23.11.1802
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Dienstag den 23.
An meine Lieben.795
Eine Abschrift des folgenden Briefes hat sich im Nachlass erhalten. Er umfasst zwei paginierte Bogen, die keine Orts- und Datumsangaben enthalten; der dritte Bogen entspricht dem Brief vom 24.11.1802 und ist am Schluss datiert. Auch im Text bestehen leichte Abweichungen. So fügt die Abschrift aus dem Nachlass z.B. dem letzten Satz des vorliegenden Briefes noch den Anhang bei: "besonders in so rohen Berggegenden, wie die unsre ist". Vgl. FA Schweizer/Heusser D I 5a.schliessen
"Liebste Herzen!
Ich habe eüch meine Geschichte bis gestern Mittag beschrieben. Nun will ich weiter fortfahren.
Unser l[iebe] Georg796
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
entsezte sich gar sehr über den Sontag Vorfall: er war ganz aufgebracht darüber: u. Nette797
Georgs zweite Gattin Anna, geb. Lavater (1771-1852), Tochter Johann Caspar Lavaters und der Anna, geb. Schinz.schliessen
staunte auch mächtig.
So auch Herr Antistes:798
Johann Jakob Hess (1741-1828), ord. 1760, dann Vikar seines Onkels Kaspar in Neftenbach, anschliessend ausführliches Bibelstudium, Grundlage seines grossen theologischen Werks, 1777 Diakon am Fraumünster, 1777-1795 Präs. der Asketischen Gesellschaft, 1795 Antistes; HBLS IV, 208f.; ZhPfrB, 334f.; ADB; G. Gessner, Blicke auf Leben und Wesen von J.J. Hess, 1829, F. Ackva, Johann Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte, Bern 1992; Nachlass in ZBZ: FA Hess 1741, und StAZ: Amtsnachlass.schliessen
doch fasste sich der Liebe, u. sagte, dieser Vorfall diene noch zu meinem Besten: die Leüte haben sich izt offenbar als Verächter der Regierungsbefehlen dargegeben: es seye nun des Reg. Stadthalters Sache, seinen Befehlen Respekt zuverschaffen: ich müsse steif bey meinen Amtsverrichtungen verbleiben: u. wenn ich noch 4–5 Mal am predigen gehindert werde: einen Vikar gebe man solchen Leüten nicht u.s.f. ich zeigte ihm die Geschichte des Sontags, die ich gestern Morgen zu Kilchberg aufgesezt habe: da fand er gut, daß ich einen Auszug davon machen, alles Religiose u. haüsliche auslaßen; diesen Auszug auf Stempelpapyr799
Amtliches Papier mit Prägestempel u. Wasserzeichen.schliessen
geschrieben dem Reg. Stadthalter800
Regierungsstatthalter ist damals Hans Jakob Koller (1757-1841), der nach dem erzwungenen Rücktritt der provisorischen Regierung am 28./29. Oktober 1802 von den Franzosen eingesetzt wurde, aber weitgehend machtlos blieb; Dändliker III, 155; Graber, Zeit des Teilens, 242; HBLS IV, 529.schliessen
einhändigen soll.
Da hatt' ich nun gestern Abend mit Verfertigung dieses Auszugs801
Entwurf und eine Abschrift dieses Auszugs, der auf dem Bericht "Sontag den 21 Winterm." basiert, hat sich im Nachlass (FA Schweizer/Heusser, D I 4a u. b) erhalten. Mit seinen vielen Einfügungen zeigt der Entwurf etwas von den Anstrengungen, von denen Schweizer hier spricht.schliessen
viel zuthun: u. da er ins Reine gebracht war, musste ich ihn 2mal kopiren, weil Herr Antistes sich auch ein Exemplar ausbate, um daßelbe zu seinen Akten zulegen.
Heüt Morgen machte ich mich mit diesem Aufsaz zum Reg. Stadthalter, traf ihn aber nicht zu Hause an: ich hinterliess ihm den Aufsaz, damit er ihn über's Mittagessen lesen könne. [Dok. 5]
Von da gieng ich in Schönenhof.802
Stadthaus der Barbara Schulthess-Wolf, an der Ecke Kühegasse (heute Rämistrasse) – Stadelhofgasse gelegen.schliessen
Frau Hauptmännin803
Barbara (Bäbe) Schulthess, geb. Wolf (1743-1818), Freundin Goethes und Mittelpunkt des schöngeistigen Zürichs, Mutter von Georg Gessners erster Frau, Patin von Schweizers jüngstem Kind Dorothea; HBLS VI, 255.schliessen
machte grosse Augen über die Sache, u. sagte: wenn die Bessern in meiner Gemeine haufenweise zum Reg. Stadthalter giengen, u. sich für mich verwendeten, so müsste er auf der Stelle thätliche Hilfe leisten, u.s.f.
Aufm Graben804
Haus der Familie Gessner am oberen Hirschengraben; dort wohnten Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess mit ihren Kindern; nach deren Tod bezog es die mit Johann Wichelhausen verheiratete Tochter Elisabeth Wichelhausen, geb. Gessner; nach deren Hinschied ging das Haus in den Besitz von Johann Bernhard Spyri und Johanna, geb. Heusser über.schliessen
aß ich mit Jaque805
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn des Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; vgl. Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
und Georg806
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
zu Mittag: lezterer ist noch immer aufgebracht, u. kan sich in die grelle Frechheit nicht finden, daß so wenige Menschen eine ganze Gemeine des Gottesdienstes berauben könen: viel ward über diese Sache während dem Eßen gesprochen. Bald nach dem sahen wir den Reg. Stadthalter über den Graben ins Steinhaus807
Amtssitz an der Kirchgasse 33.schliessen
gehen. Flugs eilte ich ihm nach. Er nahm mich in eine eigne Stube, u. sagte zu mir ...
Er habe meine Schrift gelesen, u. bedaure mich, daß ich eine solche Gemeine habe: wenn izt nur gerade eine andere Gemeine offen wäre, daß man mich dahin thun könte – so verdiente das die Hirzler Gemeine. Indeß habe er über diesen Fall noch nicht recht nachdenken könen: er wisse allso auch nicht, was hier zuthun das Beste sey: er wolle mir gewiß Ruhe verschaffen; ich solle nur in meinen Pfarrgeschäften fortfahren u. fortpredigen: u.s.f. Ich sagte ihm die Bemerkung, die man allerorthen macht, "daß nemlich mehrere Gemeinen in unserm Canton sehr gespannt seyen, wie der Hirzler Handel ausgemacht werde: gelinge es dieser Rotte, mich zusprengen, so werde damit ein Rasen angezündet, der in alle Gemeinen fahren werde." Er sagte – das sehe er deütlich ein, u. er habe es auch schon von andern gehört. Ich war beynahe eine Stunde bey ihm u. durfte ihn nicht länger aufhalten: er versprach mir zuthun, was in seinen Kräften stehe, u. entliesse mich höflich u. artig.
Dies ists allso, was mir verheißen ist: aber ich denke, es müsse uns doch noch ein Höherer helfen. Menschenhilfe ist da nicht wirksam genug. wir stemmen uns inniger an unsern Gott an, u. lassen den walten: Er wird gewiß noch gut walten!
Uebrigens hält man sich hier sehr darüber auf, daß die Hirzler Munizipalität nicht schon gestern Morgens Frühe den sontäglichen Vorfall dem Stadthalter einberichtet hat. auch wundert man sich, daß keine von den Bessern mit mir sich hier zeigen, u. mich so allein lassen: u.s.f. Ich habe dem Schuhlmeister808
Hans Heinrich Strikler, Schulmeister und Gemeindeschreiber (Secrétair) im Hirzel, aktiv von 1785-1810, dann von seinem Sohn Jakob abgelöst; vgl. Hauschronik, 49.schliessen
hierüber Winke gegeben.
Daß ich nun Briefe von eüch hätte! ach, ihr Herzen! was werdet ihr mir wol schreiben? Gutes? Böses? Ich will beydes erwarten: kan ich dann Morgen auf eüre Briefe noch schreiben, so will ichs gerne thun; kan ichs nicht, weil ich morn809
Mundartl. für: morgen.schliessen
noch viele Geschäfte habe, so nehmet dies dafür an. Wills Gott komm ich am Donstag wieder heim: Er wird mich wohlgesichert zu eüch führen, u. mich mit eüerm Anblik neü erfreüen: mich planget810
Mundartl. für: ich sehne mich.schliessen
sehr darauf, obgleich ichs hier bey unsern Lieben gut habe; u. alle diesen Vorfall als eine Wuth der Anarchie ansehen, deren Bosheit je die Bessern angreift u. verfolgt."
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