20.11.1804
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Dienstag den 20
Aufgefordert von den Lieben zu Horgen, so bald wie möglich zu ihnen zukommen, weil Hr. Pfarrer2370
Johann Kaspar Lavater (1735-1806), Sohn von Dekan Hans Jakob Lavater in Neunforn, Vetter des Zürcher Pfarrers und Physiognomikers Johann Caspar Lavater, verh. 1768 mit Ester, geb. Vogel (geb. 1741), Tochter von Hans Caspar Vogel u. Anna, geb. Lavater; ord. 1757, Vikar seines erblindeten Vaters, 1765 Vikar in Dättlikon, 1767 Pfr. in Wattwil (SG), 1781 Pfarrer in Horgen; ZhPfrB, 403.schliessen
mit mir des l[ieben] Gesners2371
Jakob Gessner d.J. (1782-1806), dritter Sohn von Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess; ord. 1804, Vikar in Horgen, 1805 Katechet in Oberstrass, verfiel in Melancholie und hungerte sich zu Tode; ZhPfrB, 296.schliessen
halben reden möchte, entschloss ich mich heüte, weil unser Settli2372
Elisabeth Schweizer (1786-1824), älteste Tochter von Diethelm Schweizer und Anna, geb. Gessner, verh. 1822 mit Johannes Suter; vgl. Hauschronik, 34, 85-88.schliessen
in die Stadt sollte, mit ihm bis auf Kilchberg zugehen, um den l[ieben] Wirz2373
Hans Heinrich Wirz (1756-1834), Sohn von Hans Konrad Wirz (1726-1794), Pfr. in Kilchberg; verh. mit Anna Füssli, Tochter von Obmann Füssli; ord. 1776, Weiterstudium in Halle 1777-1778, Vikar in Kilchberg (Vertretung des kranken Vaters), 1794-1834 Pfr. in Kilchberg; 1795 Schlichtungsversuch im Stäfner Handel, Freundschaft mit Lavater und enge Beziehung zu Pfr. Schweizer während dessen Hirzler Zeit; Literaturvermittlungstätigkeit; Memorabilien der Zeit; Hauschronik, 60f.; Wernle III, 310ff.; ZhPfrB, 623.schliessen
daselbst zubesuchen, u. dann auf den Abend nach Horgen zu gehen, um da zu übernachten. Dies sezte ich ins Werk. Morgens um halb 7 Uhr verreissten wir von hier, u. wir wandelten mit einander guten Schritts bis auf Brunnen,2374
Hof in Bendlikon (Kilchberg), den vorher die Schwestern Anna Maragaretha (Grite) Keller und Anna Catharina (Cäther) Nägeli, geb. Keller bewohnten.schliessen
wo ich die Sette nach Bändlikon2375
Bändlikon oder Bendlikon, heute eingemeindetes Dorf am linken Seeufer, das zur politischen sowie zur Kirch- und Schulgemeinde Kilchberg gehört, Wohnort von Anna Margaretha (Grite) Keller und Anna Catharina (Cäther) Nägeli, vorher Brunner, geb. Keller.schliessen
gehen ließ, u. ich meinen Weg nach dem Pfarrhaus Kilchberg nahm: da ward ich sehr freündschaftlich empfangen, u. bald zu Hrn. Pfarrer gelassen. Ach, der lage krank im Beth, u. sein Anblik erschrekte mich. Herzlich bewillkommte er mich, u. bezeügte grosse Freüde, daß ich ihn besuche, er seye ein verlaßner Mensch, selbst Hr. Dokt. Lavater2376
Wahrscheinlich Heinrich Lavater (1768-1819), Sohn des Johann Caspar Lavater und der Anna, geb. Schinz, Bezirksarzt und Arzt am Zuchthaus in Zürich; HBLS IV, 636.schliessen
besuche ihn nicht; er müsse sich mit dem Schreiber zu Wollishofen behelfen. Dies erschrekte mich nicht wenig. Ich fragte den Lieben näher um seine Krankheit? er sagte, eine fürchterliche Enge hab ihn befallen, so daß er für alle Fenster stehen müsste, um Luft einzuathmen; das seye ein peinlicher Zustand gewesen, u. er habe nichts anders geglaubt, als er müsse erstiken: endlich bekam er etwas Erleichterung durch den Schweiß, der jede Nacht eintreffe, u. dessen Schärfe ihm nun einen Ausschlag verursacht habe, der ihn sehr plage: er zeigte mir die Brust, u. die war wirklich vom Ausschlag blutroth. Der Liebe dünkte mich [103] auch an seinem ganzen Leib aufgetrieben, u. ich besorgte, er werde sich kaümerlich erhohlen. Er aüßerte sich gegen mich, er wäre in seinen fürchterlichen Schmerzen, die er gehabt, gerne gestorben; u. auch izt noch wolle ers mit Willenlosigkeit annehmen, was sein Gott mit ihm mache. Ich sasse so bey ihm – mich so viel wie möglich mit ihm unterhaltend, bis man mich zum Mittageßen einlud, wo ich einiges dem Herrn Pfarrer hinauf tragen ließ mit Bitte davon zueßen, weil es ihm nichts schaden werde; allein das meiste schikte er unversucht zurük. So bald ich gespiesen, verfügte ich mich wieder in sein Zimmer, u. blieb noch etwa ½ Stunde bey dem Lieben, wo ich mich dann bey ihm verabscheidete mit dem herzlichen Wunsch baldiger Wiederherstellung seiner Gesundheit: mit gerührtem Herzen entließ er mich.
Nun machte ich noch einen kurzen Besuch zu Bändlikon, u. traff da unsre Sette noch an; die aber doch diesen Abend noch mit Hrn. Nägeli,2377
Rudolf Nägeli, Bauer und Seckelmeister in Kilchberg, heiratete im März 1800 Anna Catharina Brunner, geb. Keller.schliessen
der sich eben ankleidete, in die Stadt gienge, was ich gerne sah. Bald machte ich mich auch auf den Weg nach Horgen: u. da traf ich ein, eben da es anfieng zunachten.
Da ich mich umgekleidet, u. etwas wieder meine Gewohnheit von Speis und Trank zumir genohmen hatte, nahmen mich Herr Pfarrer u. Frau zu sich in die obere Stube, u. da wir so allein bey einander sassen, begann Herr Pfarrer
Es seye ihnen herzlich leid, daß der l[iebe] junge Gesner so einen Anfall von seiner Hypochondrie2378
Neulat. hypochondria: Einbildung, krank zu sein; Trübsinn, Schwermut.schliessen
bekommen, er daure sie im Innersten ihres Herzens, u. sie haben gewiß das gröste Mitleiden mit ihm; er seye so ein durchaus guter, aber nur zu ofner Mensch, u. eben diese seine Offenheit hab ihm schon alles Zutrauen bey der Gemeine geraubt; alles rede von ihm u. seiner Schwäche; er habe sich dem Siegrist u. Leüten auf dem Felde bloß gegeben, u. denen erzählt, wie er ein schwacher Sünder sey: eben das habe er auch gegen den erzschlechten Schuhlmeister gethan, dem er gegen all ihr Abrathen einen Besuch gemacht; der ihm ein Glas Wein eingeschenkt, u. nun von ihm ausstreüe, er habe sich betrunken, u. sey ein schwacher Tropf; auch sage man nun durchgängig, man verstehe ihn nicht in der Kirche, u. am lezten Sontag habe er so langsam getauft, daß die Taufhandlung länger gedauret als die Predigt, u. es ihnen allen todt Angst geworden sey: auch habe er alles Ansehen bey den den Kindern verloren; sie spotten über ihn wie über ein kleines furchtsames Bübli: u. viele Horger, selbst von den Beßern, sollen sich geaüssert haben, sie gehen ihm nicht mehr in die Kirche; auch sey ihm – dem Herr Pfarrer durch seine Freünde verdeütet worden, er solle doch den Herrn Gesner nicht mehr auf die Kanzel laßen, sie fürchten, daß ihm eine Sotise2379
Frz.: Dummheit, Streich.schliessen
gemacht werde. So weit Herr Pfarrer: u. nun Frau Pfarrerin ...
Sie haben seit 10 Tagen unbeschreiblich viel Angst des l[ieben] Hrn. Gesners halben ausgestanden: er seye oft in Jast2380
Mundartl. Jascht: Erhitzung, Blutwallung.schliessen
gekommen, daß er das Haus auf u. abgelauffen; dann habe er nach einer Hand Arbeit gefragt: u. da sie ihm keine geben konnten, u. er inne geworden, daß ein Korbmacher in der Gemeine sey, so habe er so gleich zu dem hinlaufen wollen, um von ihm das Korbmachen zulernen; u. das sey einer der schlechtesten Horger: auch seye er die vorige Woche nach Oberrieden2381
Pfarrer in Oberrieden ist Konrad Hirzel (1752-1810), Sohn v. Prof. Heinrich Hirzel u. Bruder v. Pfr. Hans Heinrich Hirzel; ord. 1774, 1779-1782 Vikar in Kirchberg (BE), 1782 Vikar seines Bruders in Albisrieden, 1785 Pfr. in Wipkingen, 1794 Nachfolger seines Bruders in Oberrieden, resignierte 1808; ZhPfrB, 341.schliessen
u. Thalwyl2382
Pfarrer in Thalwil ist Jacob Christoph Hug (1776-1855), Sohn von Pfr. Wilhelm Heinrich Hug in Hüttlingen, 1796 Katechet in Leimbach, ord. 1798, Vikar u. Pfarrer in Thalwil, 1800-1806 Schulispektor, resignierte 1807 und übernahm mit seinem Bruder Kaspar die Nägelische Musikhandlung, ab 1818 Gebrüder Hug; 1815 Feldprediger bei der Grenzbesetzung, 1817 Pfr. zum Kreuz, 1829 überliess er das Musikaliengeschäft seinem Sohn und wurde Pfr. in Wetzikon; ZhPfrB, 359f.schliessen
gegangen, u. habe den Leüten in diesen beyden Pfarrhaüsern fürchterlich angst gemacht. Zu Nacht sey er unruhig, stehe 4-5 Mal [auf], entschlage Licht, u. stehe dann vor das Fenster, was ihre Nachbarn bemerkt; mit dem Essen mache er wie ein Kind; lege oft die Hände quer über den Teller, u. fange an lachen: sie habe ein paarmal mit ihm geredet, u. ihm liebreiche Vorstellungen gemacht, daß er sich ermuntere u. vorsichtiger mit den Leüten umgehen müsse; u.s.f. und die Folge davon sey allemal die gewesen, daß er entweder angefangen habe zulachen, oder auch zuwainen. Das Lachen seye ihnen das Fürchterlichste gewesen; u. eben daraus schließen sie, daß seine Krankheit unheilbar sey: u.s.f.
So hörte ich reden; u. der Ton u. die Miene, mit der all das zu mir geredet ward, zeigte mir nur zu deütlich, daß sie sich vor dem l[ieben] Jaque fürchten, u. fest entschlossen seyen, ihn nicht mehr als Vikar anzunehmen. Ich legte ihnen, ohne mich weitlaüftig in das, was sie zu mir geredet, einzulassen, denn vieles hätte ich ihnen nicht durchthun könen, die Frage vor: "So kan dann mein Vetter nicht mehr als Vikar bey ihnen sein?"
Nein, erhielt ich zur Antwort: wir sollens doch nicht an ihnen zürnen: Herr Gesner seye dem Hrn. Pfarrer zu unsicher, er müsse einen Vikar haben, auf den er sich verlaßen könne.
Aber, erwiederte ich, so wäre die gute Hofnung, die wir des Lieben halben hatten, daß er so gut bey ihnen versorget seye, auf einmal verschwunden!
Das schmerze sie gewiß, wie uns; aber so könne Herr Gesner noch mit Ehren aus der Sache kommen; sie sagen nemlich ihren Gemeinsgenoßen, er seye von schwacher Gesundheit, u. die Kirche sey ihm zu stark: wohin gegen, wenn er die Horger Kanzel nur einmal noch beträtte, ihm etwas begegnen könnte, das ihm für sein Lebtag schädlich seyn könte.
Da ich diese Furcht vor den Horgern sahe, u. tief in meinem Herzen fühlte, daß Herr Pfarrer kein Mann für den l[ieben] Jaque seye, u. Jaque kein Vikar bey ihm seyn köne, sagte ich zu ihnen: Nun, wir werden uns in Gottes Nammen in diese Aenderung schiken müßen; u. ich übernehme es, dieselbe den Aeltern des Lieben zu ueberschreiben.
Eben das seys, sagten sie, wofür sie mich innständig haben bethen wollen, u. dann auch noch dafür, dem Hrn. Pfr. Gesner2383
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner u. der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
zuschreiben, er möchte von der Gütigkeit seyn, u. ihnen um einen andern braven Vikar schauen: auch bethen sie mich dafür zu sorgen, daß das freündschaftliche Verhältniß, in das sie mit Herrn Gesners u. auch mit ihrem Sohn zustehen gekommen, nicht aufgelöst werde. Ich versprach ihnen beydes zuthun. Und so hatten sie ihr Herz entlastet. Ich blieb innerlich immer ruhig, obgleich ich für eine andere Versorgung des l[ieben] Jaquens bange war. Diese meine innere Ruhe erhielte mich froh und munter; u. da Herr Pfarrers das bemerkten, wurdens auch sie, u. besonders die l[ieben] Jungfern:2384
Anna Elisabetha (Lisette) u. Anna (Nannette) Lavater, Töchter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater.schliessen
Lisette blikte mich öfters an, um zu lauschen, ob ich nicht höh2385
Mundartl. für: erzürnt.schliessen
sey? u. da sie nichts davon wahrnahm, war sie aüßerst freündschaf[t]lich gegen mich: Da wir nach dem Nachteßen noch allein mit einander redten, sagte sie, es freüe sie nichts so sehr, wie das, daß ich nicht mit ihnen höh seye; u. bathe mich dann um alles willen in meiner Freündschaft gegen sie u. ihr Haus fortzufahren. Ich versprach ihr, daß diese Aenderung mit unserm Neveu unsre gegenseitige Freündschaft nicht stöhren soll. Ich schlief nun auf des l[ieben] Jaquens Stübgen. Die Nettheit, Artigkeit, Abgesondernheit dieses Zimmerchens rührte mich, u. ich begriffe nicht, warum dies Lokale seines Aufenthalts allhier nicht einen guten Eindruk auf ihn gemacht u. ihn vor allen Grillen bewahret hat. Zwar schlief ich nicht viel: die Geschichte des heütigen Tages schwebte mir immer vor; u. stets musst' ich an das denken, wie es auch dem l[ieben] Jaque gesagt werden könne, daß er hier nicht mehr Vikar seyn könne.

 


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