23.4.1804
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Montag den 23.
Was ich vermuthete – das geschahe: es war mir immer, ich werde den l[ieben] Lavater2054
Konrad Lavater (gest. 1804), Sohn des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater (1735-1806) und seit 1800 sein Vikar daselbst; ZhPfrB, 403.schliessen
nicht mehr in diesem Leben antreffen. Als ich um 8 Uhr im Pfarrhaus erschien, kam mir die l[iebe] Lisette2055
Anna Elisabetha Lavater (geb. 1772), Tochter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater u. der Ester, geb. Vogel, Schwester von Konrad Lavater.schliessen
schwarz gekleidet entgegen. Ach Gott! rief ich, so ist er entschlafen? Ja, mein th[eürer] Herr Pfarrer, erwiederte sie mit Thränen in den Augen, er ist entschlafen der l[iebe] Bruder! ruhig, sanft u. still – diesen Morgen um 2 Uhr. Nun Gottlob, versezte ich, daß er überwunden hat, daß er in die Ruhe eingegangen ist – wir wollen ihm die gönen! Dann kam ich zu Hrn. Pfarrer2056
Johann Kaspar Lavater (1735-1806), Sohn von Dekan Hans Jakob Lavater in Neunforn, Vetter des Zürcher Pfarrers und Physiognomikers Johann Caspar Lavater, verh. 1768 mit Ester, geb. Vogel (geb. 1741), Tochter von Hans Caspar Vogel u. Anna, geb. Lavater; ord. 1757, Vikar seines erblindeten Vaters, 1765 Vikar in Dättlikon, 1767 Pfr. in Wattwil (SG), 1781 Pfarrer in Horgen; ZhPfrB, 403.schliessen
u. Frau Pfarrerin, die freylich höchst betrübt waren, aber doch auch sich in den Willen des Herrn schikend: endlich kam die Jgfr. Nannette2057
Anna Lavater (geb. 1780), Tochter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater u. der Ester, geb. Vogel, verh. 1807 mit Kaspar Gessner (1780-1812), als Frau von Birch Stiefmutter von Salomon von Birch; Hauschronik, 58.schliessen
auch zum Vorschein, die sehr gebeügt zuseyn schien. Vieles ward mir noch von dem verstorbnen Lieben erzählt: er soll gestern Abend noch viel mit Hrn. Helfer Leemann,2058
Evt. Heinrich Leemann (1745-1830), ord. 1769, 1776 Pfr. in Dussnang (TG), 1788 Diakon und Schulmeister in Kilchberg; ZhPfrB, 404.schliessen
der gestern zu Horgen predigte, geredet haben; er soll gestern Nachts sein Süpchen wie sonst geessen haben; soll dann bis nach 10 Uhr geschlummert u. sich dann geaüssert haben – "wenn er nur auch in meiner Gegenwart sterben könte!" Dann habe man ihm das Beth zurecht gemacht: u. da er wieder darein gebracht worden, soll er sich so gleich auf die Linke Seite geleget u. sein Haupt gesenkt haben. In welcher Stellung er bis in seinen Tod geblieben, ohne sich je mehr zu bewegen, ohne ein Wort weiter zureden.
Wir rüsteten uns nun zum Leüwen2059
Horgner Gasthof; hier sollte am 19. November 1794 das Stäfner Memorial redigiert werden, am gleichen Tag, an dem Pfenninger und Nehracher als Verfasser des "Memorials" nach Zürich zum Verhör zitiert wurden; Dändliker III, 79.schliessen
zu den Hrn. Deputirten zugehen: da wir dahin kamen, wurden wir sehr freündschaftlich empfangen. Hr. Rathsherr Lavater2060
Diethelm Lavater (1743-1826), Bruder von Johann Caspar Lavater, Apotheker und Arzt; 1792 Mitglied des Rats, 1794-1798 des Geheimen Rats, 1799 der Interimsregierung, 1803 des Grossen und des Kleinen Rats, Sanitätsrat; HBLS IV,636.schliessen
fieng so gleich mit mir an reden von seinem Vorhaben, das er gehabt, in dem Hirzel die Huldigung einzunehmen: sein Plan hab es nicht mehr gestattet; u. dann habe ihn der mühsame Weg, in den Hirzel zu fahren, auch abgeschrekt.
Es laütete nun zur Kirche, u. wir begleiteten die Herrn dahin. Die untere Kirche war voll von zuschwörenden Bürgern: meine Gemeindsgenossen standen bey einander, u. man sahe die meisten, auch die Wiederwärtigsten.
Herr Pfr. Lavater2061
Johann Kaspar Lavater (1735-1806), Sohn von Dekan Hans Jakob Lavater in Neunforn, Vetter des Zürcher Pfarrers und Physiognomikers Johann Caspar Lavater, verh. 1768 mit Ester, geb. Vogel; ord. 1757, Vikar seines erblindeten Vaters, 1765, Vikar in Dättlikon, 1767 Pfr. in Wattwil (SG), 1781 Pfarrer in Horgen; ZhPfrB, 403.schliessen
verlaß nun ein ihm diesen Morgen geschrieben übergebnes Gebeth – nicht sonderlich laut, worüber ich mich verwunderte; u. mit wenig Affekt, was ich zum Theil erwartete.
Dann bestieg nach ihm Hr. Rathsherr Lavater die Kanzel, u. hielt eine meisterliche Volksrede:
Erstlich sagte er ihnen, wovon er am heütigen Huldigungstag mit ihnen reden könte, aber nicht wolle, nemlich von den unglüklichen u. fürchterlichen Folgen, die jede Revolution habe: u.s.f.
So dann zeigte er, daß es da auf der Erde keine ganz vollkommen gute Regierung geben könne: die vorige alte Regierung seye das nicht gewesen; die Zwischenregierungen noch weniger; u. die izige, die wir haben, sey es auch nicht: u.s.w.
Drittens lenkte er dann ein, u. bewies stark u. weitlaüftig, daß die Regierungsart, die wir durch die Mediationsakte erhalten haben, nun doch die beste für unser ganzes Vaterland u. für jeden einzelnen Canton seye: u. die haben wir nun zubeschwören.
[92] Er liesse hierauf die Eidesformel verlesen: u. nahme dann mit großer Feyrlichkeit u. Gerührtheit von den sämtlich anwesenden Bürger den Eid der Treüe ab: wo er dann noch ein Warnungswort an die, die nicht aufrichtig geschworen, u. ein Ermunterungswort an die beyfügte, denen es bey diesem geleisteten Eid ernst seye u. ihn zuhalten gedenken: beydes that er mit Anführung sehr passender Stellen aus den Psalmen Davids. Wir kehrten nun mit den Herrn zum Leüwen zurük, u. da freüten wir uns unter einander herzlich, daß dieser ganze Aktus so ruhig u. still abgelauffen: kein Laut von Unwillen hörte man, aber man sah auch keine oder wenig Freüde, wo über lezters sich zwar nicht zuverwundern ist, indem die Horger im Ganzen genohmen doch sehr unglüklich sind, u. sich selbst unbeschreiblich unglüklich gemacht haben.
Bald dann sagte Hr. Rathsherr Lavater zu Hrn. Rathsherr Schinz,2062
Vermutlich Hans Caspar Schinz (1755-1836), Sohn des Hans Caspar (1727-1816), Kaufmann; Mitglied des Grossen Rats 1803-1832, des Kleinen Rats 1803-1830; HBLS V, 187.schliessen
dem 2ten Deputirten, den ich als meinen ehemaligen Lezgen-Cammerrad2063
Lezgen = Lektionen, Unterricht; gemeint ist hier wohl die gemeinsame Schulzeit am Carolinum.schliessen
noch wohl kannte – er wolle einen Besuch im Pfarrhaus machen: da lezterer nicht sonderlich viel Lust dazu bezeigte, so sagte ich zu Lavatern – ich wolle ihn schon dahin begleiten. wir giengen, u. redeten nicht viel auf dem Weg, weil wir bey verschiedenen Hauffen vorbey mussten, die eben nicht zum Besten zufrieden zuseyn schienen; sie mogten kaum die Hüte vor uns lupfen, was auch Herrn Rathsherrn auffiel, indem er zu mir sagte – die Hüte sizen diesen Leüten noch fest auf den Köpfen.
Im Pfarrhaus wurden wir wie natürlich freündlich empfangen: das Gespräch fiel so gleich auf den l[ieben] todt im Hause ligenden Herrn Lavatern: man erzählte viel von deßen Krankheit u. Leiden. Hr. Rathsherr machte die Anmerkung, "der liebe Gott lasse die Unsrigen oft recht viel vor unsern Augen leiden, damit wir auf den Wunsch gebracht werden, daß sie bald ihre Erlösung finden; was uns dann die Trennung sehr erleichtere; u.s.f." Dann aüßerte er den Wunsch, den l[ieben] Todten zusehen: Frau Pfarrerin u. ich begleiteten ihn in das Zimmer, wo er lag. Und da sahe ich –
den theüren Todten
das erste Mal! Freylich noch die kenntlichsten Züge von seinem Wesen; aber doch nicht mehr er selbst! die Leere Hülle der Puppe! Ach Gott! wie mir war, ihn so Blik- Sprach- Bewegungslos in der Todtenfarbe so auf seinem Beth ligen zusehen! ich musste zwar an mich halten, u. ich konnte meine Gefühle nicht zu Worten bringen: Herr Rathsherr redte auch nicht viel: nur sagte er: er habe noch selten eine frappantere Leiche gesehen. Bald kehrten wir wieder zurük zum Leüwen: ich wollte mit Herrn Rathshr. über die gesehene Leiche reden, allein er wollte nicht tiefer hinein, u. schien diesen Gegenstand nun aus dem Sinn zuschlagen: er fieng von etwas anderm an reden, u. entdekte mir im Vertrauen, daß künftigen Mitwoch wahrscheinlich 6 von den Rebellen-Cheffs werden exequirt werden: man seye zwar ganz stille bey der Sache; einige werden militairisch sterben müssen,2064
Gemeint ist Tod durch Erschiessen. Von den zum Tode Verurteilten wurde im ersten Verfahren nur Heinrich Häberling erschossen, Hans Jakob Willi und Jakob Schneebeli wurden geköpft. In einem zweiten Verfahren wurden zudem Jakob Kleinert und Felix Schoch zum Tod durch das Schwert verurteilt; letzterer hat sich dem Urteil durch Flucht entzogen. Alle Haupturteile und die meisten der Nebenurteile sind zusammengestellt bei Leuthy, Vollständige Geschichte von dem Bockenkrieg, 123-192.schliessen
einige werden den Kopf verlieren: das machte mich nun stuzen, u. ich sagte Hrn. Rathsherrn darauf, daß so wohl die Beßern in unserm Lande, als besonders das eidsgenössische Militair, das in unsern Canton gekommen, die strengste Strafgerechtigkeit erwarte, die gegen diese Aufrührer vollzogen werden soll: Ja, erwiederte er, dies wird eben von allen Seiten in die Stadt berichtet.
Da wir wieder zurük in den Löwen gekommen, ward angeschlagen, einen Besuch bey Exsenator Stapfer2065
Heinrich Stapfer (1740-1813), von Horgen, Tuchfabrikant, Seckelmeister und Landrichter, Mitglied der Lesegesellschaft Stäfa, einer der Protagonisten im Stäfner Memorialhandel; vgl. HBLS VI, 505; Dändliker III, 83ff.; Peter Ziegler, Die linksufrigen Zürichsee-Gemeinden im Stäfner Handel, in: Ch. Mörgeli (Hg.), Memorial und Stäfner Handel, 211ff.schliessen
zumachen: ich gienge auch mit, aber ungern: jedoch wurde uns sehr höflich begegnet. Mittlerweile rükte eine Compagnie Schweizer2066
D.i. Schwyzer.schliessen
in Horgen ein, eben die, die an jenem Mitwoch Morgen, wo die Generalität bey uns war, auch auf den Hirzel kam. Die Offiziere alle wurden mit den Glarner-Offizieren zum Mittageßen zu uns eingeladen: u. da war dann die Taffel meist mit Militairischen Persohnen besezt: ein sehr intreßanter Anblik: alle wie Brüder unter einander, alle beseelt vom gleichen feürigen Intresse für das Wohl des Vaterlandes: man trank verschiedene besondere Gesundheiten in u. mit der grösten Herzlichkeit. Bald nach der Mahlzeit verreißten die Herren Deputirte zurük auf Zürich, u. ich verfügte mich wieder ins Pfarrhaus.
Da traf ich einige Schweizeroffiziere am Tische sizend an; sie bathen mich zu ihnen hinzusizen: ich thats für eine Weile, stand aber dann wieder auf, u. winkte den beyden Jungfern:2067
Anna und Anna Elisabetha (Lisette) Lavater, die Töchter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater und Schwestern des verstorbenen Konrad Lavater.schliessen
wir giengen mit einander zur Leiche ihres Bruders, denn mit ihnen beyden wollte ich einmal allein dieselbe besuchen; sie ward abgedekt, u. wir standen da erst staunend: dann begann ein kleines Gespräch über die Freüde des miteinander in Frieden lebens: diese Freüde fühle man ammeisten, wenn unsre Lieben so todt vor uns ligen: u.s.f. Nannette ward weggerufen: u. nun sagte Lisette: "ich glaube, ich werde die nächste Leiche seyn auf diese Leiche des l[ieben] Bruders: da, wenn Sie in meiner Krankheit nur recht viel bey mir seyn, u. mich so über meinen Tod beruhigen könen, wie Sie meinen Bruder sel. beruhigt haben! u. wenns so mit mir zum Sterben kömt, so will ich meine Aeltern bitten, mit der Nannette von hier weg in die Stadt zuziehen, u. ihre alten Tage in der zuverleben: u.s.f." ich fasste ihre Hand, u. sagte – "davon wollen wir izt nicht reden, daß sie diesem ihrem Bruder bald nachfolgen werden: sie müssen auch noch auf der Erde leben, u. bey ihren Aeltern u. uns bleiben: u.s.f." Ernst blikte sie mich an, u. sprach – was der Herr will! Nun dekten wir wieder die Leiche, u. giengen miteinander in die untere Stube; wo die Offiziere es scheinen gemerkt zuhaben, daß wir bey der Leiche gewesen; so gleich aüßerten sie den Wunsch, sie auch zusehen; die beyden Jungfern giengen mit ihnen; u. bald kamen sie sehr gerührt wieder zurük, u. nahmen so gleich Abschied. Ich war nun ein Stündgen bey den Lieben allein; wir unterhielten uns meist über den lieben Todten, u. über seine lezten Tage auf Erden, die er meist mit großer Sehnsucht nach seiner Auflösung zugebracht habe: u.s.w. Dann nahm ich auch Abschied, u. machte mich auf den Heimweg: ernst nachdenkend über alles heüt vorgefallene wandelte ich den allein u. langsam. Es war mir recht wohl, Freünd Lavater heim gegangen zuwissen. Die Meinen traf ich alle wohl an, aber eben auch bewegt über den Tod des l[ieben] Lavaters, mit dem sie alle so manche liebe Stunde verlebt haben.
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