger] Distriktstadthalter u. vor sämtlichen gegenwärtigen Gemeinsbürgern, daß ich mir meine Kanzel weder von der Gemeine, noch von einer Gemeinsbehörde nemmen lasse: daß mir die nur von der Behörde genohmen werden köne, die sie mir gegeben. Ich habe Instruktion, in allen meinen pfarramtlichen Verrichtungen fortzufahren: ich werde allso Morgen predigen: wenn ich daran gehindert werde, so habens die zuverantworten, die sich wieder mich auflehnen." Und damit wollte ich mich entfernen.
Allein, wer aus seiner Fassung gebracht ward – das war der Distriktstadthalter Aeschmann: der scheint, ehe er in die Gemeine kam, mit der Munizipalität u. mit den Cheffs meiner Gegner einen Plan entworfen zuhaben, den ich merkte, u. durch den sie mich in die Schlinge jagen wollten. Ganz unerwartet war dem Stadthalter meine Aüsserung: er rafte sich zusamen, u. gebott mir sehr ernstlich, zubleiben: "ich solle Respekt vor ihm haben: er stelle die Person des Reg. Stadthalters vor." O, sagte ich, soviel er wolle: ich höre weiter an, was er zusagen habe. Dann wandte er sich an die versammelten Gemeinsbürger, u. sagte denen mit verbissenem Ingrimm:
"Er wisse, daß ich Instruktion habe zupredigen: er wolle mich allso daran nicht hindern, u. alle Gemeinsbürger ermahnt haben, still u. ruhig zuseyn: wenn sie mich nicht wollen predigen hören, so können sie ja daheim bleiben: die über mich Klagenden sollen ihre Klagpunkte am gebührenden Orte eingeben."
[46] "Nun ja, erwiederte ich, das ist recht, das begehre ich: ich werde mich verantworten, wo mir gerufen wird." u. damit verabscheidete ich mich beym Stadthalter, gienge allein aus der Kirche, wo mir einige im Vorbeygang leise zuriefen – Insurgent!841
Aus all dem zeiget sich, daß diese Unterschrift erstürmt, erdrohet, erfluchet worden: u. viele befinden sich darunter, die – nach Schuhlmeisters Ausdruk den Bissen Brodt von mir noch im Maul gehabt.845
Bewohner von Spitzen; politisch bis 1878 zu Wädenswil, kirchlich seit 1617 zum Hirzel gehörig.schliessen
gehören absolut an diese Gemeine, es wäre mir lieb, wenn es ihnen Jemand sagen liesse: er versprach mir dafür zusorgen. So dann bath ich ihn, wenn er merke, daß vor der Gemeine ein Stimmenmehr zu meiner Entfernung aufgenohmen werde, so soll er dagegen protestiren, weil keine Gemeine befugt sey, ihren Pfarrer wegzuwählen. auch das versprach er mir. Die hiessigen Gemeinsbürger versammelten sich nun nach u. nach bey der Kirche: der Unterstadthalter kam aber erst um halb 11 Uhr; er verfügte sich mit der Munizipalität in die Kirche, u. so auch alle anwesenden Bürger. Ab Spizen kam keiner, u. auch viele der Bessern waren nicht da. Da soll der Unterstadthalter erst allerley Dekrete über den Zehnden837
Damals wieder neu eine heiss umkämpfte Frage, die durch Teuerung und Wirtschaftskrise noch verschärft wird; vgl. Graber, Zeit des Teilens, 244, 259.schliessen
u. andere Sachen verlesen haben, u. dann erst zur Hauptsache geschritten seyn: die scharfe Zuschrift des Reg. Stadthalters, die er ganz verlaße, soll guten Eindruk auf die Gemeine u. besonders auf meine Gegner gemacht haben. Wir warteten bis halb 1 Uhr, ob der Stadthalter vielleicht mit uns zu Mittag eßen werde: allein die Gemeine dauerte immer fort: u. bald nahmen wir wahr, daß Tisch, Stühl, Papyr u. Schreibzeüg in die Kirche getragen wurde, u. da sahen wir wol, daß es auf ein Stimmen sammeln abgezielt seye. Nach ein Uhr kamen zween Abgeordnete, der Agent838
Grob auf dem Zimmerberg, der Agent (Regierungsvertreter in der Gemeinde).schliessen
u. der Praesident der Munizipalität839Jakob Grob (1750-1809), Zimmerberg, Präsident der Munizipalität ab 1802, 1803 in den Grossen Rat (Kantonsrat) gewählt.schliessen
zu mir ins Pfarrhaus mit dem Auftrag: "Der B[ürger] Unterstadthalter hätte gern, wenn ich in die Kirche käme." "Ja freylich, erwiederte ich, wenn ich ohne Insülten840Von frz. insultes: Beleidigungen.schliessen
dahin kommen u. daselbst seyn kan." Sie versprachen mir allen Schuz. Ich gienge mit ihnen. Meine Lieben erschraken sehr, giengen unter die Fenster, u. sahen mir nach, u. blieben da, bis ich wieder zurük kam.
Da ich die Kirche betratt, stand die Gemeine vor mir: ich stellte mich beherzt u. Muthvoll neben den Unterstadthalter: der redte mich so gleich folgender Maaßen an:
"Die gegenwärtige Gemeine seye um meinetwillen versammelt: ich werde vom B[ürger] Reg. Stadthalter Instruktionen bekommen haben wie er, die gleich lauten, u. die er der Gemeine vorgelegt habe. Die Munizipalität, u. mit ihr 103 /er deütete hier mit dem Finger auf ein Nammensverzeichniß, das ich gar wohl mit meinen Augen vor mir auf dem Tisch ligen sahe/ unterzeichnete Gemeinsbürger glauben indeß, daß ein Pfarrer wie ich sey, nicht mehr predigen dürfe: sie erwarten allso, daß ich bis Austrag der Sache einen Vikar auf meine Kösten bestelle: ich werde mirs zu keiner Ehre rechnen, wenn ich durch französisches Militair in meinen Pfarrverrichtungen sollte unterstüzt werden."
Laut u. vernehmlich antwortete ich ...
"Ich habe diese Woche dem B[ürger] Reg. Stadthalter eine Schrift überreicht, die die Geschichte des vorigen Sontags in sich enthält: ich fügte folgende zwo Bitten bestimmt bey. 1) mich in meine vorige Ruhe zu versezen, daß ich ungestört, ungehindert, u. unangefochten meine Pfarrgeschäfte in u. ausser dem Hause verrichten könne. u. 2) meine l[iebe] Gemeine mit Exekutionstruppen zuverschohnen, u. die Ungehorsamen unter ihnen auf jede andere ihm beliebige Weise zur Respektirung seiner Befehle anzuhalten. Ich deklarire allso vor ihm – dem B[ürger] Distriktstadthalter u. vor sämtlichen gegenwärtigen Gemeinsbürgern, daß ich mir meine Kanzel weder von der Gemeine, noch von einer Gemeinsbehörde nemmen lasse: daß mir die nur von der Behörde genohmen werden köne, die sie mir gegeben. Ich habe Instruktion, in allen meinen pfarramtlichen Verrichtungen fortzufahren: ich werde allso Morgen predigen: wenn ich daran gehindert werde, so habens die zuverantworten, die sich wieder mich auflehnen." Und damit wollte ich mich entfernen.
Allein, wer aus seiner Fassung gebracht ward – das war der Distriktstadthalter Aeschmann: der scheint, ehe er in die Gemeine kam, mit der Munizipalität u. mit den Cheffs meiner Gegner einen Plan entworfen zuhaben, den ich merkte, u. durch den sie mich in die Schlinge jagen wollten. Ganz unerwartet war dem Stadthalter meine Aüsserung: er rafte sich zusamen, u. gebott mir sehr ernstlich, zubleiben: "ich solle Respekt vor ihm haben: er stelle die Person des Reg. Stadthalters vor." O, sagte ich, soviel er wolle: ich höre weiter an, was er zusagen habe. Dann wandte er sich an die versammelten Gemeinsbürger, u. sagte denen mit verbissenem Ingrimm:
"Er wisse, daß ich Instruktion habe zupredigen: er wolle mich allso daran nicht hindern, u. alle Gemeinsbürger ermahnt haben, still u. ruhig zuseyn: wenn sie mich nicht wollen predigen hören, so können sie ja daheim bleiben: die über mich Klagenden sollen ihre Klagpunkte am gebührenden Orte eingeben."
[46] "Nun ja, erwiederte ich, das ist recht, das begehre ich: ich werde mich verantworten, wo mir gerufen wird." u. damit verabscheidete ich mich beym Stadthalter, gienge allein aus der Kirche, wo mir einige im Vorbeygang leise zuriefen – Insurgent!841
Frz.: Aufständischer.schliessen
ich musste über dies Wort bey mir selbst lachen: denn kein Mensch kan weniger in diesem Sinn ein Insurgent genannt werden, als ich: indeß deütete dies Wort weiter, als wir nicht wussten, wie es sich hernach zeigen wird. Da ich auf den Kirchhof kam, sah ich meine Lieben noch alle an den Fenstern: ich winkte ihnen zu, daß mir nichts begegnet sey, u. eilte zu ihnen; herzlich empfiengen sie mich zurük, u. da ich ihnen erzählte, was vorgefallen, lobeten sie mit mir unsern Gott, der mir so mächtig beygestanden, u. in der Gemeine der Gottlosen mich gestärkt hatte. Ich sezte mich so gleich wieder an den Tisch, u. aß mein übriges Mittagessen, während dem ich alles erzählte, was in der Kirche mit mir vorgefallen. Wir sahen, daß es ein mit der Munizipalität angelegter Plan des Stadthalters gewesen, mich zuüberschleichen oder in Furcht zujagen, daß ich einen Vikar stelle. Ordre zur Aufnehmung eines Nammensverzeichnisses hatte er nicht: Hauser842Hans Heinrich Hauser wird 1803 Präsident des neuen Gemeinderats.schliessen
sagte mir diesen Nachmittag: "Die Zuschrift des Reg. Stadthalters seye brav, u. sie habe alle Guten gefreüt, hingegen meine Gegner sehr erschrekt: da seye der Unterstadthalter mit dem angezogen gekommen – daß das nichts sey, daß nur zween die Klageschrift unterzeichnet haben: so bringen sie mich nicht fort: es müßen sich mehrere unterschreiben: u. da seye der Lerm angegangen: er u. Hürlimann843Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802, ab 1803 Gemeinderat und Friedensrichter.schliessen
u. einige andere haben sich wiedersezt, aber vergebens, die Rotte erzwangs: u. um viele zureizen, habe der Agent u. die Munizipalität sich oben angeschrieben: wenn nur einer aus einer Haushaltung da gewesen, so habe er so gleich entweder seinen Vater oder seine Brüder aufschreiben [müssen]: es seyen auch viele aufgeschrieben, die nur nicht einmal da gewesen: Huber844Jakob Huber im Feld, der Anführer der Gegner von Pfarrer Schweizer; vgl. Hauschronik, 43f., 51f.schliessen
habe sich so gleich geaüßert – "wer sich nicht unterschreibe, der seye ein Meineid. Daß ich mich durch dieses Verzeichniß nicht habe erschreken lassen, sondern beherzt u. Muthvoll vor der Gemeine geredet habe, das habe die Bessergesinten alle sehr gefreüt: u.s.f." Aus all dem zeiget sich, daß diese Unterschrift erstürmt, erdrohet, erfluchet worden: u. viele befinden sich darunter, die – nach Schuhlmeisters Ausdruk den Bissen Brodt von mir noch im Maul gehabt.845
Frisch Konfirmierte, die erstmals das Abendmahl erhalten hatten.schliessen
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