24.3.1801
Aus einem Brief an meine Schwester Cleve609
Cleophea Grombach, geb. Schweizer, Tochter des Hans Ulrich und der Anna Margaretha Schweizer-Schulz, Lieblingsschwester von Diethelm Schweizer (geb. 1759), verh. 1787 mit Johann Grombach, gebürtig aus Frauenthal bei Ansbach, 1786 als Geselle bei Schneidermeister Obermann an der Badergasse in Zürich; Hauschronik, 28; FA Schweizer/Heusser A II 131-143: Cleve an Diethelm Schweizer, 21.4.1785-12.12.1787; A II 162-163: Johann M. Grombach an Diethelm Schweizer, 28.11. u. 26.12.1786; Stammbaum Schweizer im Begleitbuch zur CD.schliessen
in Deütschland.610Der Brief antwortet auf den im FA Schweizer/Heusser überlieferten Brief von Cleve an ihren Bruder (A II 160), in dem sie sich besorgt zeigt, in diesen unruhigen Zeiten lange nichts mehr von ihrem Bruder gehört zu haben. Aus der Zeitung habe sie vom Tode Lavaters erfahren.schliessen
"Seit der schweizerischen Revolution hat es Niemand schlimmer als die Pfarrer, da durch die Zehndenaufhebung611
Unser ganzes Vaterland ist theils durch die Revolution, die alles Ehevorige niederriß und zerstörte, theils durch den Krieg, der in seiner Mitte geführt worden, wo Zürich zum 2ten Mal bestürmt u. eingenommen ward, jämmerlich mitgenohmen u. verwirrt.
Da constituirt u. dekretirt man immer Einheit, u. sieht nicht, daß das liebe Einheitskind von keiner Erden-Menschenregierung konstituirt u. dekretirt werden kan, sondern von oben herab in die Menschen gesendet werden muß. Aber von daher will man es nicht: Nein, die hochaufgeklärte revolutionaire Vernunft solls gebähren – u. sie mag es nicht! u. da ist ein ewiges Getreib, um Geburtshelfer zubekommen, die aber samt u. sonders weiter nichts vermögen, als zusprechen – "So will ichs! So solls seyn! Die Schweiz soll ein Einheitssystem haben!" u. die Herzen der Schweizer sind aus einander gejagt wie noch nie, und haben damit alle Einheitskraft, d. h. alle Vereinigungskraft verloren.
Nur Einer kan uns noch helfen: u. der wirds gewiß thun, wenn wir genug gedeemüthigt u. gelaütert sind: u. die, die bethen könen, im Gebeth zu Ihm unabläßig verharren."
In der Zehntenfrage verdichteten sich mehrere geschichtliche Prozesse, ökonomisch die wirtschaftliche Befreiung der Bauern, ihr volles Verfügungsrecht über den Boden, dann aber auch die Kapitalisierung der Landwirtschaft und die Modernisierung des Steuersystems, politisch das Auftreten der Bauern als politischer Kraft, die in der Zehntenfrage zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in den politischen Prozess eingriffen. In den helvetischen Kammern und in der Öffentlichkeit wurde die Zehntenfrage lange kontrovers diskutiert, bis es am 10.11.1798 im zweiten Anlauf gelang, ein Zehntgesetz durch beide Kammern zu bringen. Das Gesetz schaffte den kleinen Zehnten entschädigungslos ab, der grosse Zehnt konnte mit zwei Prozent des Grundstückwerts losgekauft werden. Grundzinsen in natura sollten mit dem 15fachen Betrag, solche in Geld mit dem 20fachen Betrag abgelöst werden. Die Ausführung des Gesetzes scheiterte einerseits am administrativen Aufwand (Verzeichnen und Schätzen aller Grundstücke), andererseits am Ausbruch des 2. Koalitionskriegs. In den österreichisch besetzten Gebieten wurde der Zehnt sogleich wieder eingeführt; viele Bauern hingegen versuchten sich der Ablieferung des Zehnten überhaupt zu entziehen. Die allmähliche Rekantonalisierung in der späteren Helvetik führte zu kantonal unterschiedlichen Lösungen, die von der Bauernschaft z.T. erbittert bekämpft wurden, in der Waadt etwa im Bourlapapey-Aufstand oder in den Baselbieter Zehntunruhen. Auch in Zürich kam es in der Phase der Staatsstreichregierung von Oktober 1801 bis April 1802 unter Statthalter Reinhard zur Wiedereintreibung der Zehnten und als Folge davon zu Unruhen in verschiedenen Gebieten des Kantons; Handbuch der Schweizer Geschichte II, 817-820; Graber, Zeit des Teilens, 193-216.schliessen
beynahe all ihr Einkommen hingenohmen worden ist; u. die Regierung, die es über sich nahm, die Pfarrer zu salariren, immer zu wenig Geld hat. Unser ganzes Vaterland ist theils durch die Revolution, die alles Ehevorige niederriß und zerstörte, theils durch den Krieg, der in seiner Mitte geführt worden, wo Zürich zum 2ten Mal bestürmt u. eingenommen ward, jämmerlich mitgenohmen u. verwirrt.
Da constituirt u. dekretirt man immer Einheit, u. sieht nicht, daß das liebe Einheitskind von keiner Erden-Menschenregierung konstituirt u. dekretirt werden kan, sondern von oben herab in die Menschen gesendet werden muß. Aber von daher will man es nicht: Nein, die hochaufgeklärte revolutionaire Vernunft solls gebähren – u. sie mag es nicht! u. da ist ein ewiges Getreib, um Geburtshelfer zubekommen, die aber samt u. sonders weiter nichts vermögen, als zusprechen – "So will ichs! So solls seyn! Die Schweiz soll ein Einheitssystem haben!" u. die Herzen der Schweizer sind aus einander gejagt wie noch nie, und haben damit alle Einheitskraft, d. h. alle Vereinigungskraft verloren.
Nur Einer kan uns noch helfen: u. der wirds gewiß thun, wenn wir genug gedeemüthigt u. gelaütert sind: u. die, die bethen könen, im Gebeth zu Ihm unabläßig verharren."
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