22.11.1804
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[104] Donstag den 22.

Heüte hatte ich nun ein schweres Geschäft: man wartete in Zürich allgemein auf das Resultat meiner Unterredung mit den Lieben zu Horgen des Jaquens2388
Jakob Gessner d.J. (1782-1806), dritter Sohn von Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess; ord. 1804, Vikar in Horgen, 1805 Katechet in Oberstrass, verfiel in Melancholie und hungerte sich zu Tode; ZhPfrB, 296.schliessen
halben.
Die ganze Unterredung überschrieb ich unserm Georg,2389
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
u. überließ es ihm, auf die weiseste Art den l[ieben] Jaque zu prevenieren, daß er nicht mehr auf Horgen als Vikar kommen könne: an seine Aeltern schrieb ich dieses ...2390
Die folgenden 2,5 Seiten leer. Schweizer wollte diesen Brief offenbar später abschreiben, unterliess es dann aber.schliessen

Auch dem l[ieben] Jaque schrieb ich ein Briefgen dieses Inhalts ...

"Am lezten Dienstag Nacht übernachtete ich in Horgen in deinem Stübgen, du Lieber! in deinem Beth.
Ich solle Dir viele herzliche Grüße von allen Lieben im Pfarrhaus Horgen überschreiben: sie nehmen allen Antheil an deiner Lage, u. sind dabey voll Sorge, dein Vikariat bey ihnen möchte dir zu schwer fallen, u. die grosse Kirche dir schaden. Einmal sollest Du nicht eilen, wieder zu ihnen zurük zukommen; du sollest izt nur die medizinische Hilfe ganz u. vollkommen genießen.
Dies, du Lieber! wollt ich dir schreiben; u. wenn Du lieber auf'm Land medizinirtest, so komme wieder zu uns, wir wollen dir alles Mögliche zu Deiner Erhohlung verschaffen. Und, wenn du dich entschließest, zu uns zukommen, so gehe nur im Pfarrhaus Horgen vorbey, u. grüsse die Lieben daselbst, so wie meine Lieben dich herzlich grüssen mit deinem dich liebenden
Onkle."
Die l[iebe] Bäbe2391
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; Mutter von Jakob Gessner (1782-1806); vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
schrieb mir auf meinen Brief folgendes zurük ...
"Durch einen sehr Liebe vollen u. herzlichen Brief von Jgfr. Lavater2392
Vermutlich Anna Elisabetha (Lisette) Lavater (geb. 1772), Tochter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater u. der Ester, geb. Vogel.schliessen
war ich ganz vorbereitet auf das, was du uns heüt als Resultat deiner Unterredung mit Hrn. Pfarrers in Horgen geschrieben.
Anfangs der Woche fiel mir der Gedanke hart auf – 'wenn der l[iebe] Jaque wieder zurük kommen sollte, u. unsre süsse Hoffnung, er seye vom Herrn an einen schönen zwekmässigen Plaz hingestellt, auf einmal abgeschnitten würde' – da müsst' ich alle Kraft zusamen nehmen, um mich faßen zukönnen; u. so gieng es auch dem l[ieben] Papa,2393
Hans Caspar Gessner (1748-1828), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1779 mit Bäbe Hess; Tuchpresser, Vater von Jakob Gessner (1782-1806); Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
besonders da der l[iebe] Jaque selbst sich so sehr darnach sehnet, je eher je lieber wieder dorthin zugehen. Aber nun auf das hin, was mir Jgfr. Lav[ater] mit dem offensten u. edelsten Zutrauen schrieb, kan ich kein Wort dagegen sagen. Ach ich kenne den Sinn des l[ieben] guten Jaquens nur zu wohl, u. seine Aengstlichkeit: u. wir sehen es ganz ein, daß er sich nicht mehr schiken würde als Vikar bey einer solchen Gemeine, wie Horgen ist, u. zu einem Mann, wie Herr Pfarrer2394
Johann Kaspar Lavater (1735-1806), Sohn von Dekan Hans Jakob Lavater in Neunforn, Vetter des Zürcher Pfarrers und Physiognomikers Johann Caspar Lavater, verh. 1768 mit Ester, geb. Vogel (geb. 1741), Tochter von Hans Caspar Vogel u. Anna, geb. Lavater; ord. 1757, Vikar seines erblindeten Vaters, 1765 Vikar in Dättlikon, 1767 Pfr. in Wattwil (SG), 1781 Pfarrer in Horgen; ZhPfrB, 403.schliessen
ist, der einen Vikar mit einem viel freyern Sinn nöthig hat.
Wir müßen halt die Hand auf den Mund legen; u. weil wir wißen, der Herr hats gethan; Er leitete den Gang des l[ieben] Jaquens nach Horgen; es war so gar nicht seine u. unsre Sache: u. Er führt ihn wieder zu uns. Was Er damit will, u. wohin Er ihn weiter versorgen will – das sehen wir izt freylich nicht, denn vor unsern Augen ist alles dunkel. Aber, wo wir nicht sehen, da siehet Er; u. Er wird gewiß diese seine Führung rechtfertigen, u. uns u. unserm l[ieben] Jaque zeigen, was er nun anfangen u. thun soll; denn nun ist er außer alle Geschäfte gesezt, u. er hat durchaus keinen Wirkungskraiß, deßen er doch für sein ganzes Wesen so sehr bedarf. Auf der einen Seite hat er dies gerade um seiner Gemüthslage willen so sehr nöthig; u. auf der andern Seite machts uns eben diese seine Gemüthslage so schwer, ihm einen Geschäftskraiß zusuchen. Ach er hat einen viel zu schlichten einfachen graden Sinn, u. dabey zu wenig Welt- u. Menschenkenntniß, um irgendwo fortkommen zu könen. Wenn seine Hypochondrie ihn nicht ganz verlässt, u. sein Sinn viel freyer u. minder aengstlich wird – wer wollte einen Pfarrer /der eines Gehilfen bedarf/ finden, der einen wie Jaque ist, ganz verstehen, leiten u. tragen könte? u. wo wollte man eine Gemeine finden, die nicht solche falsche, verschmizte Menschen hätte, die einen so guten redlichen unbefangenen Menschen nicht Schlingen legen würden, ihn irre zuführen?
Indeß, was wir nicht könen, das kan der Herr; wo wir nichts sehen, siehet Er! Ueber Vermögen versucht Er nicht; u. wird auch uns aus dieser uns schwer aufligenden Prüfung einen Ausgang zeigen, daß wirs ertragen mögen. u.s.f."
Ueber den Sinn u. die Ansicht, mit der nach diesem Brief unsre Lieben auf'm Graben das nicht mehr auf Horgen Kommen ihres l[ieben] Jaquens annehmen, freüe ich mich herzlich. Der Herr wird gewiß weder sie noch den Lieben verlaßen. Freylich ligt izt eine harte Prüfung auf ihnen; aber sie werden dem Herrn noch danken u. Ihn preisen!
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