24.1.1801
erhielt ich von der th[eüren] Frau Pfr. Lavaterin561
Auf der hintern Seite ward von Lavatern geschrieben:
Dies Denkmal von dem theüren Seligen soll mir theüer und heilig seyn: oft will ichs hervor langen; u. des lieben schreibenden Hand soll Ihn selbst mir vorstellen u. mich neü seine Liebe u. Freündschaft genießen laßen.
Um dies Denkmal an einem zweiten Ort aufzubewahren, will ich die Billieth hier abschreiben: die meisten sind vom Brach- u. Heüm[onat] 1797 datirt: Sie lauten allso ...
O Seliger! oft umschweb' Er mich, u. hauche mich an, wenn ich nach Geistigkeit lechze!
Anna Lavater, geb. Schinz (1742-1815), Tochter von Hans Caspar Schinz, Kaufmann u. Obervogt zu Weinfelden, Gattin von Johann Caspar Lavater.schliessen
ein Päkgen, das enthielt ein Umschlag, auf dessen Vorderseite von dem theüren Lavater geschrieben ward: 25
Billieth562
Die "Billets" nehmen die Tradition von Lavaters "Vermischten Gedanken – zur Prüfung – und zur Übung unsers Nachdenkens" wieder auf, die er in den 70er Jahren begonnen hatte, als seine wachsende Korrespondenz es ihm nicht mehr erlaubte, allen seinen Freunden einzeln zu antworten (vgl. Georg Gessner, Johann Kaspar Lavaters Lebensbeschreibung, II, 146). Er nannte sie "Manuscript für Freunde" und liess einige davon auch drucken. Als aber davon öffentlicher Gebrauch gemacht und einige gar nachgedruckt wurden, hörte er damit wieder auf. Im Nachlass Schweizer haben sich zwei handgeschriebene Heftchen aus der frühen Zeit erhalten; FA Schweizer/Heusser, A I 1-2.schliessen
an
einen Freünd
nach meinem Tode.
Zusamen gelegt
im Julius 1797.
Auf der hintern Seite ward von Lavatern geschrieben:
An Herrn Pfarrer Diethelm Schweizer
29 1 1798.
[29] Dies ist allso ein Vermächtnis des theüren Seligen an mich – schon vor 3 Jahren für mich gesammelt u. zusammen gelegt: ein Beweis, daß der Liebe schon lange an seinen Tod gedacht habe. Segne Ihn – mein Gott dafür, daß Er etwas Schriftliches an mich nebenbey gelegt hat, damit ichs nach seinem Tod in die Hände bekäme! Dies Denkmal von dem theüren Seligen soll mir theüer und heilig seyn: oft will ichs hervor langen; u. des lieben schreibenden Hand soll Ihn selbst mir vorstellen u. mich neü seine Liebe u. Freündschaft genießen laßen.
Um dies Denkmal an einem zweiten Ort aufzubewahren, will ich die Billieth hier abschreiben: die meisten sind vom Brach- u. Heüm[onat] 1797 datirt: Sie lauten allso ...
"1.
Keine Thrän' entschleicht unbemerkt von dem Auge des Vaters. 2.
Unterscheide genau den Drang der Lieb' und des Eifers. 3.
Ach, wie rennt sich das Herz nach unerquikendem Trost matt! 4.
Laß dich keinen Feind, laß keinen Freünd dich vom Zweke deines Lebens entfernen; vergiß nie, daß du ein Mensch bist; und von Gott bestimmt, in Gottes Nammen zuhandeln. 5.
Ehre den Schimmer der Gnade, so wird [sie] zum lieblichen Glanz bald. 6.
Stillanbethend verehre die Spuhren der heiligen Langmuth. 7.
Ruhe flieht von dem, der Ruhe sucht bey den Menschen. 8.
Unabhängiger sey von dem, was nicht Gott ist, dein Herz stets. 9.
Schatten sey dir alles, was glänzt u. nicht sättigt die Seele. 10.
Alles, was du liebst, sey Eins mit der Liebe, die Gott heisst. 11.
Kein Bedürfniß in dir sey je dem Bedürfniß nach Gott gleich. 12.
Glaube fest: durch Leiden erlöst von dem Leiden der Herr uns. 13.
Wer das Beste sucht, findt mit ihm unzähliges Gutes. 14.
Schweigend, sprechend, ruhend, handelnd sey immer dir selbst gleich. 15.
Laß nicht großes Bedürfniß den kleinen Bedürfnissen weichen. 16.
Sage dein Bedürfniß dem Einen, der jeden befriedigt. 17.
Achte nichts gering, was grosses Bedürfniß befriedigt. 18.
Freüe des Lebens dich, noch mehr des erlösenden Todes. 19.
Denke dir jeden Morgen – mit weiser Ruh als den Lezten: Als den Lezten denke mit Ernste dir jeglichen Abend. 20.
Lieb in jedem Geliebten ammeisten die Liebe zu Christus. 21.
Jede meiner Schwächen sey Warnung vor ähnlichen Schwächen. 22.
Lerne mit heiligem Ernst und Ruh an dein Sterben gedenken. 23.
Wer das Beste verwirft, der urtheilt wieder sich selber. 24.
Lass nicht die kleinesten Dinge – die grösten je dir verbergen. 25.
Nur die Hand, die dies schreibt, wird verwesen – der leitende Geist nicht!"––
Ja, Amen! Er weiche nicht von mir, dein leitender Geist, O Seliger! oft umschweb' Er mich, u. hauche mich an, wenn ich nach Geistigkeit lechze!
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