23.1.1803
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Sontag den 23.
Diesen Morgen stand einer der faülsten von der Rotte in der Kirche in den nächsten Stuhl neben den meinen:971
In der Zürcher Kirche des Ancien Régime gab es eine strenge Sitzordnung nach Funktion, sozialem Rang und Geschlecht; vgl. David Gugerli, Zwischen Pfrund und Predigt, 84f. Die Provokation dieses Hirzler Bauern ist also auch als Herausforderung dieser symbolischen Herrschaftsordnung zu sehen.schliessen
ich erschrak nicht, sondern fühlte nur die derbe Frechheit dieser Leüte: vielleicht war es seine Absicht, mich außer Faßung zubringen: allein, ich blieb in der Ruhe, u. mein Gott stärkte mich, daß ich mit Ruhe predigen konnte. Der Kerl unternahm nichts, er gienge aus der Kirche mit den andern u. hatte nichts an mir – ich aber auch nichts an ihm.
Hägi972
Hägi, ein Sohn des "Musterbauern" Hans Rudolf Hägi (1723-1817); vgl. Neujahrsblatt 1808 der Zürcherischen Hilfsgesellschaft.schliessen
aß mit uns zu Mittag: er sollte Morgens vor dem Horgergericht erscheinen: es ward ihm aber gestern in der Stadt mißrathen, u. wir mißriethens ihm auch: sonst scheint er guten Muthes zuseyn, u. bey der fürchterlichen Verfolgung, die er leiden muß, noch ziemlich aufgeraümt.
Abends um 4 Uhr kam Gv. Schuhlmeister:973
Hans Heinrich Strikler, Schulmeister und Gemeindeschreiber (Secrétair) im Hirzel, aktiv von 1785-1810, dann von seinem Sohn Jakob abgelöst; vgl. Hauschronik, 49.schliessen
der war sehr geschlacht,974
gesittet, anständig; Grimm 5, Sp. 3896f.schliessen
u. es behagte ihm, daß wir offen gegen ihn waren – es betraf zwar meistens Sachen, die ihn angiengen; u. er hatte uns diesmal nichts Fürchterliches über uns zuerzählen.
Auf die Nacht kam der l[iebe] Hürlimann975
Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802, wird 1803 Gemeinderat und Friedensrichter.schliessen
zu uns, so daß wir kaum zwischen ihm u. Schuhlmeister unsre Feyrstunde976
Unter "Feyrstunde" versteht Schweizer ein ausserhalb der Kirche im kleinen Kreis der Frommen eingenommenes "Privatabendmahl", wie er sie seit Februar 1778 in steigender Intensität mit den Töchtern der Familie Gessner feiert; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Gemeinschaft in Christo".schliessen
halten konnten. Er blieb bis über das Nachtessen bey uns, u. wir hatten viel mit einander zureden: während dem er bey uns war, erhielt ich wieder einen anonymen Brief von Horgen,977
Im Nachlass Schweizer befindet sich ohne Ortsangabe ein anonymer Brief vom "Jenner 1803"; darin wird Schweizer aufgefordert, abzutreten und sich eine andere Gemeinde zu suchen, die seiner "Denkungsart besser angemeßen ist." FA Schweizer/Heusser, D III 14.schliessen
der von solcher Absurdität ist, daß ich ihn hier nicht eintragen mag. Ich las ihn gerade laut vor dem Hürlimann, u. der sagte so gleich, was wir dachten – "das seyen nur noch lezte wagende Rünge978
Vorübergehendes Aufbegehren.schliessen
von der Rotte, mit denen sie mich von hier wegschreken wolle. Hierauf überall979
überhaupt.schliessen
nicht zuachten, seye das Beste."
Wir hatten heüte einen so voll aufgefüllten Sontag, daß wir beynahe kein Ruhstündgen erhielten. Die Bessern unsrer Gemeine scheinen sich immer mehr an uns anbinden zuwollen: u. das ist ja recht u. gut: ach, wenn wir das ganz erhalten, dann werden die Bösen wohl schweigen müssen.

 


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