26.4.1803
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Dienstag den 26
Erzählte ich nach der Kirche diesen Vorfall dem Schuhlmeister:1229
Hans Heinrich Strikler, Schulmeister und Gemeindeschreiber (Secrétair) im Hirzel, aktiv von 1785-1810, dann von seinem Sohn Jakob abgelöst; vgl. Hauschronik, 49.schliessen
der fieng fürchterlich an darüber zujammern: das sey ja schreklich, auf dem Todbeth den Pfarrer – den Seelsorger wegzuschiken: u.s.f. Nach 11 Uhr kam er ins Pfarrhaus, u. sagte:
"Des Praesidenten1230
Von mundartl. "'s Präsidente"; die Frau od. Angehörige des Präsidenten (Grob).schliessen
haben soeben eine Frau an ihn geschikt mit der Bitte, daß er zu mir ins Pfarrhaus gehe, u. mir sage – es seye ihnen herzlich leid, was gestern vorgefallen; ich solle ihnen verzeihen, u. ihre kranke Tochter besuchen, wann ich wolle, doch würde es sie freüen, wenn es bald geschähe, weil sie schwache."
Nun, sagte ich zum Gv. Schuhlmeister, das freüt mich in der Seele, u. ich bin froh, daß ich diesen Vorfall noch Niemandem als ihm erzählt habe: es soll nun weiter kein Mensch etwas davon inne werden: er soll ganz vergessen werden: u. wenn es je das Wetter zulasse, so wolle ich heüte noch die Kranke besuchen.
Dies rührte den Schuhlmeister so, daß er zuschluchzen anfieng: ich glaube, er fürchtete, ich werde es abschlagen – so wenig kennet man uns u. unsern christlichen Sinn.
Nachmittag gieng ich dann wirklich zu der Kranken. Die Mutter, da sie mich kommen sah, kam mir zur Hausthür entgegen, bott mir freündlich die Hand, u. führte mich in die Wohnstube, bathe mich, da niederzusizen, u. sie setzte sich zu mir, u. fieng so an zu reden ...
Ich soll es ihnen doch verzeihen, was gestern vorgefallen; sie seyen über meine Gegenwart sehr betroffen gewesen: sie haben ihrer Tochter noch kein Wort vom Tode sagen dürfen; sie habe immer die Hofnung gehabt, wieder auf zukommen; u. erst gestern habe der Doktor sagen laßen, daß sie sterben werde, u. ihr End nahe sey: u. das haben sie ihr nun heüt Morgen entdekt, u. sie gefragt, ob sie mich nun nicht begehre; worauf sie geantwortet, Ja freylich, man solle den Pfarrer nur hohlen; wenn sie das gestern schon gewusst hätte, sie hätte mich nicht fortgehen laßen.
Ueber all das bezeügte ich meine Freüde, u. aüßerte den Wunsch, die Kranke nun zusehen. Die Mutter führte mich zu ihr hin: sie lag in einem Krankensessel; so gleich reichte sie mir die Hand, hieß mich willkommen, u. sagte mit schwacher Stimme: ich soll ihr verzeihen: wenn sie gestern gewusst hätte, was ihre Aeltern ihr heut Morgen gesagt, daß sie nemlich sterben müsse, sie hätte mich nicht fortgelaßen. ich sagte ihr – wir wollen das nun vergeßen; ich freue mich izt nur deßen, daß ich sie noch sehen u. mit ihr reden könne: u. fienge dann wirklich über ihren nahen Tod an reden; in was für Absichten sie zu bedauren sey, daß sie so frühe sterben müsse: in was für Absichten sie aber auch zu beglükwünschen sey, daß sie so frühe heimgehen könte, lenkte dann nach u. nach ein, u. redte mit ihr von der Lage, in der man allein wohl u. selig sterben köne; wiese sie auf Gott als ihren Schöpfer u. Wohlthäter, u. auf Jesum Christum als ihren Erlöser u. Erbarmer, bathe sie, sich dem zu übergeben u. auf seine Gnade fest zuvertrauen: fienge dann mit ihr an bethen, wo sie aber bald einschlummerte, so daß sie nicht mehr zuzuhören schien. Ich saß noch eine Weile still bey ihrem Beth, u. seüfzte für sie zu meinem Gott: sie erwachte wieder, aber sie war zu schwach, um etwas zureden: ich machte ihr auch weiter keine Mühe: nach einigen Trostworten, die ich zu ihr sagte, verabscheidete ich mich bey ihr: sie reichte mir die Hand, u. blikte mich weehmüthig an: sagte aber weiter kein Wort.
Die Mutter hatte inzwischen ein Kaffe machen laßen: ich ließ mich wieder meine Gewohnheit bereden, mit ihr zureden: sie thate izt gerade so freündlich gegen mich, wie sie gestern unfreündlich thate. Bald nahm ich auch von ihr Abschied: u. auf'm Heimweg fiel mir das wort ein, das heüt Vormittag meine Nette.1231
Anna Schweizer, geb. Gessner (1757-1836), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, verh. 1785 mit Diethelm Schweizer; vgl. Hauschronik, 30, 32-34, 91, 139f.schliessen
immer sagte: "weßen Wege dem Herrn gefallen, dem versöhnet er seine Freünde1232
Muss heissen: "Feinde"; das Wort Salomos, Spr. 16,7, zitiert Schweizer auch im Tagebuch vom 18.1.1805.schliessen
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Heüt Mittag um 12 Uhr marschirten die französischen Truppen, die seit dem 15 dies[es Monats] hier waren, wieder ab:1233
Ein Brief des Kleinen Rates vom 25. April 1803 betr. Abzug der Exekutionstruppen befindet sich im Nachlass; FA Schweizer/Heusser, D II 9a (Original) u. b (Abschrift); ebenso der Begleitbrief von Adjunkt Landis, D II 10.schliessen
der Offizier kam noch zu uns, um Abschied zunehmen: so gleich organisirte die Munizipalität eine Gemeinwache für den Tag 2, u. für die Nacht 14 Mann. Es wird sich nun zeigen, wie die Gemeine ihr Versprechen halte.
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